Seit der bahnbrechenen Studie von Dennis Meadows u.a. aus dem Jahr 1972 reden wir über die „Grenzen des Wachstums“. Dennoch kreist unsere Wirtschaft noch immer um das goldene Kalb des Wachstums. Was aber sollen wir tun, wenn alle Studien, die die verheerenden sozialen und ökologischen Folgen ungebremsten Wachstums belegen, einfach missachtet oder als „Fake“ abgetan werden? Wenn Proteste dagegen ignoriert oder niedergeknüppelt werden? Wenn die maßgeblichen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger sich gegenseitig in einer Ideologie bestätigen, die Tiere und Pflanzen schlicht als Rohstoff, als Futter für den großen Wachstumsdrachen betrachtet? In einer Ideologie, die immer mehr Ökosysteme zerstört und so auch unsere eigenen Lebensgrundlagen sukzessive untergräbt? – Vielleicht kann die dichterische Klage ja die Empfindung für das Verlorene schärfen und uns so dabei helfen, neue Kraft zu schöpfen für den Kampf gegen das scheinbar Unabwendbare.
Das Land
Der Wald ein Stoff ein Kapital
die Stämme mundgerecht zerstückt
der Mond von Scheinwerfern zerpflückt
auf Wüstenhängen bleich und kahl
das Land von Reifenfurchen wund
Schoß in den sich Pfeiler zwingen
Feld an dem Traktoren wringen
Moos das unter Teer verstummt
des Himmels Tränen säen Gift
Kelch der unsichtbar zerfällt
ein Schiff in unerkannter Drift
die Nacht ein Apfel ohne Kern
Traumfähre die an Stein zerschellt
und hinter Glas der Abendstern
Tiere
Des Schlachthofs Rachen ein Verrat
sauber sirrend Fließbandwaffen
ein Schrei ein Ahnen jäh ein Straffen
Blut spuckend brav ein Automat
Rotoren richten monoton
ein Netz das Meer aus schwarzem Sand
Scheinwerfer lauern unerkannt
Hochsitze wie ein Götterthron
die Folter forschend zelebriert
stumpf ein Leben an der Leine
würgend Gift und Schutzgebärden
doch nie von Menschenhand berührt
der Rehblick des Instinktes Schreine
und die Dämmerung der Herden
Natur
Ein geflügeltes Pferd
ist meine Braut. Ihre Mähne,
glänzend von silbrigem Tang,
umflackert sie fledermaushaft,
wenn mit dem Sturmwind sie tanzt.
Eine trächtige Kuh
ist meine Braut. Ihre Augen,
zwei blühende Krater,
weisen den Weg zu den fruchtbarsten Weiden,
zu Gärten mit Früchten, nektarschwer,
und zu verborgenen Quellen, himmelsklar.
Jeden umarmt sie,
meine Braut, jedem
gibt sie sich hin.
Ihr aber schneidet Schneisen in ihr Haar.
Ihr übergießt ihre Haut mit siedendem Teer.
Ihr verschließt ihre Poren mit totem Beton.
Ihr pfählt ihre Augen mit Türmen aus Stahl.
Ihr schändet ihr Gesicht.
Ihr fräst Schrunden in ihre Wangen.
Ihr brecht ihren Blick.
Ihr Traumzelt versengt ihr
mit peitschendem Licht.
Ihr raubt,
wo man beschenken euch will.
Ihr schändet die Schenkende.
Ihr erntet ihr Blut,
Vampire im Erlösergewand,
Kreuzigende,
die die Auferstehung preisen.
So liegt sie im Staub, meine Braut,
mit zuckenden Flügeln,
wie eine sterbende Libelle,
ein Pfau ohne Federn,
eine Fledermaus ohne Nacht,
ein Delphin ohne Flossen,
ein Milan ohne Himmel,
eine schutzlose Schnecke,
unbehaust.
Ich aber weiß:
Sie wird nicht untergehen.
Sie kann nicht sterben.
Frische Kräfte nur
erschläft sie sich.
Eines Tages aber
wird sie sich schütteln.
Erzittern wird ihre Haut
wie ein Gebirgsrücken, der bebend sich faltet.
Ihr Atem wird ein Erbrechen sein
aus Lava und beißendem Gas.
Orkane
werden ihre Flügel gebären,
die in die Meere fahren
mit lässigem Griff, wahllos
alles durchwühlend, Chaos säend
und Ordnung.
Und alles wird sein wie am ersten Tag.
Weiterer Beitrag zum Thema: Inneres und äußeres Wachstum. Die Paradoxie eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums
Toller Beitrag!
Liebe Sonntagsgrüße vom Lu
LikeLike
Dankeschön und dir auch einen schönen Sonntag!
LikeLike
🌟🌟🌟
LikeGefällt 1 Person
Vielleicht verändert sich ja doch etwas, wenn man schon an einer ganz gewöhnlichen Geburtstagsparty auf dem Land von den Grenzen des Wachstums redet. Ich hoffe es! LG
LikeGefällt 1 Person