Wie die saarländische SPD die Gemeinschaftsschulen schwächt
Saarländische SPD-Regierung mit CDU-Gesicht, Teil 7
Das zentrale bildungspolitische Projekt der saarländischen SPD ist die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums. Dies schwächt die ebenfalls in neun Jahren zum Abitur führenden Gemeinschaftsschulen – und damit die Idee des längeren gemeinsamen Lernens.
G 9: ein bildungspolitisches Lieblingskind von Saar-CDU und -SPD
Ein zentrales Projekt der CDU vor den letzten saarländischen Landtagswahlen war die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. Im Wahlprogramm der Partei heißt es dazu:
„Wir geben den Schülerinnen und Schülern wieder mehr Zeit zum Lernen, Arbeiten und Forschen. Daher wollen wir am Gymnasium ein zusätzliches Jahr an Lernzeit einplanen. Am Gymnasium werden wir darüber hinaus die Gesamtzahl der Wochenstunden deutlich erhöhen, um zusätzliche Lerninhalte in Informatik und weiteren Unterrichtsfächern zu vermitteln.“ [1]
Die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums (G9) ist auch das zentrale bildungspolitische Projekt der aktuellen SPD-Alleinregierung im Saarland. Die Partei begründet das mit einem Versprechen, das sie einst bei der Einführung des achtjährigen Gymnasiums gegeben hatte.
Personalpolitik zugunsten der Gymnasien
Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings, dass sich die Zeiten geändert haben. Insbesondere gibt es mittlerweile gut ausgebaute Gemeinschaftsschulen im Saarland, an denen schon heute das Abitur in neun Jahren abgelegt werden kann.
Die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium schwächt die Gemeinschaftsschulen vor diesem Hintergrund gleich in mehrfacher Hinsicht. So sind für die Wiedereinführung von G9 rund 150 neue Planstellen für Lehrkräfte vorgesehen [2]. Zusätzliche Personalressourcen, die über das Ersetzen von in Pension gehenden Lehrkräften hinausgehen, konzentrieren sich daher auf das Gymnasium.
Dabei bräuchten gerade die Gemeinschaftsschulen dringend zusätzliches Personal, um etwa für die zahlreichen Flüchtlingskinder ergänzenden Sprachunterricht und einen angemessenen Umgang mit erlittenen Traumata anbieten zu können. Dies gilt umso mehr, als schon heute krankheitsbedingte Ausfälle kaum kompensiert werden können [3].
Schwächung der Gemeinschaftsschulen
Ob die für das neunjährige Gymnasium vorgesehenen zusätzlichen Stellen besetzt werden können, ist zudem ungewiss. Durch das im Vergleich zu anderen Bundesländern niedrigere Gehaltsniveau ist das Saarland für angehende Lehrkräfte unattraktiv [4]. In Zeiten des Lehrkräftemangels heuern sie daher eher in anderen Bundesländern an.
Erschwerend kommt hinzu, dass als Einstieg im Saarland oft nur befristete Verträge angeboten werden, bei denen die angehenden Lehrkräfte sich für die Sommerferien arbeitslos melden müssen. Auch werden sie zuweilen lange im Unklaren über Art und Umfang des Anstellungsverhältnisses gelassen [5].
Als Konsequenz hieraus kann es dazu kommen, dass die Gymnasien mit derselben Personaldecke mehr Unterricht anbieten müssen – zumal die SPD auch die Forderung der CDU nach der Einführung eines zusätzlichen Pflichtfachs Informatik aufgegriffen hat [6]. Dies erschwert es, auf Lernprobleme einzugehen, was zu häufigeren Abgängen an Gemeinschaftsschulen führen dürfte. Diese werden dadurch zu einer Art Restschule degradiert und büßen so an Attraktivität ein.
Kein Zuwachs an Lernqualität an den Gymnasien
Hinzu kommt, dass es auch den Kindern und Jugendlichen am Gymnasium nichts nutzt, ein Jahr mehr Zeit zu haben, wenn nicht gleichzeitig das Lernen individualisiert wird und die Lehrpläne entschlackt werden.
Die Einführung einer flexiblen Oberstufe, bei der die Jugendlichen Prüfungs- und Lernzeiten ihren individuellen Bedürfnissen anpassen können, hätte weit eher dem Schlagwort vom „Lernen im eigenen Takt“ entsprochen als die schlichte Verlängerung der Verweildauer am Gymnasium. Dieses wird dadurch mitnichten zu einem angenehmeren Lernort.
Schuldenbremse als Legitimation unsozialer Bildungspolitik
Die Gemeinschaftsschulen beruhen auf der Idee längeren gemeinsamen Lernens aller Kinder und Jugendlichen. Die durch das dreigliedrige Schulsystem bewirkte Vertiefung der sozialen Kluft in der Gesellschaft soll so zumindest abgemildert werden.
Eine sozialdemokratische Regierung hätte folglich nicht das Gymnasium, sondern die Gemeinschaftsschulen stärken müssen. Ein geeignetes Mittel dafür wäre die Umsetzung des SPD-Wahlversprechens gewesen, ein „Zukunftsvermögen Bildung“ einzurichten [7].
Auch hier wandelt die SPD jedoch ganz auf den Spuren der CDU: Schuldenbremse und Sparzwang werden immer dann entdeckt, wenn es um Bildung, Kultur und Soziales geht. Für die Förderung der saarländischen Stahlindustrie scheut man sich dagegen nicht, einen 2,8 Milliarden Euro schweren Kredit aufzunehmen [8], der dem Land wie ein Mühlstein um den Hals hängen wird – und auf Jahre hinaus als Argument dafür dienen wird, die schulische Bildung kaputtzusparen.
Nachweise
[1] Programm der CDU Saar für die Landtagswahl 2022: Der Mensch im Mittelpunkt (PDF), S. 39.
[2] Dpa: Ministerin weist Kritik an Planung von G 9 zurück. Süddeutsche Zeitung, 8. Dezember 2022.
[3] Prommersberger, Teresa: Lehrkräftereserve am Limit: Droht Unterrichtsausfall im Saarland?
[4] Das Einstiegsgehalt von Lehrkräften in der Besoldungsgruppe A12 war im Saarland 2020 um 500 Euro niedriger als in Baden-Württemberg. Berücksichtigt man, dass Grundschullehrkräfte in anderen Bundesländern – im Unterschied zum Saarland – mittlerweile der Besoldungsgruppe A13 zugeordnet werden, kann der Unterschied beim Einstiegsgehalt sogar über tausend Euro betragen (vgl. die Übersichtstabelle zu den Gehältern von Lehrkräften in verschiedenen Bundesländern auf lehrerfreund.de).
[5] Vgl. Schreiner, Christoph: Saar-Referendare kritisieren Land. Angehende Lehrer empört: „Einstellungspraxis ist unter aller Sau“. Saarbrücker Zeitung, 26. Juli 2023.
[6] Ministerium für Bildung und Kultur: Informatik als Pflichtfach. Saarland.de, 25. März 2022.
[7] Regierungsprogramm der Saar-SPD 2022 – 2027, S. 4 (PDF).
[8] Dpa: Schulden wie noch nie: Saarland schafft Transformationsfonds. Süddeutsche Zeitung, 7. Dezember 2022.
Bild: PublicDomainPictures: Gelangweilt (Pixabay)