Anstößiger Anstand

Über die Frankfurter Ausstellung „Contemporary Muslim Fashions“

Fashion portrait of young beautiful muslim woman and old brick wall background with copy spaces.

Eine Ausstellung über „Contemporary Muslim Fashions“ im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst erhitzt derzeit die feministischen Gemüter im Lande. Vor allem Emma-Feministinnen sind empört: Muslimische Mode? Islamische Kleidung? Das ist doch ein Instrument der Unterdrückung von Frauen, ihrer Marginalisierung, ihres Ausschlusses vom öffentlichen Leben! Wie kann man so etwas mit künstlerischen Fotos feiern?

In der Tat ist die Ausstellung, so betrachtet, nicht ganz unproblematisch. Befürworter islamischer Kleidervorschriften könnten hieraus den Schluss ziehen, dass diese, modisch interpretiert, die Schönheit von Frauen erst richtig zur Geltung bringen und insofern westlichen Kleidungsgepflogenheiten überlegen sind.

DennocYoung african american muslim womanh ist kaum zu erwarten, dass die Ausstellung bei streng gläubigen Mullahs auf große Begeisterung stoßen wird. Denn die Bilder zeigen die Frauen zwar in Kleidern, die den islamischen Vorschriften entsprechen. Sie bieten ihnen andererseits aber auch eine Bühne, durch die sie, anders als durch strenge islamische Kleidervorschriften intendiert, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Außerdem verweisen sie auf die Freiheiten, die Frauen im Umgang mit den Kleidervorschriften bleiben, ihre Möglichkeiten, diese so zu interpretieren, dass sie damit eben nicht hinter einer schwarzen Wand verschwinden, sondern sich als unverwechselbare Person zur Geltung bringen können.

Natürlich könnte man hier argumentieren, dass eben darin die Gefahr der Ausstellung liegt: Werden die Kleidervorschriften nicht verharmlost, indem statt der Zwänge, die sie Frauen auferlegen, die Freiheiten betont werden, die ihnen innerhalb des Kleidungskodex bleiben?

Ein Argument, das nicht von der Hand zu weisen ist. Es ähnelt ein wenig einem Grunddilemma der Kunst: Dürfen Künstler auch in Zeiten politischer Unterdrückung schöne Gedichte und Gemälde produzieren? Unterstützen sie damit nicht implizit die unterdrückerischen Regime, indem sie zeigen, dass auch unter diesen Bedingungen ein „schönes“ Leben möglich ist? Oder deuten sie, gerade umgekehrt, auf die Utopie des anderen Lebens hin, das unter den gegebenen Verhältnissen nicht realisiert werden kann und also einen radikalen Systemwechsel erfordert?

Übertragen auf die Frankfurter Ausstellung, entspricht das der Frage: Festigen die Bilder das System des politischen Islam, indem sie zeigen, dass Frauen auch unter diesen Bedingungen als unverwechselbare Individuen in Erscheinung treten können? Oder befeuern sie den Wandel, indem sie die Frauen dazu ermutigen, gegen die strengen Vorschriften zu opponieren und ihre Freiräume sukzessive aPortrait of Muslim girl in the cityuszudehnen?

Unabhängig davon stellt sich allerdings auch die Frage, ob Frauen nicht schon allein dadurch als Gruppe diskriminiert werden, dass sie in der Weise „ausgestellt“ werden, wie es die Frankfurter Schau tut. Eine vergleichbare Ausstellung mit islamischen Männern ist jedenfalls kaum vorstellbar. Denkbar ist allenfalls eine Bilderschau mit Schwarz-Weiß-Fotos von greisen Mullahs, die in den Falten ihrer altersweisen Gesichter die geistige Spannweite der islamischen Welt widerspiegeln. Da haben wir dann wieder das alte Klischee von der schönen Frau und dem geistreichen Mann, von Natur und Geist, irdischer Schönheit und himmlischer Vollkommenheit.

Auch hier gibt es jedoch ein „Andererseits“. Denn: Haben wir diese diskriminierende Polarität denn in unserer Kultur überwunden? Fördern Sendungen wie „Germany’s next Topmodel“ und die – allen Kontrollen zum Trotz – noch immer barbiehaften Werbebilder weiblicher Körper nicht auch ein Bild der Frau, dass diese auf ein genormtes, am äußeren Erscheinungsbild orientiertes Schönheitsideal festlegt?

