Windkraftkolonialismus

Ein Widerstandsappell

Der Wachstumshunger der Windkraftindustrie ist ungebrochen. Mit einem fast schon fanatischen Hass auf unberührte Natur wird für jeden Hügel, der nicht das Glück hat, in einem Nationalpark zu stehen, ein Windpark geplant. Und da Deutschland nur über eine begrenzte Aufstellfläche für Windkraftanlagen verfügt, richtet sich der Landhunger der Stromunternehmen mehr und mehr auf unberührte Natur im Ausland.

Mittlerweile kann man fast schon von einer Art Windstromkolonialismus sprechen. Auffallend ist jedenfalls, dass die Eroberungszüge der Konzerne sich besonders gerne auf Siedlungsgebiete von Ureinwohnern richten. Diese Gebiete genießen zwar oft einen Schutzstatus. Für die heilige Windkraft lässt dieser sich jedoch leicht außer Kraft setzen. So sind die Regierungen in den entsprechenden Ländern oft froh, einen Hebel zu haben, um in die bisherigen Tabuzonen vordringen zu können.

Jüngste Beispiele für diesen Öko-Imperialismus – oder genauer: einen Imperialismus, der sich ein pseudo-ökologisches Mäntelchen umhängt – sind die Windkraftanlagen, die das deutsche Windstromunternehmen wpd in einem chilenischen Indiogebiet baut, und die Windparks und Stromleitungen, mit denen die Münchner Stadtwerke in unberührten norwegischen Gebieten ihren Energiehunger stillen möchten. Sie werden damit die Weidegründe der Rentiere und folglich auch die Lebensgrundlage der einheimischen Samen zerstören.

Natürlich sprechen die Stadtwerke nicht von Renditemöglichkeiten, die ihnen die Errichtung von Windparks durch das deutsche EEG eröffnet. Stattdessen feiern sie die Naturzerstörung als „grüne Wende“, für die eben alle ein Opfer bringen müssten. München allerdings nicht: Vor den Toren der Stadt dreht sich ein einsames Windrad, nach langen Diskussionen wird demnächst ein zweites gebaut. Es ist die Landbevölkerung – ob in Deutschland oder anderswo –, die das Festhalten an der Wachstumsideologie mit dem Verlust der Natur bezahlen muss. Dafür darf auch die Demokratie außer Kraft gesetzt werden. Wie in Deutschland die Gemeinden kaum oder gar nicht über die Errichtung von Windkraftanlagen mitbestimmen können, sind auch in Norwegen die Bagger exakt an dem Tag angerollt, an dem vor Ort ein Referendum über die Windparks angesetzt war.

Obwohl es in Deutschland mittlerweile über tausend Anti-Windstrom-Initiativen gibt und die kritischen Berichte über die Windkraft zunehmen, rollt die Windkraftwalze weiter ungehindert über das Land. In ihrem kreuzritterhaften Fanatismus, gepaart mit der Goldgräberstimmung einer expansionslüsternen Industrie, schwärmen deutsche Stromunternehmen in die ganze Welt aus, um überall die Natur mit ihrer Renditelust zu ersticken. Und noch immer gelingt es ihnen dabei, das Image des „grünen Öko-Stroms“ zu bewahren. Insektensterben, Vogelsterben, Fledermaussterben – all das wird entweder der Landwirtschaft in die Schuhe geschoben oder als Kollateralschaden verbucht, der angeblich für das große Ziel der Weltrettung unvermeidlich ist. Ein Windkraftbetreiber ist immer im Auftrag des Herrn unterwegs und folglich unfehlbar.

Auch die Pressekonferenz der deutschen „Fridays-for-future“-Aktivisten in der vergangenen Woche war in dieser Hinsicht eine einzige Enttäuschung. Klar, es sind Jugendliche, niemand kann von ihnen ein systemisches Denken erwarten, dem sich ja selbst die politisch Verantwortlichen verweigern. Andererseits: Gerade weil sie Jugendliche sind, unterliegen ihre Forderungen nicht den Sach- und Kompromisszwängen, denen politische Entscheidungsträger sich beugen zu müssen meinen. Dies würde Maximalforderungen ermöglichen, vor denen Letztere auch mit Blick auf die möglicherweise strafenden Kreuzchen des Wahlvolks zurückschrecken.

