Interview mit Nadja Dietrich zu ihrem neuen Roman Kaiserhorst
In diesem Monat erscheint der neue Roman von Nadja Dietrich – ein Tagebuchroman über rechtsnationale Netzwerke und die vielen Gesichter der Wirklichkeit. In einem Interview unterhält sich die Literaturkritikerin Nona Suomy mit der Autorin über ihre Beweggründe für den Roman.
Nona Suomy: Wenn du deinen neuen Roman Kaiserhorst in zwei Sätzen beschreiben solltest – wie würdest du ihn charakterisieren?
Nadja Dietrich: Nun, zunächst einmal natürlich als Kriminalroman. Es geht um jemanden, der etwas beobachtet, das er nicht hätte sehen dürfen. Daraufhin sieht er sich Verfolgungen ausgesetzt. Die besondere Spannung resultiert dabei daraus, dass er anfangs gar nicht weiß, wer seine Gegner sind und was deren Ziele sind.
Nona Suomy: Gut, das wäre dann wohl die inhaltliche Ebene. Und thematisch? Was ist das zentrale Sujet deines Romans?
ND: Kurz gesagt: die rechtsnationalen Umtriebe, die seit einigen Jahren weltweit zu beobachten sind. Das beunruhigt mich zunehmend. Ich würde sogar sagen, dass ich mich davon ganz konkret bedroht fühle.
Nona Suomy: Warst du selbst schon Anfeindungen von diesen Kreisen ausgesetzt?
ND: Nein, das nicht. Was ich meine, ist eher eine Bedrohung eines ganz bestimmten Lebensstils, der in allem das Gegenteil dessen ist, was diese Leute propagieren.
Nona Suomy: Und wie würdest du diesen Gegensatz beschreiben?
ND: Nun, auf der einen Seite hast du eine faschistoide Führerideologie, diesen politisierten Machismo mit all dem reaktionären Tand, der dazugehört. Natürlich zählt dazu auch eine rabiate Abschottungspolitik nach außen, weil diese selbsternannten Volkstribunen in ihrem aparten Charaktercocktail aus Selbstverliebtheit und Selbstunsicherheit alles fürchten, was ihren engen Horizont in Frage stellen könnte.
Nona Suomy: Und auf der anderen Seite steht die Multikulti-Fraktion?
ND: So würde ich das nicht gerade bezeichnen. Das klingt mir dann doch etwas zu plakativ. Ich würde eher von einer größeren Offenheit für das Andere, von Neugier statt Angst im Umgang mit dem Fremden sprechen – und natürlich, als logische Folge davon, von einer stärkeren Bereitschaft zu Dialog und Austausch, anstelle des Versuchs, das Eigene auf ein Podest zu stellen und zu geradezu gottgleicher Größe aufzupumpen.
Nona Suomy: Bei diesen Worten muss ich unwillkürlich an Russland denken, wo wir es derzeit ja auch mit einer reichlich aggressiven Führerclique zu tun haben. Ist das die Verbindung zu deinen beiden ersten Romanen, in denen Russland ja jeweils eine zentrale Rolle gespielt hat?
ND: Nein, das würde ich nicht sagen. Für mich ist mein neuer Roman mit keinem bestimmten Land verbunden. Die Denk- und Handlungsweisen, die darin beschrieben sind, kannst du in etlichen Ländern auf der Welt finden. Ob und in welcher Weise das auf bestimmte Länder bezogen werden kann, müssen diejenigen entscheiden, die jetzt in die Welt des Buches eintauchen.
Nona Suomy: Und bei deinen Romanfiguren hast du auch nicht an bestimmte Personen gedacht?
ND: Hier und da vielleicht schon. Das werde ich dir aber nicht auf die Nase binden. Was sich jemand beim Schreiben denkt und was andere beim Lesen daraus machen, sollte sauber voneinander getrennt bleiben. Eben das macht ja den doppelten Kreativitätsprozess aus, wie er für die Literatur charakteristisch ist.
Nona Suomy: Hängt damit auch die Tagebuchform zusammen, die du für deinen neuen Roman gewählt hast? Soll das eine Anregung zum Mit- und Weiterdenken der Handlung sein?
ND: Ein interessanter Gedanke! Für mich dient die Tagebuchform aber vor allem dazu, die Subjektivität der Wirklichkeitswahrnehmung zu betonen – dieses Ringen um eine eigene Sicht des Geschehens, deren Wahrheitsgehalt von anderen bestritten wird.
