Die Magie des Amtes

Wie anachronistische Denkmuster die Demokratie gefährden

Menschen, die in unserem Staat ein hohes politisches Amt bekleiden, wird in der Regel mit rituellen Ehrfurchtsfloskeln begegnet. Die Aura des Amtes geht dabei auf die Person über, die dieses innehat. Dies hat einige bedenkliche Konsequenzen.

Wenn der Glanz des Amtes abblättert …

Ein Top-Job als Trostpflaster

Ministerielle Durchlauferhitzer

Der Polit-Adel der Parteien

Der Glaube an die Aura des Amtes

Die Gefahr des Missbrauchs anachronistischer Denkmuster

Sozialer Tod durch Entzug der Amtswürde

Die Vision einer kompetenzorientierten, kollegialen Demokratie

Wenn der Glanz des Amtes abblättert …

Was macht eigentlich Heiko Maas? Gibt es ihn überhaupt noch? Oder lebt er nur noch als sein eigenes Phantom weiter, seit er nicht mehr Außenminister ist?

Keine Sorge – Heiko Maas geht es, soweit sich dies aus den Berichten über ihn schlussfolgern lässt, offenbar recht gut. Seinen im Dezember 2022 beschlossenen Ausstieg aus der Politik hat er gleich doppelt abgefedert. In Berlin steigt er in eine renommierte Anwaltskanzlei ein. Außerdem hat ihn die saarländische Mauschelküche auf den Präsidentenstuhl des Verbandes der Saarhütten gehievt. In dieser Funktion soll der Sozialdemokrat die von der passenderweise ebenfalls sozialdemokratischen saarländischen Regierung mit Milliardensubventionen geförderte Transformation der Stahlindustrie industriefreundlich begleiten.

Dies alles lässt sich über Heiko Maas aus den Medien erfahren. Einlassungen zur Außenpolitik findet man von dem Ex-Außenminister dagegen kaum noch.

Ein Top-Job als Trostpflaster

Das ist ja auch nicht verwunderlich, wird man mir an dieser Stelle wohl entgegnen: Heiko Maas ist nun mal nicht mehr Außenminister. Warum sollte er sich dann noch zu Fragen der Außenpolitik äußern?

Mit diesem Einwand bin ich jedoch nicht ganz einverstanden. Schließlich ist Bundesaußenminister ein absoluter Top-Job, den man doch wohl nur mit entsprechenden außenpolitischen Erfahrungen und Kompetenzen erhalten sollte. Also wäre es doch nur logisch, dass Heiko Maas sich zwar nicht mehr als Außenminister, wohl aber als außenpolitischer Experte äußern würde.

Nun ist Heiko Maas allerdings nie ein Experte für auswärtige Politik gewesen. Seine Posten als Bundesjustiz- und später als Außenminister sind ihm von seiner Partei als Trostpflaster zugeschanzt worden, weil er als SPD-Spitzenkandidat bei den Wahlen im Saarland dreimal wacker gekämpft, aber keinen Blumentopf gewonnen hat. Das demokratische Votum gegen ihn wurde von der Partei also als Unfall gedeutet und in einen Beförderungsauftrag umgewandelt.

Ministerielle Durchlauferhitzer

Dies indessen war uns allen von Anfang an bekannt – was zu der Frage führt: Was war das eigentlich für eine Gestalt, die wir da ehrerbietig als „Herr Außenminister“ angeredet haben? War das vielleicht nur eine Hülle, die bloße Darstellung eines Ministers, die uns mit schauspielerischer Raffinesse dargeboten wurde? Ist ein Minister am Ende nur ein Automat, den andere mit Worthülsen füllen, ein Medium, durch das die politischen Botschaften nach außen getragen werden?

Bis zu einem gewissen Grad entspricht diese Beschreibung wohl in der Tat der Realität. Ein Minister mag Gesicht und Stimme eines Ministeriums sein – sein Hirn ist er nicht. Dieses setzt sich zusammen aus all den guten Geistern der ex- und internen Beratungsteams, die das Gesicht ihres Ministeriums mit Redebeiträgen füttern.

Das mundgerecht aufbereitete Sprechfutter reicht dabei von Versatzstücken für Interviews über parlamentarische Reden bis hin zu Namensbeiträgen in Zeitschriften. Was bei der Plagiatejagd auf Fake-Doktoren als Kardinalsünde gilt – die Präsentation fremden geistigen Eigentums als eigene geistige Leistung – ist in der Politik der Normalzustand.