Stattdessen haben die Aktivisten kaum etwas anderes gefordert als das, was die Bundesregierung ohnehin plant. Einziger Unterschied: Es soll schneller gehen. Schnellerer Kohleausstieg, früherer Komplett-Umstieg auf „erneuerbare“ Energien. Keine Infragestellung der Wachstumsideologie und ihres Energiehungers, kein Hinweis auf alternative, weniger energieintensive Lebensformen, kein Wort zu den klimaschädlichen Auswirkungen der Massentierhaltung.

Auch von dieser Bewegung ist also kein Umsteuern in der Energiepolitik zu erwarten, das nicht mehr der absurden Linie folgt, Klimaschutz auf Kosten des Naturschutzes erreichen zu wollen. Es ist eine Rechnung, die nicht aufgehen kann: Die Zerstörung der Natur und die Aushebelung des Artenschutzes zu Gunsten eines unkontrollierten Windkraftausbaus werden am Ende die Ökosysteme so nachhaltig zerstören, dass dies auch die Klimaziele in Frage stellen wird. Zudem wird die Lebensqualität auf dem „Land“ – das am Ende nur noch ein einziges Mega-Kraftwerk sein wird – so stark abnehmen, dass dies die Abwanderung in die Städte fördern wird.

In der Folge wird sich nicht nur die Problematik der Wohnungsknappheit noch weiter verschärfen. Vielmehr wird auch die Entfremdung von der Natur zunehmen, die in den zugebauten Städten nur noch in der musealen Schwundform einzelner Grünstreifen zu erfahren sein wird. Diese Entfremdung wird dann wieder die Naturzerstörung befördern: Wir werden in einem Teufelskreis gefangen sein, der uns dem Weltuntergang mindestens ebenso nahe bringen wird wie die sich anbahnende Klimakatastrophe.

Ich weiß: Es hat im Grunde keinen Sinn mehr, diese Klagen immer wieder vorzubringen. Die Windstrom-Dschihadisten lässt das völlig kalt, solange sie bei ihren Stehempfangsgeschäften mit ihren Politikermarionetten nicht gestört werden. Deshalb ist es an der Zeit, dass sich diejenigen, die die katastrophalen Auswirkungen eines unkontrollierten, ungebremsten Windstromausbaus erkannt haben, nicht nur stärker vernetzen, sondern sich auch noch entschiedener politisch engagieren.

Ich sage das ungern, weil ich mich an dieser Stelle schon mehrfach als bekennender Gegner des Parteienstaates geoutet habe. Solange bei uns aber die Macht nicht vom Volk, sondern von den Parteien ausgeht, lassen sich politische Entscheidungsprozesse eben nur über eine Partei wirksam beeinflussen. Und da die im Bundestag vertretenen Parteien den Windkraftausbau entweder unreflektiert unterstützen oder, wie die AfD, ihre Windkraftskepsis mit inhumanen Ansätzen auf anderen Politikfeldern verbinden, müsste die Anti-Windkraft-Bewegung eben eine eigene Partei gründen. In Mecklenburg-Vorpommern hat die Partei Freier Horizont ja schon vorgemacht, dass und wie das geht. Auf den dort gemachten Erfahrungen ließe sich sicherlich auch für ein bundesweites Parteiprojekt aufbauen.

Der nahe liegende Name für die neue Partei wäre natürlich „Gegenwind“. Er ließe sich, im übertragenen Sinne gebraucht, auch gut mit anderen politischen Forderungen verbinden. Gemeint sein könnte damit etwa (um hier nur einige mögliche Politikfelder beispielhaft herauszugreifen): Gegenwind für die Wachstumswirtschaft, Gegenwind für den Kahlschlag in den Sozialsystemen (Stichwort Hartz IV), Gegenwind für den inhumanen Umgang mit Flüchtlingen, Gegenwind für den zunehmenden Militarisierungsdruck. Der Begriff ließe sich zudem leicht ins Positive wenden, so dass niemand der neuen Partei fehlende Konstruktivität und eine reine Anti-Haltung vorwerfen könnte. Dann hieße es (in Bezug auf die oben genannten Beispiele): Rückenwind für einen Naturschutz, der diesen Namen verdient, Rückenwind für einen systemischen Klimaschutz, der alle Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche im Hinblick auf klimaschädliche Auswirkungen auf den Prüfstand stellt, Rückenwind für eine konsequent umgesetzte soziale Gerechtigkeit, Rückenwind für einen humaneren Umgang mit Flüchtlingen, Rückenwind für echte Abrüstungspolitik.

