Das Recht auf Arbeit

Teil 4 des Specials zur „Materiellen Demokratie“.

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Die Umsetzung eines Grundrechts auf Arbeit setzt zunächst die Klärung unseres Arbeitsbegriffs voraus. Dabei wird deutlich: Die Vorstellung eines Rechts auf Arbeit ist untrennbar mit selbstbestimmtem Handeln verbunden.

Selbst- und fremdbestimmte Arbeit

Unser Verhältnis zur Arbeit ist ambivalent. Auf der einen Seite verbinden wir die Arbeit emphatisch mit Selbstverwirklichung, die sich aus der aktiven Einwirkung auf die Umwelt und der „Er-arbeitung“ von neuen Handlungsfeldern für die eigene Selbstentfaltung ergibt. Andererseits ist Arbeit uns aber auch eine Last, der negative Gegenpol zu Muße, Freizeit und Ruhestand.
Der grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden Sichtweisen auf die Arbeit ist, dass wir die Arbeitstätigkeiten im einen Fall überwiegend als selbst- und im anderen Fall vorwiegend als fremdbestimmt erleben. Eine klare Zuordnung zu dem einen oder dem anderen Bereich ist allerdings nur in den seltensten Fällen möglich. Wenn wir etwa einen Beruf ergreifen, so haben wir damit das Tätigkeitsfeld, auf dem wir uns mit unserer Arbeitskraft bewegen werden, selbst gewählt. Dennoch können wir später nicht alles, was sich aus den mit unserem Beruf zusammenhängenden Aufgaben ergibt, selbst bestimmen.
Dies gilt auch für Selbstständige. Auch ihnen wird ihre Arbeit bis zu einem gewissen Grad von den Anforderungen ihres Berufes vorgegeben. Dabei werden sie einige Tätigkeiten lieber und andere mit weniger Freude ausführen. Auch wer sich abseits des Erwerbslebens bestimmte Arbeiten vornimmt – etwa in Haus und Garten, im Haushalt, beim Kochen oder Nähen –, muss dabei oft auch Tätigkeiten in Kauf nehmen, die ihm weniger angenehm sind. Auf der Überwindung der „Durchhänger“, die sich daraus ergeben, und der Bewältigung der Anstrengung, die jede intensive Arbeit mit sich bringt, beruht die Bedeutung der Muße – die ohne den Gegensatz zur Arbeit nur unausgefüllte Zeit wäre.

Arbeit aus der Perspektive des Staates

Nicht nur auf der Ebene der Einzelnen bewegt sich die Arbeit in einem Kontinuum von vollständiger Selbstbestimmung und vollständiger Fremdbestimmung. Vielmehr gilt dies analog auch für die Ebene des Staates. Auch hier ist die Arbeit von der Ermöglichung von Selbstverwirklichung einerseits und deren Beschneidung andererseits gekennzeichnet.
Durch die Gewährleistung der freien Berufswahl und der Eröffnung von Möglichkeiten der Berufsausbildung kann der Staat die Einzelnen dabei unterstützen, ihre Arbeitskraft in individuell bereichernder Weise mit ihrer Persönlichkeit zu verbinden. Auf der anderen Seite kann „Arbeit“ in der Diktion des Staates aber auch bedeuten, dass der Einzelne seine Arbeitskraft in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen hat. Nicht zu arbeiten, oder genauer: nicht solche Tätigkeiten auszuführen, die der Staat als Arbeit anerkennt, ist dann ein Zeichen „gemeinschaftsschädlichen“ Verhaltens.
So ist es in der Frühen Neuzeit, als der absolutistische Staat immer stärker den Anspruch erhob, das Leben seiner Bürger zu kontrollieren und wirtschaftlich nutzbar zu machen, zu einer neuen Sicht auf fahrendes Volk und Bettler gekommen. Während Letztere im Mittelalter ein willkommener Anlass für den Nachweis der Mildtätigkeit waren – die eine wichtige Voraussetzung für den späteren Eintritt ins Paradies darstellte – waren sie nun ein Ärgernis, das die Produktivität des Staates bremste. Vor diesem Hintergrund ist auch das Konzept des „Zucht-Hauses“ entstanden, in dem die unproduktiven Müßiggänger durch den Zwang zur Arbeit zu nützlichen Mitgliedern der Gemeinschaft erzogen werden sollten.
Zumindest der Idee nach folgen auch Strafkolonien und Arbeitslager dieser Logik. Indem die Einzelnen hier nicht selten bis an den Rand der Erschöpfung arbeiten müssen, Arbeit also gezielt als Folter und zum Brechen der Persönlichkeit eingesetzt wird, zeigen sie jedoch zugleich, dass die erzwungene Arbeit stets eine Pervertierung des Gedankens einer „Besserung“ des Einzelnen darstellt. Im Vordergrund steht hierbei nie der Gedanke einer Entfaltung der Persönlichkeit durch Arbeit. Vielmehr geht es stets darum, dass diese sich dem Kontrollbedürfnis und dem Effektivitätsanspruch des Staates unterordnet.
Ein Nachhall dieses Denkens findet sich auch noch in dem Konzept des „Förderns und Forderns“, das dem Hartz-IV-Programm zugrunde liegt. Denn auch dieses unterstellt ja implizit, dass die Betreffenden nicht aus strukturellen Gründen, sondern lediglich aus Faulheit oder mangelnder Phantasie keine neue Stelle finden. Suggeriert wird, dass sich hier jemand in „gemeinschaftsschädlicher“ Weise in die „soziale Hängematte“ lege und deshalb eher mit mehr als mit weniger sanftem Druck auf den Arbeitsmarkt zurückgeführt werden müsse. Auch wird „Arbeit“ hier durchgehend mit „Erwerbsarbeit“ gleichgesetzt. Alternative Möglichkeiten, die eigenen Kräfte zu entfalten – etwa durch kreative oder bestimmte soziale, nicht erwerbsförmige Tätigkeiten –, werden erst gar nicht in Erwägung gezogen.

