Die Würde des Organspenders

Zur geplanten Reform der Organspendepraxis

Warum wird dem Organspender eigentlich kein Mitbestimmungsrecht über die Weiterverwendung seiner Organe eingeräumt? Würde das nicht die Bereitschaft zur Spende erhöhen? Und würde der Spender so nicht auch seiner Verantwortung gegenüber der Nachwelt eher gerecht werden?

Organspende als Überwindung der Endgültigkeit des Todes?

Es gehört nicht zu den angenehmsten Gedanken, eines Tages als Festessen für Würmer und Maden zu enden, die sich in der dunkelfeuchten Erde an unserem Leib delektieren. Ebenso wenig verlockend ist die Vorstellung, von Flammen aufgefressen zu enden, die den Prozess der Zersetzung im Zeitraffertempo ablaufen lassen, so dass am Ende nur ein Häuflein aus Asche und Knochensplittern von uns übrig bleibt.

Die Organspende wirkt, könnte man meinen, vor diesem Hintergrund fast wie ein Ausweg aus dem Verwesungsdilemma: Wenn ich schon selbst nicht überleben kann, soll doch wenigstens ein Teil von mir weiterexistieren und so zur Verlängerung eines anderen Lebens beitragen. Allerdings ist die Organspende auch mit der Vorstellung verbunden, am Ende nur noch ein Ersatzteillager zu sein, aus dem Ärztemechaniker sich bedienen, um andere, schadhafte Maschinen zu reparieren. Auch kein sehr tröstlicher Gedanke.

Hinzu kommt, dass die Schnittstelle zwischen Leben und Tod allem wissenschaftlichen Fortschritt zum Trotz nach wie vor nicht immer eindeutig zu bestimmen ist. Nur bei starken Gewalteinwirkungen – wie einem Sturz aus großer Höhe oder einer Explosion – ist der Tod ein plötzliches Ereignis, das das Leben von einer Sekunde zur anderen beendet. In etlichen anderen Fällen trifft das mythologische Bild von der „Todesreise“ jedoch eher den Kern des Geschehens. Der Tod ist hier ein Übergang, ein Hinübergleiten von einem Zustand in einen anderen. Selbst ein Mensch, der sein Leben „aushaucht“, ist deshalb nicht sofort tot. Der Gehirntod tritt erst etwas später ein, wenn das Gehirn durch die unterbrochene Blutzirkulation nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Ansonsten könnte es den Gedanken der „Re-Animation“ und die darauf aufbauenden Techniken ja auch gar nicht geben.

Organentnahme auf der „Todesreise“

Das Problem bei der Organspende ist nun, dass der Mensch, dem die Organe entnommen werden, sich exakt in einem solchen Übergansstadium befindet. Im Augenblick der Organentnahme ist er eben nicht vollständig tot – die Organe müssen ausreichend durchblutet sein, um für die Transplantation nutzbar zu bleiben.

Die Argumentation, dass bei der Organspende gerade der entscheidende Teil des Sterbevorgangs – der Hirntod – bereits eingetreten, der Mensch also nur noch ein maschinell am Leben gehaltener Organismus ist, hilft hier auch nicht weiter. Denn es ist nie ganz auszuschließen, dass Ärzte bei einem Menschen, der sich als Organspender deklariert hat, vorschnell die Bemühungen um den Erhalt des Lebens aufgeben, weil sie den Nutzen der Organe für den Erhalt eines anderen Lebens höher gewichten. Dies mag in der Ausnahmesituation und angesichts des Zeitdrucks, unter dem die Entscheidung getroffen werden muss, eher unbewusst geschehen – die Auswirkungen für den Betroffenen bleiben jedoch dieselben.

Hinzu kommt, dass ein rein maschinell am Leben gehaltener Mensch eben trotz allem ein lebender Organismus bleibt. Die Achtung vor der Würde des Lebens gebietet es deshalb, ihn nicht einfach als Ersatzteillager zu betrachten, sondern den Gedanken des „Spendens“ auch im Augenblick des Todes ernst zu nehmen. „Spenden“ impliziert, dass es nicht nur einen Empfänger der Spende gibt, sondern auch ein spendendes Subjekt, das seine Spende an bestimmte Bedingungen knüpfen kann.

Mitbestimmungsrechte des Organspenders?

Dieser Gedanke mag auf den ersten Blick kleingeistig und engstirnig erscheinen. Bedeutet die Bereitschaft zur Spende nicht gerade, dass man nicht nur „großzügig“ – in großen Zügen –, sondern eben auch „freigiebig“ seinen Besitz mit anderen teilt, ihnen diesen also zur freien, beliebigen Verwendung überlässt?

Nun handelt es sich aber bei der Spende eines Organs nicht um irgendeine beliebige Spende. Schon wenn jemand, der über keine nahen Anverwandten verfügt, sich am Ende seines Lebens dazu entschließt, einer jungen Familie sein Haus zu überlassen, wird er dies vielleicht an die Bedingung knüpfen, bestimmte Sträucher und Bäume, die er in seinem Garten gepflanzt hat, weiterhin zu pflegen. Und selbst bei einer Geldspende kann es mir kaum egal sein, was der Empfänger damit macht. Sollte er davon etwa Waffen kaufen und andere töten, würde mich aufgrund meines blinden Vertrauens ja sogar eine Mitschuld hieran treffen.

