Konsequente Inkonsequenz

Zum Festhalten der deutschen Politik an der Schutzmaskenpflicht

Der symbolversessene Umgang der deutschen Politik mit dem Coronavirus nimmt immer absurdere Züge an. Das könnte sich im Falle einer zweiten Infektionswelle bitter rächen.
 
Die Schulen als Hotspots deutscher Symbolpolitik
Kompetenzendschungel und runde Tische, die keine sind
Die Schutzmaske als Politik-Surrogat
Drachentöteroptik
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Die Schulen als Hotspots deutscher Symbolpolitik

lost-places-2963769_1920 (2)Peter HZwei aktuelle Umfragen liefern mal wieder düstere Einblicke in den Drittwelt-Alltag an deutschen Schulen. In einer Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) geben mehr als zwei Drittel (71,2 Prozent) der Lehrkräfte an, dass die hygienische Ausstattung ihrer Schulen vernachlässigt worden sei.
Eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) bestätigt dies. Darin berichtet ein Drittel der Lehrkräfte (29 Prozent) von mangelnden Reinigungs- und Desinfektionsmitteln. Ebenfalls ein Drittel der Befragten hat vor diesem Hintergrund selbst zum Putzlappen gegriffen, um die erhöhten Hygieneanforderungen gewährleisten zu können.
Unklar ist laut dieser Studie auch, wie bei Corona-Verdachtsfällen reagiert wird. Lediglich ein Drittel der Befragten wusste bei Auftreten von Fieber oder Husten von regulär eingeleiteten Tests auf das Virus zu berichten. Wie und ob bei manifesten Erkrankungen mit Quarantäneregelungen reagiert wird, war in der Hälfte der Fälle unklar.

Kompetenzendschungel und runde Tische, die keine sind

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Alles muss man selber machen!

Was würde wohl ein Politiker sagen, wenn wir ihn an dieser Stelle mit den Umfrageergebnissen konfrontieren würden? Richtig: „Schutzmaske!“ Und: „Zuständigkeiten!“
Da wir auf dieser Website inklusiv und tolerant sein wollen, nehmen wir auch Politikeräußerungen ernst. Deshalb hier ein genauerer Blick auf die Argumente:

  1. die Zuständigkeiten. Hier müssen wir unserem Interviewpartner uneingeschränkt Recht geben: Der Kompetenzendschungel ist wirklich ein Problem. Gelder, die auf der Bundesebene bereitgestellt werden, müssen vor Ort abgerufen werden. Dafür müssen Finanzierungskonzepte und Haushaltspläne aufgestellt werden. Das ist kompliziert und kostet Zeit. So viel Zeit, dass der Bund durch die Zeitausgabe am Ende oft kein Geld ausgeben muss – was ja irgendwie auch wieder ganz praktisch ist.Frage: Was ist wichtiger: Die Einhaltung des Dienstwegs oder die Bekämpfung der Pandemie? Anders ausgedrückt: Hätte man angesichts der besonderen Situation nicht einen runden Tisch einrichten können, an dem insbesondere die Verteilung der Gelder aus dem Digitalpakt auf dem kurzen Dienstweg hätte geregelt werden können? Wie? Einen solchen runden Tisch gibt es bereits? Ach so, Sie meinen die Kaviarrunde mit den HonoratiorInnen aus Wirtschaft und Hochschule! Kleiner Tipp am Rande: Das nächste Mal könnten Sie dazu auch die Lehrerverbände einladen. Dann könnte man auch etwas Wirklichkeit zu den Fenstern hereinwehen lassen. Oder ist es am Ende gerade das, was mit den hermetischen Artusrunden vermieden werden soll?
  1. die Schutzmasken. Hier bewegt sich die Realität derzeit in etwa zwischen Schilda und Absurdistan. Schutzmasken müssen in Schulbussen und auf Schulhöfen getragen werden. In den Klassenräumen, wo die Kinder einander besonders nahe kommen, dürfen sie jedoch abgesetzt werden.Sind die Klassenräume per Blitz-Baustelle erweitert worden? Verfügen sie alle über hochmoderne Lüftungsanlagen, die die gefürchteten Aerosole permanent nach draußen pusten? Sind wenigstens die Fenster erneuert worden? Antwort: Nöö … In Berlin gibt es hier und da (natürlich nicht in Zehlendorf oder Charlottenburg) Schulen, an denen die Fenster vernagelt werden mussten, damit sie nicht von der Wand fallen. Gelüftet wird hier über die Klassentür, zum Flur hin. Dies ist aber derzeit coronabedingt untersagt – die Kinder sollen mit ihren Viren in der Klasse unter sich bleiben.

