Totgeburt „Beherbungsverbot“

Ein Lehrstück in politischer Panikmache

Beim Beherbungsverbot gilt eindeutig:“Nomen est omen“! Es ist nicht nur ein Wortungetüm, sondern entspricht auch in seinen praktischen Auswirkungen ganz dem Ungeist der konsequenten Inkonsequenz, der die deutsche Corona-Politik kennzeichnet.

Ermutigendes in mutlosen Zeiten

Konsequente Inkonsequenz

Intransparente Herleitung des Stempels „Risikogebiet“

Herberge und Beherbungsverbot

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Ermutigendes in mutlosen Zeiten

Corona, Corona, Corona: Die Infektionszahlen steigen, täglich werden neue Hotspots ausgemacht und Risikogebiete identifiziert. Kein Zweifel: Die „zweite Welle“, von der wir den ganzen Sommer lang gemunkelt haben, ist da, das Coronavirus holt zum zweiten Schlag aus.
Es gibt aber auch ermutigende Zahlen: Ende August (genauer: am 28. August) hatten in Deutschland 240.561 Corona-Infektionen zu 9.359 Todesfällen geführt. Unter den 72.289 Personen, die sich in den folgenden 6 Wochen (bis zum 13. Oktober) laut Zahlen des Robert-Koch-Instituts mit SARS-CoV-2 infiziert hatten, gab es 281 Todesfälle. Die Mortalitätsrate ist damit von 3,89 auf 0,39 Prozent gesunken.
Hierin spiegelt sich zum einen die größere Erfahrung im Umgang mit SARS-CoV-2 wider und die bessere Vorbereitung der Krankenhäuser auf Covid-19-Fälle. Zum anderen ist unser Medizinschrank heute aber auch besser gefüllt als zu Beginn der Pandemie. Für die verschiedenen Stadien der Erkrankung gibt es mittlerweile diverse Präparate, die den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können. Für den Beginn der Erkrankung ist das vor allem Remdesivir, das die Vermehrung der Viren behindert (1). Die im späteren Verlauf der Erkrankung gefährliche überschießende Immunreaktion des Körpers kann u.a. durch Dexamethason – ein Präparat aus der Gruppe der Glukokortikoide – eingedämmt werden (2). Dies senkt insbesondere die Mortalitätsrate im Falle notwendiger Beatmungsmaßnahmen.

Konsequente Inkonsequenz

Die logische Schlussfolgerung aus Erkrankungsstatistik und der Bilanz unseres Corona-Kenntnisstands ist: Wir müssen weiter wachsam sein und das Virus im alltäglichen Umgang miteinander im Blick behalten. Panik lässt sich aus der Situationsanalyse aber weder herleiten, noch ist sie für den Anti-Virus-Kampf hilfreich.
Das „Beherbungsverbot“ ist deshalb das völlig falsche Signal. Es ist nichts anderes als politische Panikmache. Mit seiner Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen allein aufgrund ihres Wohnortes entspricht es ganz dem Wandel der deutschen Corona-Politik, deren Fokus sich immer mehr vom Kampf gegen das Virus auf die Bekämpfung möglicher Keimträger verlagert.
In ihren konkreten Auswirkungen ist die Maßnahme vor allem eines: konsequent inkonsequent. Einerseits gelten alle, die in einem vermeintlichen „Risikogebiet“ leben, als potenzielle Virenschleudern, deren Einreise in andere Gebiete um jeden Preis verhindert werden soll. Andererseits bleibt das Pendeln zu Arbeitszwecken ausdrücklich erlaubt, ganz egal, von welchem Ort und wohin gependelt wird.
Hier haben wir es also mit einem klaren Fall magischen Denkens zu tun: Weil die heilige Kuh namens „Wachstumswirtschaft“ auf jeden Fall weiter gemästet werden soll, wird schlicht dekretiert, dass das Virus bei Pendlern und ihren Kontaktpersonen die Füße still zu halten habe. Um das Virus gnädig zu stimmen, wird zusätzlich ein Abwehrzauber namens „Mund-Nasen-Schutz“ eingesetzt. Wer ihn trägt, ist – o Wunder! – in den engen Vorortzügen auch ohne Abstandsregeln unerreichbar für die Krankheitserreger der anderen Keimträger, ganz egal, wie dicht sie sich an ihn drängen.