Eben deshalb verstehe ich auch nicht, warum dem Organspender keinadolf-hitler-quer Mitbestimmungsrecht über die Weiterverwendung seiner Organe eingeräumt wird. Denn auch eine Organspende kann ein Leben verlängern, das anderen Schaden gebracht hat und vielleicht auch weiterhin bringen wird. Natürlich lässt sich argumentieren, dass das im Augenblick der Organtransplantation gar nicht vorhersehbar ist. Unmittelbar einleuchtend ist jedoch, dass ein überzeugter Pazifist seine Organe nicht gerade einem Waffenhändler spenden möchte. Und ein Mensch, der aus tierethischen Überzeugungen das Leid anprangert, das Menschen Tieren zufügen, wird seine Organe wohl auch nicht vorzugsweise in Jägern und Schlachthofbetreibern weiterleben lassen wollen.

Algorithmusbasierte Mitbestimmungspraxis

Es versteht sich von selbst, dass der Organspender in der Übergansphase zwischen Tod und Leben, in der ihm die Organe entnommen werden, den Empfänger seiner Spende nicht mehr selbst aussuchen kann. Denkbar ist jedoch, dass der Organspendeausweis in den entsprechenden Datenbanken mit einem Persönlichkeitsprofil verbunden wird, das sich aus den Kernüberzeugungen des Spenders zusammensetzt. Dabei müsste natürlich sichergestellt werden, dass keine gegen die Menschenwürde verstoßenden, bestimmte soziale Gruppen diskriminierenden Einstellungen mit aufgenommen werden. Konkret: Eine bestimmte politische Präferenz ist o.k. – nicht aber eine allgemein ausländerfeindliche Position, die etwa bestimmte ethnische Gruppen als Organempfänger ausschließen würde.

Dieses Persönlichkeitsprofil könnte dann mit den Profilen möglicher Empfänger abgeglichen werden, wobei die Auswahl nach dem Prinzip der größtmöglichen Nähe zu treffen wäre. Angesichts der Schnelligkeit, mit der heutzutage algorithmusbasierte Entscheidungen getroffen werden können, würde so sicher keine Verzögerung eintreten, die die Organe unbrauchbar machen könnte. Gleichzeitig wäre so jedoch gewährleistet, dass die Organe nicht an eine Person weitergegeben werden, die zufällig auf Platz eins der Warteliste steht, sondern an jemanden, der in seinen Grundüberzeugungen der Persönlichkeit des Organspenders entspricht.

Ich denke, dass man die Bereitschaft zur Organspende mit einer solchen Einbeziehung des Spenders in die Auswahl der möglichen Empfänger deutlich erhöhen könnte. Subjektiv würde dies zum Rückgewinn eines Minimums an Kontrolle in einer Situation äußersten Kontrollverlusts führen. Objektiv könnte eine solche Praxis dem Spender seine Würde zurückgeben, indem sie seine persönliche Integrität im Augenblick der körperlichen Desintegration wahren würde. Die alternativ diskutierte Widerspruchslösung, bei der jeder zum potenziellen Organspender erklärt wird, der der Organspende zu Lebzeiten nicht explizit widersprochen hat, bewirkt dagegen das Gegenteil. Denn sie spekuliert offen auf den unmündigen Menschen, der sich nicht mit seinem Zum-Tode-Sein auseinandersetzen möchte, und verletzt so schon vom Ansatz her die Würde möglicher Organspender.

 

Bilder: Titelbilder: Gerd Altmann: 1. Herz; 2. Verbindung (fraktal) (pixabay). Im Text: Adolf Hitler

16 Kommentare

    1. Genau!- Das war für mich der Anlass, mich noch einmal grundsätzlich mit diesem Problemfeld auseinanderzusetzen. Wenn man bedenkt, dass dahinter über die Lebensrettung hinaus auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen, ist dies ganz und gar nicht unproblematisch.

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    2. Ich habe noch einen längeren Kommentar verfasst, zu dem diese Nachbemerkung gehört. Er ist nicht freigeschaltet worden. Aus der Antwort ersehe ich, dass er offenar nicht der Zensur zum Opfer gefallen ist, weil ich darin bestritten habe, dass es eine „Verpflichtung gegenüber der Nachwelt“ gäbe, die darin bestünde, Organe zu spenden.

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      1. Könnten Sie mir bitte den Kommentar noch einmal schicken? Er wird mir auch bei den zu genehmigenden Kommentaren leider nicht angezeigt. Das ist etwas seltsam.