Arbeit und Selbstverwirklichung

Wenn ein „Recht auf Arbeit“ eingefordert wird, ist deshalb stets darauf zu achten, dass daraus nicht unversehens eine „Pflicht zur Arbeit“ wird – oder gar ein Arbeitszwang, verbunden mit der Beschränkung auf Tätigkeiten, die der Staat als Arbeit anerkennt.
So sollte zunächst einmal klargestellt werden, worauf konkret abgezielt, welcher Nutzen jeweils erwartet wird, wenn ein „Recht auf Arbeit“ eingefordert wird. Dabei fällt auf, dass das Recht auf Arbeit unter verschiedenen Aspekten eingefordert wird. Die wichtigsten sind:

  1. Finanzielle Autarkie. Dieser Aspekt kommt etwa bei Heranwachsenden zum Tragen, die auf eigenen Beinen stehen wollen, aber auch bei Lebensgemeinschaften, wenn eine materielle Abhängigkeit eines der Partner vermieden werden soll. Auch das Angewiesensein auf staatliche Unterstützungsleistungen mag manchem – vor allem, wenn diese, wie beim Job-Center üblich, mit Übergriffen auf die eigene Lebensplanung und -gestaltung einhergehen – als Demütigung erscheinen, so dass er/sie notfalls auch persönlich unbefriedigende Erwerbstätigkeiten hinnimmt, um sich die eigene Unabhängigkeit zu bewahren.
  2. Soziale Teilhabe. Dieses Argument wird insbesondere bei Frauen angeführt, die nach Schwangerschaft und/oder Elternzeit wieder in das Berufsleben einsteigen wollen. Es spielt aber auch eine Rolle bei Menschen mit Handicaps, bei denen die Arbeit eine Art Schnittstelle für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sein kann.

Darüber hinaus wird in der Mehrwert-Ökonomie der Wert der Einzelnen aber zu einem großen Maß über die von ihnen ausgefüllten Stellen und ihre Arbeitsleistung definiert. Die Frage „Was sind Sie?“ zielt bei uns weniger auf die Persönlichkeit als auf den ausgeübten Beruf ab. Vor diesem Hintergrund ist die gesellschaftlich anerkannte Arbeit auch allgemein eine Nabelschnur, die die Einzelnen mit der Gemeinschaft verbindet.

  1. Selbsterfüllung. Die hiermit assoziierte Idealvorstellung von Arbeit sieht in dieser eine spezielle Form der Wechselbeziehung zwischen Ich und Umwelt. Durch aktives Einwirken auf die Umwelt kommt es dabei einerseits zu einer Umgestaltung, andererseits aber auch zu einer „An-Verwandlung“ von Letzterer, also zu einem vertieften „Be-Greifen“ der Umwelt und ihrer Beziehungen zum Ich.

