Über den Song Krtek (Der Maulwurf) der tschechischen Band Buty
MUSIKALISCHE SOMMERREISE 2023: Tschechien
In ihrem Song Krtek singt die tschechische Band Buty von einem Maulwurf, der von der Welt jenseits seines dunklen Baus träumt. So trifft das Schicksal tschechischer Bergleute hier auf Platons Höhlengleichnis.
Der Maulwurf
Ein Maulwurf wurde geboren
tief in der Erde. Beim Milchsaugen
kam etwas Staub in seinen Mund.
Er hustete ihn aus und wollte sehen,
was da in seinen Mund geraten war.
Aber es war nur Dunkelheit um ihn herum.
„Du wirst nie etwas sehen können“,
belehrte ihn da seine Mutter.
Von einem Herrn mit gelber Jacke
lasse ich mir eine Pfeife
und Tabak zur Arbeit bringen.
Angenehm riecht dieser Tabak,
angenehm und unbestimmbar.
Fremdartig wie der Schatten
der gelben Jacke meines Tabakspenders
streift er meine Seele.
Der Herr entzündet meine Pfeife,
wir reden und wir rauchen,
und im Tanz der Tabakschwaden
entgleite ich in Märchenwelten,
sehe, was ich nie gesehen habe,
spreche von unerhörten Dingen,
bis aus dem Formenspiel der Schwaden
sich vor mir enthüllen:
Ufos, Siphons, Mailand, Nylon,
alles hängt zusammen,
alles offenbart sich
wie durch einen kleinen Riss,
einen Schaufelspalt im Boden
unter einer dunklen Blumenwurzel.
Wir alle sehn in einen leeren Himmel –
wir alle – außer dem Maulwurf.
Buty: Krtek aus: Rastakayakwanna (1997)
Videoclip:
Die Maulwurfshöhle und Platons Höhlengleichnis
Mit ihrem Lied über den Maulwurf, der sich die für ihn unsichtbare Welt jenseits seines Baus erträumt, lädt die Band Buty zu erkenntnis- und sozialphilosophischen Überlegungen ein.
So lässt das Höhlenleben des Maulwurfs natürlich an Platons Höhlengleichnis denken, bei dem die menschliche Sinneswahrnehmung mit einem Leben in einer Höhle verglichen wird. Das mit den Sinnen Wahrgenommene erschafft dabei eine trügerische Wahrheit. Die eigentliche Wahrheit, das Wesen der Dinge, liegt in einer Ideenwelt jenseits der Höhle.
Der Maulwurf hätte dabei den Menschen in Platons Höhlengleichnis die Einsicht voraus, im Dunkeln zu leben und sich um ein Guckloch in die eigentliche Wirklichkeit des Seins bemühen zu müssen. Allerdings scheint auch er dabei – nicht anders als seine Mitwesen oberhalb der Erde – nicht sonderlich erfolgreich zu sein. Die Zusammenhänge, die er in seiner Phantasiewelt konstruiert – Ufo und Syphon, Mailand und Nylon – vermitteln ihm jedenfalls nur einen lächerlichen Anschein von Sinnhaftigkeit.
Maulwurfs- und Bergmannsträume
In Verbindung mit dem Videoclip stellt der Song auch Bezüge zum Bergbau her. Dieser blickt gerade in der Region Ostrava, aus der die Band Buty stammt, auf eine lange Geschichte zurück.
Der unter der Erde lebende Maulwurf verweist so auch auf das harte Leben der Bergleute, die bei ihrer Arbeit unter Tage selbst wie Maulwürfe leben mussten und vom Leben außerhalb der Gruben abgeschnitten waren. Die Träume des Maulwurfs lassen sich damit auch auf die Träume der Bergleute von einem sorgloseren Leben beziehen.
Dunkle Höhle, leuchtender Himmel
Der abschließende Satz des Liedes erhält so einen doppelten Sinn. Dass wir alle – nicht aber der Maulwurf – in einen ganz „gewöhnlichen“, unbelebten Himmel sehen, kann zum einen so verstanden werden, dass der Maulwurf – anders als wir – nicht von den Sinnen getäuscht wird. Eben weil ihm seine Augen kein trügerisches Abbild der Wirklichkeit vorgaukeln, kann er zum wahren Kern des Seins vordringen.

Gleichzeitig blickt der Maulwurf aber auch gerade deshalb auf einen belebteren, bunteren Himmel als andere, weil er in einer Traumwelt lebt. Wie heißt es doch so schön in dem berühmten Lied von Friedrich Holländer? – „Wünsche sind nur schön, solang sie unerfüllbar sind.“
Während in der saturierten Wohlstandswelt oberhalb des Maulwurfsbaus aus Überfluss längst Überdruss geworden ist, assoziiert der Maulwurf in der Kargheit seiner Höhle die Erfüllung seiner materiellen Wünsche noch mit einem auch im geistigen Sinn erfüllten Leben. Eben weil seine Träume unerfüllt bleiben, funkeln sie bunter als die Träume derer, die sich ihre Wünsche mit einem Fingerschnippen erfüllen können.
Über die Band Buty

Die Band Buty (ein Dialektwort für „Stiefel“) wurde 1986 von Richard Kroczek und Radek Pastrňák in Ostrava als Zusammenschluss zweier anderer Bands gegründet. Zwischen 1992 und 2012 brachte sie acht Alben heraus, in denen die Band immer wieder neue Musikstile ausprobiert hat. Auch die Texte zeichnen sich häufig durch eine besondere Originalität aus.
Nachweis Lied von Friedrich Holländer:
Wenn ich mir was wünschen dürfte (1931); gesungen von Marlene Dietrich
Bilder: Dirk Schumacher: Maulwurf (Pixabay); Jasmin: Märchenschloss (Pixabay); Pavel Ševela: Die Band Buty bei einem Auftritt in Brno (Brünn), August 2009 (Wikimedia commons)
Die Musik sagt mir nicht so zu, dein interpretierender Text hingegen sehr. Im Video (und in der Musik) wird leider darauf verzichtet, ein „auch im geistigen Sinn erfülltes Leben“ erahnen zu lassen. Das erträumte Leben ist banal wie das reale.
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