Gerade in diesem Punkt bieten iBeautiful arabic womanslamische Kleidervorschriften gegenüber den westlichen Kleidungsusancen einen entscheidenden Vorteil: Frauen können sich hier der Warenförmigkeit entziehen, auf die sie das körperbetonte Schönheitsideal tendenziell reduziert. Ich denke dabei nicht an die sargähnlichen Ganzkörperschleier, die in der Tat nichts anderes sind als ein Instrument der Unterdrückung und des gesellschaftlichen Ausschlusses von Frauen. Gesichtsschleier und Kopftuch können jedoch im Sinne eines raffinierten Spiels mit den weiblichen Reizen wirken: Sie sind da, aber auch nicht da, und sie werden nur für diejenigen enthüllt, die die Frau dieser Reize für würdig befindet. Sie selbst ist es also, die darüber entscheidet, ob und wem sie ihre Schönheit schenkt.

In der westlichen Welt existiert dagegen ein beständiger Druck für Frauen, einem bestimmten Schönheitsideal zu entsprechen. Dieses betrifft zudem nicht nur die Kleidung, sondern den Körper, affiziert die Person also viel direkter, als es zumindest bei den liberalen islamischen Kleidervorschriften der Fall ist. Die leidige Burkini-Diskussion hat darüber hinaus gezeigt, dass es tendenziell sogar die Erwartung gibt, nackte Haut zu zeigen. Wenn die Freiheit der Frau aber daran festgemacht wird, dass sie sich entblößt, steht diese Freiheit in der Gefahr, als Freiheit männlicher Voyeure fehlinterpretiert zu werden.

Aus der subjektiven Perspektive von Frauen in knapper Bekleidung stellt sich das natürlich ganz anders dar. Sie wollen einfach die Freiheit haben, so viel oder so wenig Kleidung am Leib zu tragen, wie sie es für richtig halten. Lüsterne Blicke sind ein Problem der Männer und müssen durch entsprechende soziale Ächtung eingedämmt werden.

Nun ist es aber ein Unterschied, ob frau im Sommer ein lockeres T-Shirt und Shorts anzieht oder ob sie gezielt zu einer als „sexy“ beworbenen Kleidung greift. Denn „sexy“ kann Kleidung ja nur in Bezug auf ein imaginäres Gegenüber sein. Sie antizipiert die körperliche Anziehung im Blick des Betrachters, unabhängig davon, ob dieser real existiert oder nicht. Auch hier besteht die Bekleidungsfreiheit also darin, sich potenziell zu einem Objekt für andere zu machen.

Was wir daran sehen, ist, dass Kleidung selten neutral ist. Oft ist sie ein Spiel mit den Blicken, die andere uns zuwerfen, und mit den Beziehungen, die dadurch erträumt oder angebahnt werden. Dies ist bei den raffinierten, verdeckend-enthüllenden Kopftüchern des liberalen Islam nicht anders als bei Mini-Kleidern und eng anliegenden Blusen – nur dass das Spiel mit den Erwartungen im einen Fall versteckter und feiner dosiert ist als im anderen.

Westliche Kleidungsgepflogenheiten und die Kleidervorschriften des liberalen Islam repräsentieren damit unterschiedliche Punkte eines Kontinuums, das von „Neutralisierung der körperlichen Reize“ bis zu „Betonung der körperlichen Reize“ reicht. Am unteren Ende der Skala, die den Menschen auf ein reizloses Neutrum reduziert, stehen gleichberechtigt der uniforme Dresscode der Bürowelt und die Ganzkörperschleier des frauenfeindlichen Islamismus. Interessanterweise reiht sich dort aber auch die FKK-Kultur ein. Nichts erstickt die von den Köperformen ausgehenden Reize wirksamer als die ungeschminkte Nacktheit der Vielen.A stylish and fashionable Muslim Malay woman walks down a corridor during the day. She is wearing a colorful turban and a flowing and comfortable ethic garment.

Es ist also gerade die Phantasie, die Imagination der Nacktheit, die stimulierend wirkt. Daraus lässt sich dann aber auch schlussfolgern, dass die Phantasie dort, wo der Körper der Frau als etwas Anstößiges verdrängt und versteckt werden soll, als positives Regulativ wirken kann. Dies bezieht sich nicht nur auf den Körper als solchen, sondern auch auf die Haltung, die die Frau diesem und ihrem Leben im Allgemeinen gegenüber einnimmt. Eben deshalb geht von der Frankfurter Ausstellung in der Summe ein befreiender Impuls aus: Sie zeigt, dass der menschliche Geist über die Möglichkeit verfügt, eine Situation relativer Unterdrückung sukzessive aufzubrechen, indem er mit seiner Phantasie die Utopie einer vollständigen Befreiung antizipiert.

