Ein Blick in die Chefetagen der deutschen Bildungsministerien

Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland

Teil 4 der Reihe zu den Qualifikationen der leitenden Personen in den deutschen Bildungsministerien richtet heute den Fokus auf Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland.

Niedersachsen

Das niedersächsische Kultusministerium wird seit den letzten Wahlen im Herbst 2022 von Julia Willie Hamburg geleitet. Die 1986 in Hannover geborene Politikerin hat von 2004 bis 2008 in Göttingen Politikwissenschaft, Philosophie und Germanistik studiert, aber keinen Abschluss erworben.

Hamburg war seit 2008 in verschiedenen Funktionen für die niedersächsischen Grünen tätig – zunächst als Sprecherin der Grünen Jugend, dann als Co-Landesvorsitzende, Landtagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende.

Über berufliche Erfahrungen außerhalb der Parteiarbeit oder eine besondere Expertise in der Bildungspolitik verfügt Hamburg nicht. Vielleicht erhofft man sich frischen Wind von ihr, weil sie 2022 im Wahlkampf durch eine originelle Schreibweise des Bundeslandes, über dessen Bildungspolitik sie nun wacht, aufgefallen ist: Aus „Niedersachsen“ wurde auf den Wahlplakaten in ihrem Wahlkreis „Niedersachen“. Auf Instagram postete Hamburg seinerzeit ein Foto, auf dem sie stolz vor dem fehlerhaften Plakat posiert [1].

Nordrhein-Westfalen

Das Ministerium für Schule und Bildung wird seit den Wahlen des Jahres 2022 von Dorothee Feller geleitet. Die 1966 in Dorsten geborene CDU-Politikerin hat nach ihrem Jurastudium für die Bezirksregierung Münster gearbeitet. Dort stieg sie 2008 zur stellvertretenden Regierungspräsidentin auf, ehe ihr 2017 die Leitung der Bezirksregierung übertragen wurde.

Feller hat in Münster reichlich Verwaltungserfahrung gesammelt, ist bildungspolitisch jedoch ein unbeschriebenes Blatt. Ihre erste Initiative als Bildungsministerin ist denn auch verwaltungstechnischer Natur und betrifft ein Maßnahmenpaket zur Behebung des Lehrkräftemangels [2].

Rheinland-Pfalz

Das Ministerium für Bildung des Landes Rheinland-Pfalz wird seit Mai 2016 von Stefanie Hubig geleitet. Die 1968 in Frankfurt am Main geborene SPD-Politikerin hat nach dem Jura-Studium (einschließlich Promotion) an der Universität Regensburg als Richterin und Staatsanwältin in Ingolstadt gewirkt.

Nach dem Wechsel ins Bundesjustizministerium wurde sie dort 2005 von der Referentin zur Referatsleiterin befördert. 2008 wechselte sie nach Rheinland-Pfalz, wo sie zunächst in der Staatskanzlei und dann im Justiz- und Verbraucherschutzministerium in leitender Funktion für verfassungs- und strafrechtliche Fragen zuständig war.

2014 wechselte Hubig als Staatssekretärin und Amtschefin in das damals von Heiko Maas geleitete Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz, ehe sie 2016 von der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer zur Bildungsministerin ernannt wurde.

Hubig verfügt über keinerlei pädagogische Qualifikationen und ist vor ihrer Ernennung zur Bildungsministerin auch nicht durch besondere bildungspolitische Aktivitäten aufgefallen. Sie gilt aber dennoch als umsichtig agierende, dialogbereite Ministerin.

Anders als in manchen anderen SPD-regierten Bundesländern ist Hubigs Bildungspolitik zudem von einem klaren sozialen Engagement gekennzeichnet. Dies zeigt sich nicht zuletzt an ihrem unzweideutigen Bekenntnis zur Inklusion und generell zum längeren gemeinsamen Lernen aller Kinder, wofür die rheinland-pfälzische Landesregierung bis 2026 250 neue Planstellen einrichten möchte [3].

Die Ministerin reagiert damit auch auf die Kritik an dem in Rheinland-Pfalz vorherrschenden Konzept zur Umsetzung der Inklusion. Das Land konzentriert sich dabei auf Schwerpunktschulen, statt – wie in anderen Bundesländern üblich – an allen Schulen Inklusion zu ermöglichen. Wie eine 2021 veröffentlichte Studie gezeigt hat, hat dies zu einer Verstärkung der sozialen Benachteiligung durch das Bildungssystem geführt [4].

