Ein Komet im Jahr des Teufels

Über Jaromir Nohavicas Lied Kometa

Jaromir Nohavicas Lied Kometa ist eine musikalische Vanitas-Meditation. In Tschechien werfen manche dem Liedermacher allerdings vor, mit solchen poetischen Songs seine Verstrickung in das realsozialistische Spitzelwesen zu kaschieren.

Ich sah einen Kometen über den Himmel schweifen
und beschloss, ein Lied für ihn zu singen.
Doch er verschwand wie ein Reh im Wald,
nur ein paar Sterntaler blieben mir von ihm.

Unter einer Eiche vergrub ich meinen Schatz.
Ach, eitler Stolz! Ich weiß es ja: Niemand
von uns wird deine Wiederkehr erleben,
Komet, für den ich gern gesungen hätte

über das Wasser, das Gras, den Wald
und den Tod, mit dem es keine Versöhnung gibt,
über die Liebe, den Verrat, über unseren Planeten
und all die Menschen, die darauf leben.

Die Himmelszüge kreisen heut‘ auf festen Bahnen.
Johannes Kepler fing sie ein mit seinem Fernrohr,
sie und die Geheimnisse des Himmels,
die nun auf unsern Schultern lasten

wie die uralten Geheimnisse der Natur:
dass nur ein Mensch einen Menschen gebiert,
dass alle Zweige eine Wurzel eint,
dass das Blut unserer Hoffnungen das All durchfließt.

Wie ein Relief eines verstorbenen Künstlers
war der Komet. Ich wollte ihn berühren,
weit hinauf in den Himmel klettern –
und blieb doch gefangen in meiner Vergeblichkeit.

Eine Davidstatue aus weißem Marmor,
so stand ich da und flog im Geiste mit dem Kometen,
dessen Wiederkehr ich nicht erleben werde.
Jemand anders wird dann für ihn singen

über das Wasser, das Gras, den Wald
und den Tod, mit dem es keine Versöhnung gibt,
über die Liebe, den Verrat, über unseren Planeten
und das Lied, das ich nicht für ihn singen konnte.

Jaromír Nohavica (mit der Musikgruppe Čechomor): Kometa aus dem Soundtrack zum Film Rok d’abla (Das Jahr des Teufels; 2002)

Live in Strážnice (Straßnitz):

Ein Blick in den Spiegel der Kunst

2002 kam in Tschechien der Film Rok d’abla (Das Jahr des Teufels) in die Kinos. Nicht nur die Zuschauerzahlen – 100.000 in den ersten zwei Monaten – übertrafen alle Erwartungen. Die Produktion wurde auch mehrfach auf Festivals ausgezeichnet.

Der Film ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Kunstwerk, das die Kunst selbst thematisiert. Er handelt zunächst von einem Filmemacher, der einen Dokumentarfilm über ein Sanatorium für Alkoholkranke drehen will. Vor allem aber dreht er sich um die Person, die der Filmemacher in dem Sanatorium trifft: um Jaromír Nohavica.

Der 1953 im osttschechischen Ostrava geborene Nohavica spielt sich in dem Film selbst. Im Mittelpunkt stehen dabei seine Auftritte mit der Band Čechomor, die – in Gestalt von Karel Holas – auch zusammen mit Nohavica für die Musik zu dem Film verantwortlich zeichnet.

Begleitet von Čechomor, singt Nohavica in dem Film auch den Song Kometa. Dabei handelt es sich um ein Lied über die Vergänglichkeit und die Vergeblichkeit menschlichen Strebens, daneben aber auch über die Utopien, wie sie sich im Traum vom Hinaufsteigen zu dem fremden Kometen widerspiegeln.

Vanitas und Verrat

Wer den Sänger nicht kennt, wird das Lied schlicht als poetische Vanitas-Reflexion wahrnehmen. In Tschechien aber dürften manche wohl vor allem bei einem bestimmten Wort in dem Song hellhörig werden: dem Wort „Verrat“. Eben dieser nämlich wird Nohavica seit Jahren von ehemaligen Weggefährten vorgeworfen.

Im Kern geht es darum, dass Nohavica in den Akten des tschechischen Staatssicherheitsdienstes (StB: Státní bezpečnost) unter dem Decknamen „Mirek“ als Agent geführt wurde. Inwieweit der Sänger dabei sicherheitsrelevante Informationen weitergegeben, also im engeren Sinn „Verrat“ an Menschen aus seinem Bekanntenkreis begangen hat, ist allerdings umstritten.

Nohavica bestreitet, substanzielle Informationen an den StB weitergereicht zu haben. Damit steht auch hier – wie bei den Stasi-Akten der DDR – die Frage im Raum, wie weit man die Akten eines inhuman agierenden Staatsorgans zur Grundlage der Beweisführung machen kann. Kann man den Aufzeichnungen eines Geheimdienstes, der Desinformation, Lüge und falsche Identitäten als legitime Mittel seiner Arbeit ansah, vertrauen?