Daraus ergeben sich sogleich zwei weitere Fragen:

  1. Wie kann es sein, dass man wichtige politische Ämter, die für Entwicklung und Fortbestand unseres Staates und unserer Gesellschaft von entscheidender Bedeutung sind, ohne die entsprechenden Qualifikationen bekleiden kann?
  2. Warum akzeptieren wir diesen Zustand?

Der Polit-Adel der Parteien

In beiden Fällen sind befriedigende Antworten nur möglich, wenn wir von einem gewissen Anachronismus in unseren Denkmustern ausgehen. Konkret: Obwohl wir in einem demokratisch verfassten Staat leben, folgt unser Denken doch zuweilen feudalistischen oder gar archaischen Strukturen.

Was zunächst die Besetzung politischer Ämter ohne Qualifikationsnachweis anbelangt, so steht diese Praxis offenbar in der Tradition monarchischer Herrschaftsausübung. Wie hierbei nicht die Kompetenz der Herrschenden, sondern ihre adlige Herkunft maßgeblich war, haben auch die Parteien eine Art Polit-Adel begründet.

Demnach sind diejenigen zu höheren Weihen berufen, die sich in ihrer jeweiligen Partei nach oben gearbeitet haben – mit welchen Mitteln auch immer. Die Parteien haben damit den Selbstrekrutierungsmechanismus der früheren Adelshäuser übernommen. Wie man früher „blaublütig“ sein musste, um zu Macht und Einfluss zu gelangen, so muss heute Parteiblut in den Adern derjenigen fließen, die auf einflussreiche Posten gelangen wollen. Kompetenzen spielen dafür allenfalls eine untergeordnete Rolle.

Der Glaube an die Aura des Amtes

Dass es in einer demokratischen Gesellschaft keinen Aufstand gegen einen solchen Polit-Adel gibt, hängt mit noch älteren Denkmustern zusammen.

Wenn ein Kardinal zum Papst aufsteigt, erhält er einen neuen Namen. Analog dazu führt die Erlangung der Ministerwürde dazu, dass die betreffenden Personen nicht mehr mit ihrem Familiennamen, sondern als Herr oder Frau Ministerin angesprochen werden.

Darin spiegelt sich der uralte Gedanke wider, dass nicht die Person das Amt, sondern das Amt die Person formt. Etwas von der Magie des Amtes geht demnach auf die Person, die es ausübt, über.

Dieses magische Denken ist bis heute etwa in der Priesterweihe präsent und war jahrhundertelang die zentrale Grundlage der Königs- und Kaiserwürde. Mit der Übernahme des Priesteramtes oder der Besteigung des Thrones stiegen die Betreffenden gemäß dieser Sichtweise gewissermaßen in höhere Sphären auf. Sie traten in unmittelbarem Kontakt zu einer höheren Macht, deren Kraftfeld sich direkt auf ihre Handlungen übertrug.

Ein Nachhall dieses magischen Denkens ist auch heute noch wirksam, wenn jemand in ein höheres politisches Amt eingeführt wird. Zwar werden die Betreffenden nicht mehr durch Salbung oder andere Praktiken in höhere Sphären gehievt. In dem feierlichen Eid, den sie bei der Amtseinführung leisten, spiegelt sich aber noch immer der rituelle Charakter der Initiation in eine andere Sphäre des Wirkens wider.

Die Gefahr des Missbrauchs anachronistischer Denkmuster

Es versteht sich von selbst, dass derartige irrationale Denkweisen in einem demokratischen Staat nichts zu suchen haben. Nicht nur widersprechen sie dem Anspruch einer aufgeklärten Gesellschaft, dem Ideal mündiger Menschen, die sich kritisch mit den politischen Realitäten auseinandersetzen und auf sie einwirken. Irrationales und magisches Denken lässt sich darüber hinaus auch gezielt für eine Aushöhlung der Demokratie instrumentalisieren.

So erleichtert die abergläubische Ehrfurcht vor der Magie des Amtes es den Parteien, Schlüsselstellen des Staates mit Personen zu besetzen, die nicht über die entsprechenden Qualifikationen verfügen. Ihr Interesse an dieser Besetzungspraxis beruht dabei auf einem anderen, ebenfalls nicht sehr demokratischen Archaismus: dem Führer- oder Führercliquen-Kult.

