Musikalische Selbstfindung in einer Berghütte

Über die tschechische Band Zrní und ihr Lied Jabloně (Apfelbäume)

MUSIKALISCHE SOMMERREISE 2023: Tschechien

Die tschechische Band Zrní („Die Saatkörner „) zeichnet sich durch einen ganz eigenen musikalischen Stil aus. Dies zeigt sich auch an ihrem Song Jabloně (Apfelbäume), der zudem mit einem beeindruckenden Videoclip verbunden ist.

Apfelbäume

Sie fallen, sie fallen zu Boden wie Apfelbäume,
die Menschen fallen wie Apfelbäume,
die Zweige im Himmel,
die Blätter in der weichen Erde.

In Pfützen fallen sie, in Pfützen,
seelenbeladen,
wie verdorrte Apfelbäume
fallen sie in die weiche Erde.

Die Wolken des Todes kommen,
die Wolken des Todes gehen.
Das Trauerkreuz noch auf der Stirn,
sinkt die Hand schon wieder in die Asche.

Noch gehen sie, noch stehen sie,
seelenbeladen,
neben der glimmenden Glut
unter dem wolkenverhangenen Himmel.

Zrní: Jabloně aus: Hrdina počítačový hry jde do světa (Der Computerspielheld geht hinaus in die Welt; 2011)

Videoclip:

Wie aus einer Boygroup eine Singer-Songwriter-Band wurde

Die Band Zrní  („Die Saatkörner „) wurde 2001 im unweit von Prag gelegenen Kladno von ein paar Gymnasiasten gegründet. Wie Frontmann Honza (Jan) Unger sich später erinnert, war das Ziel dabei zunächst schlicht, mit Straßenmusik ein wenig Taschengeld zu verdienen und die Mädchen zu beeindrucken. So sang die Band auch zunächst auf Englisch und orientierte sich in ihrer Musik an Rock- und Pop-Legenden wie den Beatles und den Rolling Stones [1].

Irgendwann, so Unger, habe man den „pubertären Wunsch, (…), wie die Hippies zu spielen“, jedoch abgelegt. An dessen Stelle sei der Wunsch getreten, nicht mehr die Musik anderer nachzuspielen, sondern sich selbst „durch Musik auszudrücken“:

„Allmählich begannen wir uns danach zu sehnen, unsere eigene musikalische Sprache zu finden, die das widerspiegelt, was wir erleben. Der Hauptantrieb war der Wunsch, uns authentisch und rein auszudrücken“ [2].

Für die Umsetzung dieses Ziels ist die Band sehr konsequent vorgegangen. Um sich „von allen Einflüssen befreien und zum Kern unserer selbst vordringen“, haben die Bandmitglieder sich sogar für eine Zeitlang in eine Hütte in den Bergen zurückgezogen, unter der rigorosen Vorgabe:

„Wir durften keine einzige Melodie spielen, die uns an etwas erinnerte, das wir je gehört hatten. Wir durften keinen Alkohol trinken, keine Musik hören, keine Zeitschriften lesen, nichts“ [3].

Absage an den Materialismus

Dieser systematische Selbstfindungsprozess ist der Musik der Band deutlich anzumerken. Sie zeichnet sich in der Tat durch einen ganz eigenen Ausdruck aus, der zu keiner der gängigen Schubladen der Musikindustrie passt.

Der bewussten Distanz zum musikalischen Mainstream entspricht dabei auch ein kritischer Blick auf gesellschaftliche Entwicklungstendenzen. 2012 fand dies seinen ironischen Ausdruck in dem Albumtitel Soundtrack zum Ende der Welt.

Gemeint ist damit natürlich nicht das tatsächliche Ende der Welt. Worum es geht, ist vielmehr

„das Gefühl, dass sich eine Art von Transformation vollzieht. Wir haben den Eindruck, wie auch viele andere um uns herum und auf der ganzen Welt, dass das, was wir jetzt erleben, eine Art Übergang ist, bei dem ein Gedankensystem so unhaltbar ist, dass es verschwindet und durch etwas anderes ersetzt wird“ [4].

Konkret geht es dabei um die Überzeugung, dass der Materialismus als Leitidee der gesellschaftlichen Entwicklung ausgedient habe. Viele Menschen, so Unger, hätten das Gefühl, „dass die Art und Weise, wie wir derzeit leben, uns nicht glücklich macht“, und wir uns wieder verstärkt „tieferen, weniger materiellen Werten“ wie der Natur und den vermeintlich „kleinen“ Dingen des Lebens zuwenden müssten [5]:

„Wir sehen, wie sich die Dinge verändern, und immer mehr Menschen wenden sich spirituellen Dingen zu. Wir sind übersättigt von Materie und einer Welt, die hauptsächlich von Geld regiert wird. (…) Logischerweise muss dieses System an einen Punkt kommen, an dem es nicht mehr funktioniert“ [6].

Musikalische Auseinandersetzung mit dem Tod

Der Song Jabloně (Apfelbäume) entstammt dem zweiten, 2011 erschienenen Album der Band. Es ist noch stark von dem intensiven Selbstfindungsprozess der Band geprägt. Laut Honza Unger ist es „ein Bekenntnis zu einer bestimmten Phase unseres Lebens, einer Zeit, in der jeder von uns etwas Starkes durchgemacht hat“. Als „wichtiger Teil unseres Lebens“ war das Album auch mit der Veröffentlichung einer kleinen Erzählsammlung verbunden [7]

Das Lied über die Menschen, die wie die herbstlichen Äpfel in der feuchten Erde versinken, erscheint vor diesem Hintergrund als natürlicher Teil einer Auseinandersetzung mit der eigenen Position in der Welt und den Grundbedingungen des Menschseins im Allgemeinen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des ausdrücklichen Bekenntnisses der Band zu einer stärkeren Hinwendung zu spirituellen Werten.

Der Videoclip zu dem Song erinnert vor diesem Hintergrund an ein archaisches Todesritual. Dabei schreiten die Bandmitglieder wie bei einer Prozession durch die Dämmerung.

Sowohl die kryptischen Zeichen in ihren Gesichtern als auch das mitgeführte tote Tier lassen sich im Sinne einer Zeremonie zur Besänftigung des Todes deuten: Als dieser den Trauernden in Gestalt des Wolfs – in vielen Mythologien ein Begleiter des Todesgottes – begegnet, werfen sie ihm das tote Tier wie eine Opfergabe zu. Daraufhin wird der Wolf aus einem feindlichen Gegenüber zu einem Begleiter der Gruppe, die dadurch den Tod symbolisch in ihr Leben integriert bzw. ihn als dessen Teil akzeptiert.

Nachweise

[1][3] und [6]/[7]:

Interview mit Ondřej Leinert in deník.cz, 14. März 2013: Kapela Zrní: Něco se láme a mění, čím dál víc lidí inklinuje k duchovnu (Zrní: Etwas zerbricht und verändert sich, immer mehr Menschen wenden sich dem Spirituellen zu);

[4]/[5]:

Interview mit Antonín Kocábek in Tyden.cz, 21. Dezember 2012: Zrní: Konce světa se nebojíme, jen se nám o něm zdá (Zrní: Wir haben keine Angst vor dem Ende der Welt, wir träumen nur davon)

Bilder: Paul-Élie Ranson (1861 – 1909): Apfelbaum mit roten Früchten (1902); Houston, Museum of Fine Arts (Wikimedia commons); Ben Skála: Die Band Zrní bei einem Auftritt im September 2011 (Wikimedia commons)

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