Saarland

Das saarländische Ministerium für Bildung und Kultur wird seit 2019 von Christine Streichert-Clivot geleitet. Die 1980 in Saarbrücken geborene Politikerin hat von 1999 bis 2006 in Trier Politikwissenschaft, Soziologie und Volkswirtschaftslehre studiert.

Seit 2006 ist Streichert-Clivot in verschiedenen Funktionen für die saarländische SPD tätig. Dabei hat sie sich im Bildungsministerium sukzessive von der Büroleiterin des Ministers über eine Stelle als Abteilungsleiterin bis zur Staatssekretärin und schließlich zur Ministerin hochgedient.

Über Berufserfahrung außerhalb der Parteiarbeit und der Tätigkeit im Ministerium verfügt Streichert-Clivot nicht. Ihre pädagogische Expertise beschränkt sich auf ein Fernstudium in Erwachsenenbildung an der Technischen Universität Kaiserslautern.

Entsprechend phantasielos ist die derzeitige saarländische Bildungspolitik. Schwerpunkt ist außer der Digitalisierung [5] die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium. In der aktuellen Situation schwächt dies die ebenfalls in neun Jahren zum Abitur führenden, dabei aber stärker auf soziale Integration setzenden Gemeinschaftsschulen.

Die Nutzung von Ressourcen zur Stärkung des Gymnasiums – für die Einführung von G 9 sind 150 neue Stellen eingeplant [6] – wiegt dabei umso schwerer, als im Saarland ein eklatanter Lehrkräftemangel herrscht, der durch die im Vergleich zu anderen Bundesländern schlechtere Entlohnung noch verstärkt wird [7]. Die Konzentration auf die Förderung der gymnasialen Bildung schwächt so gerade die Schulen in sozialen Brennpunkten, die dringend zusätzliches Personal bräuchten.

Nachweise

[1]    Vgl. Der Spiegel: Häme für fehlerhaftes Grünen-Wahlkampfplakat: „Wenn die Spitzenkandidatinnicht mal das Land buchstabieren kann, sollte sie es nicht regieren“; 11. August 2022.

[2]    Schulministerium.nrw: Handlungskonzept Unterrichtsversorgung; 14. Dezember 2022.

[3]    Dpa:Bildungsministerin Hubig:“Inklusion ist ein Menschenrecht“. Saarbrücker Zeitung, 24. Mai 2023.

[4]    Vgl. Zur Studie Helbig, Marcel / Steinmetz, Sebastian: Gemeinsamer Unterricht auf Kosten der sozialen Inklusion? Analyse der sozialen Lage in inklusiven Schulen am Beispiel der Schwerpunktschulen in Rheinland Pfalz. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 24 (2021), S. 1355 – 1378; zusammenfassende Pressemitteilung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) zu der Studie: Die Überlast der Schwerpunktschulen; 29. November 2021.

[5]    Die unpädagogische, auf die Ausstattung mit digitalen Endgeräten fokussierte Anknüpfung an die Bildung in der digitalen Welt ist von Bildungsforschern für ihre mögliche kontraproduktive Wirkung kritisiert worden (vgl. Zierer, Klaus / Gottfried, Thomas: Schulbildung im Saarland: Digitaler Holzweg. Zeit.de, 8. Januar 2023).

[6]    Vgl.Dpa: Ministerin weist Kritik an Planung von G 9 zurück. Süddeutsche Zeitung, 8. Dezember 2022.

[7]    Vgl. Prommersberger, Teresa: Lehrkräftereserve am Limit: Droht Unterrichtsausfall im Saarland? Saarbrücker Zeitung, 28. September 2022.

Bilder (im Uhrzeigersinn): Ralf Roletschek: Julia Willie Hamburg bei der konstituierenden Sitzung des Niedersächsischen Landtags am 19. Februar 2013; Christallkeks: Dorothee Feller bei ihrer Amtseinführung als Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks Münster am 31. August 2017; Sven Teschke: Stefanie Hubig (November 2016); A. Josef Dembecher: Christine Streichert-Clivot bei der Eröffnungsfeier der Urban Art Biennale im Weltkulturerbe Völklinger Hütte am 30. April 2022
Alle Bilder von Wikimedia commons

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