Demnach soll das entscheidende Machtzentrum der Partei der Inner Circle des Vorstands sein. Diese hierarchischen Entscheidungsstrukturen könnten durch eine Person, die ein hohes Amt mit einer entsprechend hohen Fachkompetenz bekleidet, aber in Frage gestellt werden. Denn sie würde ihre Entscheidungen nicht an Parteibeschlüssen und -interessen ausrichten, sondern schlicht an sachlogischen Überlegungen.

Sozialer Tod durch Entzug der Amtswürde

Diese Praxis der Ämterbesetzung bedeutet andererseits auch: Wenn sich doch einmal eine Person mit hohen Qualifikationen und der Bereitschaft, diese für ihre Arbeit zu nutzen, auf einen wichtigen politischen Posten verirrt, ist ihre politische Halbwertzeit meist recht überschaubar. Meist dauert es dann nicht allzu lang, bis ihr irgendwelche Verfehlungen angedichtet werden und sie aus dem Amt gedrängt wird.

Die Praxis, eine Person nicht nach ihren Kompetenzen, sondern nach der Magie des Amtes, das sie bekleidet, zu beurteilen, ist in diesem Fall gleichbedeutend mit ihrem sozialen Tod. Der Dolchstoß der Partei ist damit gleich doppelt wirksam. Er entfernt die betreffende Person nicht nur von ihrem Posten, sondern gleich ganz aus der Öffentlichkeit.

Dass eigenständige, auch vor Kritik an der eigenen Partei nicht zurückschreckende Positionen derart erfolgreich ausradiert werden können, liegt daran, dass auch die Medien der Magie des Amtes erliegen. Wer ihrer verlustig geht, ist gewissermaßen verflucht – mit solchen Leuten redet man nicht mehr.

Dies ist umso bedenklicher, als der Entzug der Amtswürde in der Vergangenheit auch immer wieder von patriarchalischen Parteinetzwerken genutzt worden ist, um unbequeme Frauen aus dem Weg zu räumen. Zwar werden diese dann hinterher – wie etwa Andrea Nahles mit dem Vorstandsposten bei der Bundesagentur für Arbeit – oft mit schönen Trostpöstchen versorgt. Von dort aus können sie den Parteigranden aber weit weniger gut in die Parade fahren.

Die Vision einer kompetenzorientierten, kollegialen Demokratie

So ist es höchste Zeit für uns, uns mit dem archaischen und feudalistischen Bodensatz unseres Denkens auseinanderzusetzen und die darauf beruhenden Praktiken zu überdenken.

Hilfreich wäre es etwa, Mindestanforderungen für hohe politische Ämter festzulegen. Außerdem könnten wir auch die ehrfurchtsvollen Anredeformen hinter uns lassen, mit denen wir uns heute dem Polit-Adel nähern.

Wäre es in einer Demokratie nicht naheliegender, die in politische Ämter Gewählten – die der Idee nach doch nur uns, das Volk, und nicht ihre gottgleiche Partei repräsentieren – mit Vornamen anzureden und sie zu duzen? Würde das nicht weit eher einer lebendigen Demokratie entsprechen, in der den Menschen nicht vom Thron der Politik herab Entscheidungen verkündet, sondern diese offen mit ihnen diskutiert werden?   

Bild: Albert Thompson: Gemälde aus dem neunzehnten Jahrhundert, das die Ordination von Thomas Carter zum Pfarrer von Woburn/Massachusetts im Jahr 1642 darstellt (Wikimedia commons; Ausschnitt)

4 Kommentare

  1. Jeder Mensch
    ist der unteilbaren Würde
    mit oder ohne Amt
    im Scheitern
    wie im Erfolg
    als Hero
    oder in der eigen
    nackten Schwachheit
    der Hochsitz im Denken
    der Grundguten vergessen
    sich im Kernschatten
    in den Spiegel zu schauen

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  2. Sehr gutes, bedenkenswertes Essay. Vielleicht würde es helfen, wenn es auf Ministerposten Bewerbungsverfahren gäbe, in denen die Kompetenzen nachgewiesen würden. Übrigens ist die „Rekrutierung“ bei Führungspersonal bei Vereinen, Gewerkschaften und Verbänden meist auch nicht viel besser. Da muss zwar der Beruf zumindest meist stimmen, aber es geht auch eher um Macht und Seilschaften als um Kompetenz und Weitsicht. Mit Ausnahmen …. aber die bestätigen ja bekanntlich die Regel.

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