 

Link zur Ausstellung

 

Bildernachweis: alle Bilder von fotolia: 1. Korrawin: Fashion portrait of young beautiful muslim woman and old brick wall background 2. Fotofabrika: Young african american muslim woman. 3. Pantovich: young muslim girl in the city. 4. Kalim: arabic woman. 5. Danon: A stylish and fashionable Muslim Malay woman walks down a corridor

4 Kommentare

  1. Die Diskussion darüber was Frau anziehen darf und was nicht geht mir sowas von auf den Wecker. Ich verstehe auch diese Ausstellung nicht. Das ist keine Kunst, das sind zwar wunderschöne Frauen und in der Tat ist angezogen meist besser als nackt (in Indien sind die Frauen durchwegs besser angezogen als hier), aber das gilt auch für Männer. Auch die Männer in Indien sind in aller Regel besser gekleidet als hier selbst wenn sie arm sind. Warum hat man hier nur Frauen in Kopftüchern fotografiert? Warum nicht auch Männer oder Divers in was weiß ich für Klamotten. Wo sind die Gleichstellungs bzw. LGTB-beauftragen? Unfassbar, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll – als Frau. Und dass die doofen Linken (zu denen ich mich eigentlich mal zählte, aber diese Idioten werden mir immer fremder und wenn ich so im Nachhinein darüber nachdenke, waren die Linken immer schon blöde Machos) die Kopftuchfrau besonders bewundern – das kann ich nicht verstehen. Ich möchte keine Personen diskriminieren und schon gar nicht Frauen mit Kopftuch. Ich bemühe mich, jeden einzelnen Menschen nur als Mensch wahrzunehmen. Aber die Ideologie des Kopftuchs an sich kotzt mich an. Es ist ein schleichender Prozess, den niemand aufhalten kann. Ich habe in Flüchtlingsklassen Deutsch unterrichtet und bin dort im Sommer mit langärmligen, nicht körperbetonten Oberteilen und langen Hosen gegangen weil ich weiß, dass das für Menschen aus diesem Kulturkreis sonst ein Problem wäre, sich zu konzentrieren. Es war ein Akt der Höflichkeit. Ich weiß was sich gehört. Nur: So geht das, schleichend, und nur mit guten Absichten.

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    1. Dass immer über Frauenbekleidung und nicht über Männer gesprochen wird, ist natürlich eine Analyse wert!- Mir ging es hier nicht ums Kopftuch. Auch ich finde jedweden Kleiderzwang problematisch. Mir ging es eher um die Reaktionen zu dieser Ausstellung und die mangelnde Diskussion unserer „Körperzwänge“. Genau von den angesprochenen „linken Machos“ wurde die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen als „Freiheit“ verkauft. Der Spruch hieß demgemäß ja auch „Wer zweimal mit DER Gleichen pennt ….“ Und nun sehen wir all die „alten Säcke“ von damals mit ihren jungen hübschen Frauen herumlaufen. Ihnen gegenüber stehen die Emma-Feminstinnen (womit ich ene bestimmte Art des Feminismus meine, der von den Gender-Studien noch relativ unbeeinflusst ist und immer noch in den althergebrachten Opfer-Täter-Kategorien denkt) , die jeder muslimischen Frau mit Kopfbedeckung Rückständigkeit und Unterwürfigkeit attestieren wollen, was auch ziemlich anmaßend und diskriminierend ist. Darum ging es hier und deshalb mal ein paar selbstbewusste Frauen mit Kopfbedeckung ….. um zu zeigen, dass die Welt nicht so ganz schwarz-weiß ist, wie von ganz links und ganz rechts angenommen …. und es eben auf das Individuum und die jeweilige Lebenssituation ankommt. …. Wie viel Rassismus steckt in unseren Zugängen zur Kleidung und in den vermeindlich feministischen Reaktionen auf diese Ausstellung?- Und: Wie selbstgefällig gehen wir mit unseren Geschlechterverhältnissen und Körperbildern um?

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  2. In der Debatte um „das Kopftuch“ und seine religiöse Bedeutung, gehen die Menschen unter Kopftuch und Schleier verloren. Und dies ist auch in so mancher feministischen Debatte der Fall. Es ist keine „Frauenbefreiung“, wenn ich den Frauen Ihr Recht auf kreativen Umgang mit „islamischer“ Kleidung abspreche und sie zu Objekten meiner westlich-feministischen Vorstellungen mache. Im Prinzip negiere ich ihre Individualität ebenso wie es die Mullahs tun. Deshalb gefällt mir der Text. Er provoziert stellenweise schon ein wenig, aber er legt auch den Finger in so manche Wunde unserer westlichen Selbstgerechtigkeit!

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