Intransparente Herleitung des Stempels „Risikogebiet“

Um die aktuelle Corona-Politik richtig einzuschätzen, ist es hilfreich, sich noch einmal genauer anzuschauen, wie eine Region sich den Stempel „Risikogebiet“ erwirbt. Die entscheidende Kennziffer hierfür ist die Anzahl der wöchentlichen Neuinfektionen. Liegt die Zahl bei über 50 pro 100.000 Einwohner, wird das Stigma „Risikogebiet“ aktiviert.
50 pro 100.000: Das sind 0,05 Prozent. Selbst wenn man die hohe Ansteckungsgefahr durch SARS-CoV-2 berücksichtigt, ist dieser Wert als Grundlage für die weitreichenden Maßnahmen, die mit der Bezeichnung einer Region als „Risikogebiet“ verbunden sind, erstaunlich niedrig. Entscheidend ist aber etwas anderes: Auf welcher Grundlage der Grenzwert 50 festgelegt worden ist, ist selbst anerkannten Virologen nicht klar. So gibt etwa Gérard Krause, von 2005 bis 2013 Leiter der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert-Koch-Institut und heute Wissenschaftlicher Leiter der Abteilung Epidemiologie am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, offen zu, er habe „nie verstanden“, woher dieser Grenzwert komme (3).
Krause gibt auch zu bedenken, dass die Konzentration auf die Infektionszahlen einen falschen Eindruck erwecken könne, da ein Anstieg hier möglicherweise lediglich aus einer verstärkten Testaktivität resultiere. Er plädiert deshalb dafür, als kritischen Messwert eher die Zahl der tatsächlichen Erkrankungen an Covid-19 – und nicht die Zahl der Infektionen mit SARS-CoV-2 – zu verwenden:

„Ich halte die Zahl der Erkrankungen für die maßgeblichere als die Zahl der Infektionen, denn die Zahl der Infektionen ist ganz, ganz anfällig für die Testaktivität. Wenn man große Testkampagnen macht, dann wird man eine große Zahl positiver Tests finden von Menschen, die gar nicht erkrankt sind.“ (4)

Herberge und Beherbungsverbot

„Beherbungsverbot“ ist ein Wortungetüm – „Beherbergen“ aber ist ein Wort mit einem angenehmen Klang. Es erinnert an „Beheimaten“, „Behüten“ und „Beschützen“, also an lauter Aspekte gelebter Solidarität. Wer die Bibel nach Belegen für das Wort „Herberge“ durchforstet, wird dort zahlreiche Nachweise finden, die von der Aufnahme kranker und sorgengeplagter Menschen handeln, davon, dass einer dem anderen in seiner Not beisteht (5).
„Beherbungsverbot“ klingt damit wohl nicht ganz zufällig nach „Behütungsverbot“, also nach einem Verbot tätiger Nächstenliebe. Mit dem Etikett „christliches Abendland“, das wir uns sonst immer so gerne verpassen, hat das nicht allzu viel zu tun. Und doch werden auch diejenigen, die jetzt für das „Beherbungsverbot“ eintreten, sich an Weihnachten wieder ein Tränchen abdrücken, wenn sie an jene Mutter denken, die ihr Kind in einem Stall gebären musste, „weil in der Herberge kein Platz für sie war“.

  1. Beigel, John H. et al.: Remdesivir for the Treatment of Covid-19 – Final Report. In: New England Journal of Medicine, 8. Oktober 2020.
  2. Horby, Peter, Shen Lim, Wei / Emberson, Jonathan R. / Mafham, Marion: Dexamethasone in Hospitalized Patients with Covid-19 – Preliminary Report. In: New England Journal of Medicine, 17. Juli 2020.
  3. Erkrankungszahlen sollten der Kernfokus sein, nicht die Infektionszahlen“. Gérard Krause im Gespräch mit Ralf Krauter. Deutschlandfunk (Forschung aktuell), 9. Oktober 2020.
  4. Ebd.
  5. Vgl. die Belegstellen auf bible.knowing-jesus.com.

Bild: Wassili Perow (1833 – 1882): Auf Herbergssuche (1864/1865); Tretjakow-Galerie (Wikimedia)

4 Kommentare

  1. Danke für die interessanten Überlegungen. Die Panikmache verhindert Kluges Abwägen von Maßnahmen. Mein Eindruck: Jeder Politiker (seltsamerweise tun sich vor allem Männer hier hervor) will durch immer neue Vorschläge in die Schlagzeilen. Eitelkeit? statt Verstand.

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  2. Statistiken selber lesen, selber rechnen. Der Corona Test spuckt nach 30 fachem Potenzieren in etwa 5 Prozent aller Tests ei positives Resultat aus. Von diesen positiv getesteten werden/sind etwa 3 Prozent krank. Die Sterberate liegt bei weniger als einem Prozent. Covid-19 verhält sich wie eine eher strenge Grippewelle. Es ist unverhältnismässig, solche menschenverachtenden Massnahmen zu ergreifen und darüber hinaus darauf zu setzen, dass sich die Bevölkerung selber kontrolliert. Ich empfehle zur Erhellung Gunnar Kaiser. Liebe Grüsse von Regula

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  3. Ich finde den Ansatz dieses Textes, das unüberschaubare Phänomen von der Sprache her anzugehen, sehr vielversprechend. Es ist nur ein Ansatz, aber der Anfang ist gemacht. Schon jetzt zeichnet sich ab: Corona ist in vieler Hinsicht ungesund.

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