Die Schutzmaske als Politik-Surrogat

cap-2923682_1920 (2)Viktoria Borodinova
Meint Ihr das ernst?

Kinder, die ein sehr feines Sensorium für die logischen Brüche in der Argumentation von Erwachsenen haben, reagieren auf eine solche Politik mit Fragen wie: Warum greift uns das Virus eigentlich ausgerechnet auf dem Schulhof an? In den Klassenräumen hätte es doch viel leichteres Spiel, weil wir nicht vor ihm fliehen können! Oder: Warum darf ich nicht zu Oma? Meine Klassenlehrerin ist doch auch gegen das Virus immun – oder etwa nicht?
Auch für den weiteren gesellschaftlichen Rahmen liefern Kinder die passenden Kommentare. Die sehen dann etwa so aus: Das Virus lebt nur noch im Supermarkt – denn da müssen wir ja eine Maske tragen!
Die Realität ist ebenso unbestechlich wie das logische Verständnis von Kindern: Die

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Wann denkt Ihr endlich mal logisch?

ersten Schulen sind schon wieder geschlossen worden, weil das Virus keine Anstalten macht, sich an die von der Politik eingerichteten Verbotszonen zu halten. Die meisten Schulschließungen sind für Sachsen-Anhalt dokumentiert, andernorts breitet man lieber den Mantel des Schweigens über die für die Politik wenig schmeichelhafte Entwicklung.
Was stattdessen beliebt ist: Eigenlob! Die beste Gesundheitspolitik seit der Erfindung der Medizin! Der tougheste Minister seit der Erfindung der Politik! Der unerschrockenste Virentöter seit der Erfindung der Drachentöter!
Unterfüttert wird das Ganze mit passenden Studien. Praktischerweise gibt es seit der Einführung der Maskenpflicht immer neue Untersuchungen, die die Wirksamkeit dieser Maßnahme untermauern. Das Design sieht dabei in etwa so aus: Ein Hamster sitzt in einem offenen Käfig, ein anderer in einem abgedeckten. Aus welchem Käfig entweichen mehr Aerosole?
Das Ergebnis könnte ich auch vorhersagen, ohne die Hamster zu belästigen. Echte wissenschaftliche Studien würden stattdessen mit Kontrollgruppen arbeiten. Das Untersuchungsdesign würde dann etwa die Häufigkeit von Infektionsfällen in Supermärkten mit und ohne Maskenpflicht miteinander vergleichen. Ergänzend müssten Variablen wie Anzahl der Kunden, Lüftungsmöglichkeiten und Einhaltung von Abstandsregeln berücksichtigt werden.
Meine Ausgangshypothese wäre, dass dabei bei der derzeitigen Infektionslage in Deutschland kein zusätzlicher Nutzen der Schutzmasken zu beweisen wäre. Zumindest kein so großer Nutzen, dass dies die negativen – psychischen, sozialen und ökonomischen – Folgen der Maskenpflicht aufwiegen würde.

