Die Gefährdungsspirale

Die „gefährlichen Gefährder“ und ihre willigen Vollstrecker

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Immer wieder tauchen in der politischen Alltagskommunikation quasi über Nacht neue Begriffe auf – Begriffe unklarer Provenienz, die auf einmal die politische Debatte bestimmen.

In jenen längst vergangenen Zeiten, als es noch politische Utopien gab, gehörte hierzu etwa der Begriff „Sozialromantiker“. Zu denken ist hier ferner an den Begriff „Wutbürger“, der im Zusammenhang mit den Protesten gegen Stuttgart 21 die Schlagwortbühne betrat. Auch das „Kommunizieren“, das in den Schröder-Jahren auf einmal an die Stelle des politischen Diskurses trat, gehört in diese Reihe – und eben auch der „Gefährder“, der seit dem Berliner Terroranschlag durch die Welt der Nachrichten spukt.

All diesen Begriffen ist gemein, dass sie die Richtung politischer Debatten sozusagen in statu nascendi prägen – oder besser noch: diese unterbinden, ehe sie in Gang kommen können. Programmatisch hierfür steht der Begriff des „Kommunizierens“. Wenn früher von „Kommunizieren“ die Rede war, so war hiermit stets ein wechselseitiger Prozess gemeint. Der Ausdruck bezeichnete im politischen Bereich folglich den Austausch von Argumenten und implizierte eine Veränderung der jeweiligen Positionen im Verlauf des Diskurses. Das neudeutsche „Kommunizieren“ ist hingegen eine sehr einseitige Angelegenheit. Man kommuniziert nicht mehr „mit anderen“, sondern „etwas“. Wenn Politiker heute davon sprechen, sie müssten der Bevölkerung ihr Tun nur entsprechend „kommunizieren“, um sie von dessen Richtigkeit zu überzeugen, so handelt es sich daher hier de facto um einen Euphemismus für politische Propaganda.

Typisch für die oben genannten Blitzeisbegriffe ist, dass sie den politischen Gegner vorab diffamieren und ihn so für „nicht satisfaktionsfähig“ erklären. Mit ihm in einen Diskurs einzutreten, erscheint sinnlos, da er Grundregeln des politischen Umgangs und/oder die grundlegenden Axiome der politischen Vernunft missachtet. So wurde mit dem Begriff „Sozialromantiker“ jeder, der den Friedhofsfrieden der alten Bundesrepublik in Frage stellte, als realitätsferner Träumer diskreditiert.

Eine ähnlich diffamierende Wirkung entfaltet auch die Wortzusammensetzung „Wutbürger“. Wer sie hört, denkt an ein Rumpelstilzchen oder an ein ungezogenes Kind, das partout den Lutscher aus dem Regal an der Supermarktkasse haben möchte, obwohl er so schlecht ist für seine Zähne – an einen impulsiven, unvernünftigen Menschen also, nicht aber an einen zivilgesellschaftlichen Akteur, der ökologische und ökonomische Argumente gegen ein Geschenk an die Bauwirtschaft vorbringt.

Der Begriff des „Gefährders“ scheint auf den ersten Blick nicht in diese Reihe zu passen und eher einen objektiven Tatbestand zu beschreiben. Schließlich leben unter uns ja tatsächlich Menschen, die durch ihr Denken und Handeln die Sicherheit unseres Alltagslebens gefährden. Der Ausdruck impliziert jedoch weit mehr als das. Ein „Gefährder“ ist jemand, für den rechtsstaatliche Normen außer Kraft gesetzt werden können, ja müssen, weil er selbst, seiner Natur gemäß, den Rechtsstaat gefährdet. Dies bedeutet nicht nur, dass er selbst – wie es in letzter Zeit regelmäßig geschehen ist – „auf der Flucht“ erschossen werden darf, sondern auch, dass bei seiner Ergreifung rechtsstaatliche Standards allgemein keine Rolle spielen.

Mit dem Begriff wird so durch die Hintertür die Aushöhlung des Rechtsstaats legitimiert. Das Prinzip, dass jeder – auch der „gefährlichste Gefährder“ des Rechtsstaats – Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren hat, weil sich eben hierin die Überlegenheit des Rechtsstaats gegenüber terroristischer Blutrache manifestiert, gilt auf einmal nicht mehr. Und auch die Abwägungsdebatte über das Maß an Überwachung und Kontrolle, das ein Rechtsstaat verträgt, ehe er unter dem Druck der terroristischen Bedrohung kollabiert und selbst zu einem Unrechtsregime mutiert, wird so nachhaltig zurückgedrängt.