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      2. Ich habe in dem verlorenen Kommentar erläutert, dass eine Spende eine bewusste, freiwillige und vorsätzliche Handlung ist und dass eine Spende, die ohne den Willen oder ohne das Wissen des Spenders erfolgt, ein Diebstahl ist. Ich halte jede Abweichung von der (noch) gültigen Regelung, bei welcher der Spender bewusst erklärt, dass er ein Organ zu spenden bereit ist, für einen schweren Eingriff in die Freiheit des Individuums. Wir sind schließlich keine wandelnden Ersatzteillager. Wenn man darüber besorgt ist, dass manche Organspende nicht erfolgt, weil der potentielle Spender vergessen hat, seine Spendebereitschaft zu erklären, so könnte man bestenfalls eine Regelung treffen, bei welcher jeder volljährige Mensch verpflichtet wird, zu erklären, ob er gegebenenfalls Organspender werden möchte oder nicht. Besonders delikat finde ich die anvisierte Regelung in Bezug auf geistig Behinderte. Da diese nun unter Zuhilfeziehung einer Betreuungsperson wahlberechtigt geworden sind, was, wenn sie ansonsten nicht geschäftsfähig sind, nicht sinnvoll ist, werden diese Personen, insofern nicht ihr Betreuer für sie das Widerspruchsrecht in Anspruch nimmt, voraussichtlich automatisch zu Spendern.

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  1. Ich finde diesen Blickwinkel interessant bei diesem schweirigen und vielschichtigen Thema. (Auch wenn ich noch nie gestorben bin, möchte ich – gefühlt – eigentlich erst richtig sterben, bevor dann was mit meinem Körper geschieht). Ich wäre allerdings neugierig, ob ein Schlachter mit meinem Herzen auf einmal anfangen würde, auf Falafel und Rucolasalat umzusteigen. :-

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  2. Ein seeehr schwieriges Thema hervorragend dargestellt.
    Ich bin für mich persönlich nach wie vor für den natürlichen Verwesungsprozess. Würmer sind gute Freunde.
    Der ganze Organhandel hat für mich viel zu sehr mit Business zu tun und der Benachteiligung derer, die aus gewissen Gründen nie ein Organ bekommen…
    Herzliche Morgengrüße vom Lu

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  3. Es ist spürbar, dass sich in unserer Zeit eine „Entindividualisierung“ breitmacht – auf dem Arbeitsmarkt zum Beispiel – Dies im Gesundheitswesen ist höchst bedenklich und birgt so einige schwerwiegenden Risiken.
    Die von Jens Spahn gewollte Lösung der Widerspruchsregelung halte ich auf jeden Fall für falsch, Sie hat den Beigeschmack einer Entmündigung.
    Vielleicht sollte es auf der anderen Seite mehr Möglichkeiten geben, zu spenden. Ich darf z.B. keine Stammzellen spenden,, da ich eine Krebserkrankung hatte, (die inzwischen völlig ausgeheilt ist).Gerade da wäre es m.E: sinnvoll, erst mal festzu-stellen, ob ich als Spenderin überhaupt in Frage käme, nach dem Motto, besser eine als keine.
    Mich besorgt es zu sehen, wie voll unsere Krankenhäuser geworden sind, wie lang die Warteschlangen in der Notfallzentrale sind, wie oft und wie viele Betten auf dem Flur stehen, wie viele z.B. alte Menschen in ihren individuellen Bedürfnissen nicht adäquat betreut werden können.
    Wenn rudimentäre Vorrausetzungen einer Krankenhausbehandlung nicht gegeben sind, habe ich erst mal kein Vertrauen, die Befugnis zu einer Organspende zu erteilen.
    Wenn meine Einwilligung einfach umgangen wird, in dem ich aktiv einer Organspende widersprechen muss, schmälert dies mein Vertrauen um so mehr. Wäre hingegen für mich erfahrbar, dass die stationäre Krankenhausversorgung gut abläuft, würde dies meine Bereitschaft zu einer Organspende deutlich erhöhen.
    Mit Gruß Doris

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    1. Was am Anfang gesagt wird, ist sehr scharfsinnig. Der mittlere Teil dieses Kommentars macht die Verfasserin unaussprechlich sympathisch. Aber am Schluss musste ich dann doch lachen, als ich mir vorstellte, wie jemand dem Krankenhaus zum Dank für die gute Betreuung und Verpflegung sein Herz schenkt.

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  4. Ein wirklich kluger Artikel!- Vielen Dank dafür! – Ich denke, die wenigsten Leute wissen, dass die Organe aus einem noch lebenden Organismus entnommen werden müssen. „Hirntod“ ist eine eher philosophische Kategorie. Und hier beginnt die Grauzone: Wenn ich konstatiere, dass ein Mensch dann tot ist, wenn sein Gehirn nicht mehr funktionstüchtig ist und er kein Bewusstsein und Empfinden mehr hat, wo genau setze ich die Grenze? Und wie genau kann sie gesetzt werden: Bei Koma, appalischem Syndrom kann eine Grauzone beginnen… Wie groß ist die Versuchung, Menschen mit schwersten kognitiven Einschränkungen als „Ersatzteillager“ zu nutzen, wenn ihr „wirtschaftlicher Nutzen“ in diesem Fall die Kosten überragen, die sie verursachen. Bei der von Spahn vorgeschlagenen Regelung wird kaum jemand für diese Menschen einen Widerspruch einlegen. Und auch Ihre Überlegungen und die Kommentar unter dem Artikel zeigen, wie unausgegoren die Vorschläge des Herrn Spahn sind.

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