Kritik an Nohavicas mangelnder Vergangenheitsbewältigung

Unabhängig davon, ob Nohavica bedeutsame oder wertlose Informationen an den StB weitergereicht hat, fühlen sich jene, die davon betroffen sind, jedoch durch den Vertrauensbruch an sich verletzt. Ein Beispiel dafür ist der bekannte regimekritische Liedermacher Karel Kryl, über den Nohavica nach einem Treffen in Wien Informationen an den StB weiterleitete – nachdem Kryl ihm die Schlüssel zu seiner Wiener Unterkunft anvertraut hatte.

Der 1947 in Olomouc (Olmütz) geborene Jaroslav Hutka fühlte sich von derartigen Formen des Vertrauensbruchs so verletzt, dass er ihnen ein eigenes Lied widmete. In  Udavač z Těšína (Der Spitzel aus Těšín) kritisiert er Nohavicas Verhalten gegenüber Kryl in Wien als „Judasumarmung“ [1].

Darüber hinaus wirft Hutka seinem Liedermacherkollegen vor, einer Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit aus dem Weg zu gehen und sich stattdessen in unpolitische „Traumbilder“ zu flüchten. Mit seinen „poetischen Wendungen“ und „anmutigen Reimen“ kaschiere er sein Fehlverhalten, anstatt sich ihm zu stellen [2].

Zwischen Vorverurteilung und Selbstmitleid

Infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat sich die Kritik an Nohavica noch einmal verstärkt. Denn dieser hatte 2018 aus der Hand von Wladimir Putin die Puschkin-Medaille entgegengenommen, mit der in Russland besondere kulturelle Leistungen, aber auch Verdienste um die Völkerverständigung ausgezeichnet werden. Sowohl in Polen als auch in Tschechien wurden daraufhin nach Beginn des Krieges Konzerte von Nohavica unter Hinweis auf seine angebliche Nähe zu Wladimir Putin abgesagt.

Allerdings hat Nohavica den Krieg gegen die Ukraine bereits unmittelbar nach Kriegsbeginn in einem aus seiner Wohnung ins Internet übertragenen Konzert unzweideutig verurteilt. Sowohl in ukrainischer als auch in russischer Sprache distanziert er sich darin von Putins kriegerischer Politik [3].

Dementsprechend bitter reagierte der Sänger auch auf die Konzertabsagen, die er mit der Zensur während der Zeit des Kommunismus verglich: „Ich bin im Kommunismus geboren, und ich werde im Kommunismus sterben“ [4].

Dieselben Worte hatte Nohavica allerdings auch schon in einem Lied benutzt, mit dem er sich gegen die von Hutka gegen ihn erhobenen Vorwürfe gewehrt hatte. Darin kehrt er die Anschuldigungen um und vergleicht das Wühlen anderer in seiner Vergangenheit mit dem Vorgehen des kommunistischen Staatssicherheitsdienstes [5].

So fällt die Beurteilung der Debatte um Nohavica zwiespältig aus: Auf der einen Seite haben wir einen Künstler, der sich selbst zum Opfer stilisiert und so der Auseinandersetzung mit seiner Verstrickung in das realsozialistische Spitzelwesen aus dem Weg geht. Auf der anderen Seite scheinen Teile der tschechischen Kulturszene aber auch überzureagieren, indem sie Nohavica fast schon zu einem Sündenbock für all das stilisieren, was der kommunistische Staat seinen Bürgern angetan hat.

Nachweise

[1]    Jaroslav Hutka: Udavač z Těšína (Der Spitzel aus Těšín, 2007); Musik: Vladimír Veit.

[2]    Ebd.

[3]    Jaromír Nohavica:Vlaštovko, leť (Flieg, Schwalbe); Online-Konzert vom 2. März 2022.

[4]    „Narozen v komunismu, umřu v komunismu,“ napsal Nohavica po zrušení jeho koncertu („Ich bin im Kommunismus geboren, und ich werde im Kommunismus sterben“, schrieb Nohavica, nachdem sein Konzert abgesagt wurde); Echo24.cz, 17. März 2022; englische Fassung auf REMIX (mx.news), 21. März 2022.

[5]    Jaromír Nohavica: Já si to pamatuju (Ich erinnere mich daran); aus der Live-CD Ikarus (Januar 2008); Liedtext auf nohavica.cz.

Weiteres Lied von Čechomor mit Infos zur Band:

Ein Liebeslied als erotischer Trapeztanz (Über den Song Proměny/Verwandlungen)

Bilder: Alessandro Bianconi: Komet C/2022 E3 (ZTF); Istituto Nazionale di Astrofisica, or INAF, 27. Januar 2023 (Wikimedia commons); Mohylek: Jaromír Nohavica bei einem Konzert im polnischen Poznań (Posen), Juni 2004 (Wikimedia commons)

2 Kommentare

  1. Mir wurde der Song gestern von youtube eingespielt, als icb mit dem Rad zur Nachtschicht fuhr. Zwielicht im Zwielicht.

    Diese Art der Musik haut mich immer um. Erst später begann ich nach dem Lied zu suchen und bin dankbar hier etwas gefunden zu haben.

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