Da auch immer wieder von potenziellen „Gefährdern“ unter den in Deutschland Zuflucht suchenden Menschen die Rede ist, werden mit dem Begriff überdies die humanitären Standards des Asylsrechts unterspült. Kompromisslose, massenhafte Abschiebungen ohne lästige Einzelfallprüfungen und eine differenzierte Analyse der Gefährdungslage im Zielland der Abschiebung lassen sich leichter durchsetzen, wenn suggeriert wird, dass sich unter den Abzuschiebenden „Gefährder“ befinden. Sehr wirkungsvoll unterbindet dieser bürokratendeutsche Exzess somit den Gedanken an die Menschen, die sich hinter den Abschiebequoten befinden. Der „Gefährder“ – und erst recht seine absurde Steigerung, der „gefährliche Gefährder“ – wird eben nicht mehr als menschliches Wesen wahrgenommen. Vielmehr erscheint er als lebende Waffe, als bedrohliches Ding, das „entsorgt“, „unschädlich gemacht“, „liquidiert“ werden muss.

Wenn man zu jenen Menschen gehört, die sich bemühen, in allem etwas Positives zu sehen, könnte man sagen, dass die Wirkmächtigkeit der genannten Begriffe generell die ungeheure Deutungsmacht der Sprache beweist. Die Sprache prägt eben unsere Wahrnehmung der Realität nicht nur, sondern erschafft diese sogar zu einem gewissen Grad erst – vor allem dort, wo es um soziale Realität geht. Dies ist für jene, die die Feder für mächtiger halten als das Schwert, zweifellos eine ermutigende Erkenntnis. Umgekehrt bedeutet das aber auch: Wenn wir es zulassen, dass das Gift der politischen Schlagworte ungefiltert in unsere Hirne einsickert, können wir die Realität irgendwann nicht mehr anders wahrnehmen als durch die Brille jener, die die entsprechenden Begriffe geprägt haben.

So gesehen, sind die „gefährlichsten Gefährder“ unseres Rechtsstaats nicht jene, die Blutbäder auf Weihnachtsmärkten anrichten. Niemand wird sich durch eine solche Tat zu den kruden Ideologien der Attentäter bekehren lassen, in denen die Ideale des demokratischen Rechtsstaats keine Rolle spielen.

Natürlich werfen solche Anschläge die Frage auf, wie wir die Sicherheit im öffentlichen Raum verbessern können. Dafür müssen wir aber keineswegs das Asylrecht aushöhlen und unser Land in einen Überwachungsstaat verwandeln. Fürs Erste würde hier schon ein effizienterer Einsatz der vorhandenen Ressourcen weiterhelfen. Hierzu zählt etwa eine verbesserte Koordination der vorhandenen Dienste, die durch den föderalen Flickenteppich in Deutschland und Eifersüchteleien zwischen den einzelnen Behörden oft behindert wird, aber auch die Finanzierung von Dienstleistungen, die nicht im primären Interesse des Staates liegen, durch jene, die durch die entsprechenden Veranstaltungen Geld verdienen. Die zusätzlichen Mittel, die sich beispielsweise durch die kostenpflichtige Gewährleistung der Sicherheit bei Fußballspielen generieren ließen, könnten dann wiederum in neues Personal investiert werden.

Eine Verbesserung der Sicherheitslage muss demnach keineswegs zwangsläufig zu einer Beschneidung des Rechtsstaats führen. Dessen „gefährlichste Gefährder“ sind folglich nicht die Terroristen, sondern jene, die die politischen Totschlagbegriffe mutwillig in den Mund nehmen und verbreiten. Ich denke dabei noch nicht einmal an die altbekannten Haudraufpolitiker, von denen man gar nichts anderes erwartet, als dass sie auf jeden Terroranschlag reagieren wie ein Hund auf einen hingehaltenen Knochen und laut „Überwachung, Kontrolle, Abschiebung“ bellen. Für viel bedrohlicher halte ich die Teflonpolitiker, die sich geschmeidig jedes neue Schlagwortkostüm überstreifen, weil sie damit Punkte bei der verunsicherten Bevölkerung zu machen hoffen. Sie sind für mich die wahren Totengräber des Rechtsstaats.

Leider habe ich die Quelle noch nicht entdeckt, aus der die immer neuen Schlagwortblasen an die Oberfläche der politischen Alltagskommunikation aufsteigen. Sollte mir das irgendwann einmal gelingen, werde ich sicher nicht zögern, ein paar Anti-Schlagworte als Gegengift gegen die Entdemokratisierung der politischen Sprache und die Lähmung des politischen Diskurses in die Quelle zu streuen. Wundert euch also nicht, wenn in den Nachrichten auf einmal ganz selbstverständlich von parlamentarischen Gefährdern, Wutpolitikern und Kommunikationszynikern die Rede sein sollte.

3 Kommentare

  1. Klasse. …“Blitzeisbegriffe“. So toll geschrieben. Ich habe nur das erste Drittel, den Rest überflogen,
    was Du über Kommunizieren schreibst, las ich sehr gern, dankbar über die von Dir gefundenen Worte und Gedanen.

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