Diese Form von Arbeit kann allein oder zusammen mit anderen geleistet werden, sie kann – wie bei handwerklichen Tätigkeiten – eine konkret-unmittelbare Umgestaltung bewirken, aber auch – wie bei geistiger Arbeit – symbolisch-mittelbarer Natur sein. In Abgrenzung zu anderen Formen der Selbsterfüllung, wie sie etwa durch Meditation und Ekstase, Naturerlebnisse oder Gespräche mit Freunden zu erlangen sind, kann hier von einer Selbsterfüllung durch Selbstentfaltung der Person gesprochen werden.

Recht auf Arbeit vs. Pflicht zur Arbeit

Es ist wichtig, die verschiedenen Aspekte von Arbeit auseinanderzuhalten. Denn oft wird das Recht auf Arbeit mit Bezug auf die Idealvorstellung von Arbeit postuliert, de facto aber eine Tätigkeit gemeint, die das Gegenteil von Selbsterfüllung und Selbstentfaltung bewirkt. Am zynischsten wurde das im Konzentrationslager Buchenwald umgesetzt, wo die Häftlinge mit dem über dem Eingangstor angebrachten Slogan „Arbeit macht frei“ begrüßt wurden – ehe sie dann bei der Zwangsarbeit in den Steinbrüchen zu Tode gequält wurden.
Natürlich ist das ein Extrembeispiel. Der offene Zynismus und der bewusste Einsatz von Arbeit als Folter sind Merkmale menschenverachtender Regime. Andererseits ist die Behauptung eines befreienden Charakters der Arbeit gerade dort besonders gefährlich, wo dies nicht klar als propagandistische Verzerrung zu erkennen ist. Ein Beispiel hierfür ist die Arbeit in Gefängnissen oder in Behindertenwerkstätten, wo das Postulat einer segensreichen Wirkung der Arbeit den Profitinteressen derer dient, die auf diese Weise ihre Produkte zu Dumpinglöhnen herstellen lassen können.
Aber auch dort, wo die Arbeit dem Broterwerb oder der Teilhabe an der Gesellschaft dient, kann sie einen die freie Entfaltung der Persönlichkeit behindernden Charakter annehmen. Jede Erwerbstätigkeit, bei der die eingebrachte Arbeitskraft vom Subjekt der Tätigkeit abgespalten wird, widerspricht den Kriterien idealer Arbeit. Denn das Ich kann sich hier ja keineswegs über sein Einwirken auf die Umwelt selbst erfüllen und entfalten. Indem es außerhalb seiner eigenen Verfügungsgewalt liegende Tätigkeiten ausführen muss, entfremdet es sich vielmehr durch deren Ausübung von sich selbst. Wenn zusätzlich noch der Takt der Arbeit dem biologischen Rhythmus widerspricht, können die entsprechenden Tätigkeiten – wie im Fall von Akkord- und Schichtarbeit – sogar krank machen.
Die Forderung nach einem Recht auf Arbeit bezieht sich damit auf eine Form von Arbeit, die den Einzelnen soziale Teilhabe ermöglicht, ohne dass sie dies mit einer Deformierung ihrer Persönlichkeit durch entfremdende Tätigkeiten bezahlen müssen. Am besten sollte der Begriff der „Arbeit“ überhaupt jenen Tätigkeiten vorbehalten bleiben, die eine Selbsterfüllung durch Selbstentfaltung der Persönlichkeit erlauben. Dies kann, muss aber nicht deckungsgleich sein mit „Erwerbstätigkeit“.
Diese Unterscheidung könnte dazu verhelfen, jede Erwerbstätigkeit so anzulegen, dass sie nicht nur auf die bloße Nutzung der Arbeitskraft abzielt, sondern stets von der Person der Beschäftigten ausgeht. Dies müsste in Fällen, in denen die Erwerbstätigkeit keine oder nur geringe Möglichkeiten der Selbstentfaltung bietet, zu einer Ausdifferenzierung der Tätigkeitsfelder führen, die allen eine Form der Selbstverwirklichung durch Arbeit ermöglichen würde.

 

Bild: PublicDomainPictures: Der kleine Gärtner (Pixabay)

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