Drachentöteroptik

Yvain-dragon
Sankt Politikus erlegt den Corona-Drachen

Warum die Politiker dann dennoch so eisern an dem Vermummungsgebot festhalten? Nun, auch hier müssen wir ihnen ja nur aufmerksam zuhören. Das entscheidende Argument, das bei der Diskussion über ein Ende des Verschleierungszwangs zu hören war, lautete: Wenn wir die Maskenpflicht jetzt aufheben, denkt der dumme Michel doch, die Epidemie wäre vorbei!
Es geht also mal wieder um: Symbolpolitik! Darin sind wir in Deutschland ja bestens geübt. Das Klima erwärmt sich? Dann lasst uns doch Stahlbetontürme aufstellen, um es mit den Propellern der Rotorblätter abzukühlen! Ein fieses Virus geht um? Dann vermummen wir uns einfach, damit es uns nicht erkennt!
Als Brandbeschleuniger einer solchen Symbolpolitik wirkt unsere Mediengesellschaft, die exakt dies verlangt: Bilder, die klare Symbole aussenden. Eine Schutzmaske, mit der man sich wie ein Ritter vor der Schlacht präsentieren kann, eignet sich dafür eben besser als die Erarbeitung eines Konzepts zur Sanierung von Schulgebäuden. Gleiches gilt für den öffentlichen Personenverkehr. Auch hier heißt es: Maske gut, alles gut. Verbesserte Reinigungskonzepte? Großzügigere Sitzverteilung, um den Abstand einhalten zu können? Wieso denn: Wir haben doch die Maske!
Das Problem ist nur: Wirklichkeitstauglich ist eine solche Symbolpolitik nicht. Im konkreten Fall heißt das: Wir können nur beten, dass das Virus so gnädig ist, uns nicht nach Virenart im Herbst mit einer zweiten Angriffswelle zu überrollen. Ansonsten wird es sich bitter rächen, dass wir jetzt auf Symbole setzen, statt die derzeitige Ruhepause zu nutzen, um uns besser gegen die Tücken des Virus zu wappnen.

Links:

VBE: Ausreichender Gesundheitsschutz – Fehlanzeige!, Pressemitteilung zu einer Forsa-Umfrage vom 9. Juni 2020

GEW: „Politik muss Hygienestandards an Schulen sicherstellen“. Pressemitteilung zu einer Civey-Umfrage vom 2. Juli 2020

Zu den Schulschließungen in Sachsen-Anhalt vgl. MDR: Neue Corona-Fälle: Weitere Schulen in Magdeburg müssen schließen. 15. Juni 2020

 

Bildnachweise: StockSnaps: Kids (Pixabay); Peter H. : Lost Places (Pixabay); Viktoria Borodinova: Junge mit Mütze (Pixabay); Pexels: Kleines Mädchen (Pixabay); Yvain kämpft gegen den Drachen. Aus dem Stundenbuch des Jacques d‘ Armagnac, 15. Jhd. (Wikimedia)

4 Kommentare

  1. Schöner, weißer Humor! Man könnte nicht weißer waschen. „Hygiene“, ist schlicht das Wort derzeit, an dem ich mich so ‚erfreue‘. Irgendwie warte ich eh die ganze Zeit darauf, dass demnächst angeordnet wird, mit Händen in Plastik steckend herum sein zu müssen. Immerhin, den Bolsonaro in Brasilien soll es erwischt haben. Was damit gesagt sein will: wer auf Spatzen großmütig und verschwenderisch schießt oder schießen lässt, wird irgendwann fliegen oder fliegen gelassen – fragt sich nur wohin! Diesen Leuten kannst Du nicht mehr helfen, sorry!!! Abgehoben, dass es nur noch quietscht!

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    1. Tatsächlich schwankt die Reaktion auf das Virus zwischen totaler Hysterie und übertriebener Symbolpolitik und totaler Ignoranz. Viele Schulen in Deutschland sind so marode und auf einem so niedrigen sanitären Standard, dass sie auch keiner normalen Grippewelle gewachsen sind. Ja: Um Bolsonaro tut es mir nicht leid. Wenn das Virus klug ist, befällt es nun als Nächstes den Trump.

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