Das Ergebnis wäre eine neue sozial-ökologische Partei, deren Handeln nicht auf populistischen Parolen, sondern auf faktenbasierten Entscheidungen beruhen würde. Vielleicht habe ich ja in meiner Blog-Hütte irgendetwas nicht mitbekommen. Vielleicht gibt es die Initiative für eine solche Partei schon längst. Mir erscheint ihre Gründung jedenfalls so nahe liegend, dass ich eigentlich gar nicht verstehe, warum es sie nicht schon längst gibt.

Die Parteigründung wäre wohl auch gar nicht das Problem. Hierfür müssten nur Ort und Termin für einen Gründungskonvent vereinbart werden. Viel schwieriger wäre es dann aber, sich gegen die Ausgrenzungstendenzen zu behaupten, mit denen im deutschen Parteiensystem auf alle Newcomer reagiert wird. Es ist eben nicht so, dass Wahlen bei uns so „frei und gleich“ sind, wie es das Grundgesetz verheißt. Die großen, etablierten Parteien werden dabei ganz klar bevorzugt. Keineswegs werden alle an den Wahlen teilnehmenden Parteien gleichbehandelt, erhalten also dieselben Werbemittel und dieselbe Präsenz in den Medien. Dafür würde allerdings ein Problem entfallen, vor das sich Parteineugründungen ansonsten gestellt sehen: Durch die vielen Bürgerinitiativen ließen sich leicht die für die Parteiarbeit zentralen Ortsgruppen gründen.

Und dann ist da ja auch noch die 5-Prozent-Hürde, durch die die Wahlberechtigten stets Gefahr laufen, dass ihre Stimme unter den Tisch fällt, wenn sie sich für eine unbekanntere neue Kraft entscheiden. Denn die Möglichkeit einer Ersatzwahl – also der Angabe einer zweiten Präferenz, die zählen würde, wenn die eigentlich favorisierte Partei es nicht ins Parlament schafft – existiert bekanntlich nicht.

Umso wichtiger wäre es, beim Casting des politischen Führungspersonals auf Medienwirksamkeit zu achten, sich also etwa eine moderne Rosa Luxemburg und/oder einen Rauschebart-Guru als Gesicht nach außen zu verpassen. Solche Persönlichkeiten könnten dann auch über einen eigenen Youtube-Kanal Medienarbeit betreiben und auf diese Weise zusätzliche Aufmerksamkeit für die Partei generieren.

Das Hauptproblem einer Partei Gegenwind wäre aber wohl der zu erwartende Shitstorm der Windkraftapostel, die die neue Partei unter Garantie in die Ecke der Kohlebarone stellen würden. Die Alternative wäre aber letztlich eine Form von Selbstzensur, durch die man den Windstromkartellen kampflos das Feld überlassen würde – das sie dann mit ihren naturzerstörerischen Stahlbetontürmen zustellen könnten.

Nachweise

Boddenberg, Sophia: Größter Windpark Chiles: 77 Windräder als neue Nachbarn für die Mapuche. Deutschlandfunk, 7. Februar 2019.

Ratzesberger, Pia / Strittmatter, Kai: Gegen den Strom. Süddeutsche Zeitung, 3. April 2019. [über die Windstromprojekte der Münchner Stadtwerke in Norwegen]

6 Kommentare

  1. Danke für die Erwähnung. Sehr guter Text. Es ist wirklich an der Zeit. Wir haben uns mit Bedacht nicht „Gegenwind“ genannt, weil das negative Assoziationen weckt. Wir sehen uns als Gestalter und Bewahrer. Es ist in der Tat beschämend, wie insbesondere Linke und Grüne den Verstand ausgeschaltet und sich vom grünen Populismus instrumentalisieren lassen haben. Leider haben wir es dadurch gegen den rechten Populismus sehr schwer.
    N. Sch. – Freier Horizont

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    1. Letzteres kann ich mir gut vorstellen. Leider konnte ich das Parteiprogramm auf Ihrer Seite nicht aufrufen. Das wäre hilfreich. Mit einer echten sozialökologischen Haltung sitzt man hierzulande zwischen den Stühlen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg, Kraft und Durchhaltevermögen.

