Die unlogische Logik der Fastenzeit
Eine Aschermittwochsmeditation von Bruder Norabus
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Die Fastenzeit kann uns dabei helfen, unsere Abhängigkeit von materiellen Dingen zu reduzieren. Sie verfehlt aber ihren Zweck, wenn wir uns danach umso ungehemmter unserem Materialismus hingeben.
Die Fastenzeit: ein Fest für die Tiere
Ja, ich gebe es zu: Auch in mir kommt nicht gerade Vorfreude auf, wenn ich an die bevorstehende Fastenzeit denke – an all die grauen, freudlosen Tage, an denen jeder Genuss unter dem Generalverdacht der Sündhaftigkeit steht.
Dass in unserem Refektorium in den nächsten Wochen kein Fleisch serviert werden wird, spielt für mich allerdings keine Rolle. Ich habe schon in der Kindheit die sonntäglichen Bratentage gehasst, wenn mein Lieblingsessen – Nudeln mit Tomatensoße, gefolgt von Schokoladenpudding mit Vanillesoße – in ebenso weiter Ferne war wie der Fleischgenuss in der Fastenzeit.
Außerdem teile ich in diesem Punkt vollständig die Ansicht unseres Abtes: Die Tiere sind unsere Mitgeschöpfe, und wenn wir eine Möglichkeit haben, uns anders zu ernähren, gibt es keine Rechtfertigung für ihre Tötung.
Genau deshalb erscheint mir die Logik der Fastenzeit aber unlogisch. Wenn es uns doch mehrere Wochen lang gelingt, auf Fleisch zu verzichten – warum sollen wir dann danach wieder anfangen, uns den Schweinen gegenüber wie Schweine zu benehmen? Ist inhumanes Verhalten etwa tolerierbar, nur weil man sich für ein paar Wochen human verhalten hat? Führt Gott ein Bilanzbuch, in dem er humanes gegen inhumanes Verhalten aufrechnet?
Irdische und himmlische Süßigkeit
Natürlich weiß ich, dass es in der Fastenzeit keineswegs nur um den Verzicht auf Fleischgenuss geht. Abt Ägidius hat das in seiner Aschermittwochsrede auch noch einmal hervorgehoben: In einem allgemeineren Sinne meine „Fasten“ die Lösung von den materiellen Dingen, die Reduzierung unserer Verstrickung in das irdische Leben und die Hinwendung zu Gott.
Deshalb fordert unser Abt uns jedes Jahr an Aschermittwoch auf, in uns zu gehen und nach Abhängigkeiten von irdischen Genüssen zu forschen. Jeder von uns solle zumindest eine solche Sucht oder Suchtgefahr identifizieren und die Fastenzeit dazu nutzen, sich von ihr zu lösen.
Leider achtet Bruder Ägidius sehr genau darauf, ob seine – wie er es nennt – „Anregungen“ zum spirituellen Leben von uns aufgegriffen werden. Daher werde ich auch dieses Jahr in der Fastenzeit wieder auf meinen geliebten Honig verzichten.
Einen tieferen Sinn kann ich darin allerdings nicht erblicken. Bringt es mich dem Vater im Himmel wirklich näher, wenn ich die Süßigkeit des Daseins ein paar Wochen lang allein im Glauben zu finden versuche?
Da Bruder Ägidius mir glücklicherweise beim Schreiben nicht über die Schulter schaut, kann ich an dieser Stelle sogar hinzufügen: Vielleicht gibt es ja gar keinen „Vater“ im Himmel. Vielleicht wacht eher eine Muttergöttin über uns, die eine viel größere Verbundenheit mit der Erde aufweist als der weltentrückte himmlische Vater. Und vielleicht empfindet sie es sogar als Kränkung, wenn ich wochenlang das süße Wunder verschmähe, das in unserer klostereigenen Imkerei aus dem harmonischen Zusammenspiel von Biene und Blüte entsteht.
Jojo-Effekt der Fastenzeit
Generell habe ich nichts gegen Verzicht, Enthaltsamkeit und Entsagung. Ich wäre ja auch ein schlechter Klosterbruder, wenn das anders wäre. Was mich an der Fastenzeit stört, ist lediglich die Begrenzung der Idee des Verzichts auf einen bestimmten Zeitraum.
Die Fastenzeit hat dadurch eine ähnliche Wirkung wie eine Diät: Wer sich eine Zeit lang kasteit, meint sich dadurch das Recht zu erwirken, hinterher wieder frei von allen Fesseln seiner Genuss-Sucht frönen zu können.
Damit aber ist die Fastenzeit ähnlich kontraproduktiv wie die meisten Diäten. Wie bei Letzteren gibt es auch bei der Fastenzeit einen Jojo-Effekt: Diäten machen einen langfristig dicker, die Fastenzeit verstärkt langfristig gerade die Abhängigkeit von jenen materiellen Dingen, die in ihr gemieden werden.
Wie bei einer gesundheitsschädlichen Leibesfülle nur eine vollständige Ernährungsumstellung Besserung verspricht, hätte deshalb auch die Fastenzeit nur dann eine nachhaltige Wirkung, wenn sie nicht auf kurzfristigen Verzicht, sondern auf eine langfristige Umorientierung angelegt wäre. Sinnvoll wäre nicht die kurzzeitige Lösung aus der Abhängigkeit von materiellen Dingen, sondern die langfristige Konzentration auf geistige Werte.
Das Scheinglück der Konsumwelt
In der heutigen krisenhaften Zuspitzung unseres ausbeuterischen Umgangs mit der Natur wäre eine solche Umorientierung ein entscheidender Schritt zur Rettung des Planeten. Er würde bedeuten, dass wir nicht etwa die Befriedigung unserer materiellen Bedürfnisse anders organisieren, weil uns bestimmte Rohstoffe ausgehen, sondern uns weit weniger über materiellen Wohlstand definieren als bisher.
Das Schöne an einer solchen permanenten Fastenzeit wäre, dass sie ihren Lohn gleich in mehrfacher Hinsicht in sich selbst trüge. Zum einen würden wir damit nicht weniger als das Überleben der Menschheit sichern. Zum anderen könnten wir uns dadurch aber auch aus der Scheinwelt lösen, in der uns die Konsumwirtschaft gefangen hält.
Nicht mehr geblendet von ihren haltlosen Versprechungen, würden wir endlich nicht nur erkennen, sondern tief in unserem Inneren empfinden, dass das Glück nicht in der Abhängigkeit von immer neuen materiellen Produkten besteht, sondern im Gegenteil in der Fähigkeit, sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen und das zu entfalten, was unser höchstes Gut ist: unseren Geist.
Bild: Rembrandt van Rijn (1606 – 1669): Lesender Mönch (1661); Finnische Nationalgalerie (Wikimedia commons)
Danke für diese Inspiration zum Aschermittwoch
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