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  2. Guter Artikel! Nur zu Herr Baron!- Wären Sie nicht ein guter Guru mit all Ihren Ideen und Gedanken? – Den Rauschebart können Sie ja wachsen lassen. Aber im Ernst:
    Ich finde es immer erschreckender, dass dieser Wahn nicht aufhört. Die Zerstörungen im ländlichen Raum sind schon nicht mehr zu übersehen, die Fakten sprechen im Prinzip für sich, die Aushölung der Demokratie wird von ernst zu nehmenden Staatsrechtlern diskutiert…und dennoch wird mit irrational-religiösem Eifer an einer „Energiewende“ festgehalten, die weder den Namen verdient noch die Verhältnismäßigkeit zwischen Natur-, Landschaft- und Klimaschutz sowie zuverlässiger, bezahlbarer Stromversorgung einhält. Da ist im Hunsrück von „gelobten Land“ die Rede, Greta T. wird zur Prophetin ernannt und mit biblischen Beschreibungen der Sintflut, die kommt, wenn wir nicht das ganze Land zupflastern um sich geworfen….. Das Ganze erinnert eher an Äußerungen vernebelter Sektenanhänger als an eine vernünftige Klimaschutzpolitik!

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  3. um das weltklima zu retten werden in deutschland riesige wichtige naturräume zerstört, beispiel uckermark vor den toren berlins, einst reinluftgebiet, kein freier hügel mehr, prenzlau, ein riesen windfeld entstanden, 40 mal 40 km, pulsierendes brummen bei nacht, tags wohnen am güterbahnhof, tausende rot blinkende pillone, ein einziger alptraum, menschen erkranken, schlaf und durchschlaf erkrankungen die folge, durch kilometer lange windschleppen erfolgt bodenaustrocknung, unfruchtbare böden die folge, zerstörung der nahrungskette, rückgang der vogelpopulation um über 90%, ebenso werden vögel, fledermäuse und tonnen von fluginsekten die in der höhe ihren hochzeitstanz aufführen geschreddert, es ist eine industriebrache entstanden, was für ein wahnsinn.

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  4. Vielen Dank für diesen Beitrag. Diese Zusammenhänge zeigen, wie rücksichtslos diese Branche geworden ist. Es müsste doch linken und grünen Politiker*innen zu denken geben, dass hier gerade Minderheiten in ihren Rechten beschnitten werden. Aber alles, was problematisch ist an Windkraft, wird bis zur Leugnung und Tatsachenverdrehungen totgeschwiegen: Seien es die Auswirkungen auf die Avifauna, auf den Boden …oder die Forschungen zum Infraschal, die Zerstörung der Landschaft oder die fehlenden Entsorgungskonzepte für die Rotorblätter ….die zunehmenden Unfälle und die fehlende TÜV-Pflicht ….Die Liste kann endlos fortgesetzt werden. Das Argument ist oft „Wir haben keine Daten dazu.“. Zu einer angeblich möglichen 100% Versorgung mit so genanntem „Öko“strom gibt es dann plötzlich Daten. Es wird gelogen und gefälscht. „ExpertInnen“, die eingesetzt werden, um Kritiker mundtot zu machen, erweisen sich oft als Scharlatane oder Branchen-Lobbyisten. Das Ganze ist ein Sumpf und Filz, der kaum noch zu entwirren ist und mit einer immensen kriminellen Energie gespeist wird. Und dieser Sumpf wird die letzten Reste von Landschaft und Natur ersticken, wenn nicht endlich ein paar Politiker*innen ihr Hirn einschalten! „Klimaschutz“ gegen Natur und Demokratie ist eine Perversion!

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