Nona Suomy: Was mir auch aufgefallen ist: In deinen ersten beiden Romanen spielst du immer wieder mit Geschlechterrollenklischees. Da gibt es gleichgeschlechtliche Liebe, Figuren, die in einem Zwischenraum zwischen den Geschlechterpolen leben, mit anderen Worten: es ist in dieser Hinsicht ziemlich bunt. In Kaiserhorst überwiegen jetzt aber wieder die traditionellen Geschlechtermodelle.
ND: Na ja, ganz so traditionell sind die Geschlechtermodelle in dem neuen Roman auch wieder nicht. Wenn du genauer hinschaust, werden dir an den Figuren sicher auch hier und da androgyne Züge auffallen – und klassischen Rollenmustern entsprechen die Hauptpersonen schon gar nicht.
Nona Suomy: Mag sein – aber die Beziehungen folgen doch dem klassischen Muster.
ND: Gut, da hast du wohl Recht. Das liegt vielleicht auch daran, dass es in dieser Hinsicht – zumindest bei uns im Westen – in den letzten Jahren eine Akzentverschiebung gegeben hat. Gleichgeschlechtliche Liebe gilt längst nicht mehr als etwas Außergewöhnliches. Heutzutage musst du dich in manchen Kreisen ja fast schon rechtfertigen, wenn du in einer heterosexuellen Beziehung lebst.
Nona Suomy: Klingt fast so, als hättest du einen neuen Freund …
ND: Über mein Privatleben wirst du etwas erfahren, wenn mal eines dieser Klatschblätter eine Homestory über mich macht.
Nona Suomy: Gut, dann gebe ich denen mal einen Tipp!
ND: Was ich eigentlich sagen wollte: Die Normalisierung gleichgeschlechtlicher Liebe und queerer Lebensweisen ist für die Betroffenen natürlich eine ungeheure Erleichterung. Dadurch entfällt andererseits aber die Underground-Aura, die ich damit in meinen früheren Romanen verbunden habe. Also bin ich für meinen neuen Roman mal wieder zum klassischen Beziehungsmodell zurückgekehrt.
Nona Suomy: Erwartest du – angesichts der politischen Elemente – eigentlich eine konkrete Wirkung von deinem Roman?
ND: Nein, eher nicht. Der Roman enthält das, was mich in einer bestimmten Situation bewegt hat und wofür ich deshalb nach einer passenden Form gesucht habe. An eine bestimmte Wirkung habe ich dabei nicht gedacht.
Nona Suomy: Dann glaubst du also nicht an die politische Wirksamkeit von Literatur?
ND: So habe ich das nicht gemeint. Ich denke nur, dass eine Literatur, die von Anfang an im Hinblick auf eine bestimmte politische Wirkung geschrieben wird, allzu sehr in der Gefahr steht, in die Nähe der Agitprop-Literatur zu geraten. Damit aber verliert sie gerade ihren Eigen-Sinn, aus dem sich eine ganz eigene Wirkmächtigkeit ergibt – weil sie dann nämlich zu einer bloßen Vorlage oder Begleitmusik der politischen Aktion wird.
Nona Suomy: Also glaubst du doch daran, diesen und jenen mit deinem Roman zum Nachdenken anregen zu können?
ND: Um es mit Sherlock Holmes zu sagen: Ich glaube gar nichts. Was zählt, sind die Fakten. Und die sagen mir, dass ich bislang exakt einen interessierten Leser gefunden habe – nämlich dich. Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn noch weitere dazukämen.
Nona Suomy: Dann wollen wir dir mal die Daumen drücken. Erst mal vielen Dank für das Gespräch!
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English Version
A Crime Novel about Right-Wing Nationalist Networks
Interview with Nadja Dietrich about Her New Novel Emperor’s Eyrie
This month the new novel by Nadja Dietrich is published – a diary novel about right-wing nationalist networks and the manifold faces of reality. In an interview, literary critic Nona Suomy talks to the author about her motives for writing the novel.
Nona Suomy: If you had to describe your new novel Emperor’s Eyrie in two sentences – how would you characterise it?
Nadja Dietrich: Well, first of all as a crime novel, of course. It’s about someone who observes something he shouldn’t have seen. As a result, he faces persecution. The special tension results from the fact that at the beginning he doesn’t even know who his opponents are and which goals they are pursuing.
Nona Suomy: Okay, that would be the content level. And thematically? What do you consider the key subject of your novel?
ND: In short: the right-wing nationalist movements that are spreading more and more around the world. That’s something I’m increasingly worried about. I would even say that I feel actually threatened by it.
Nona Suomy: Have you yourself already been exposed to hostility from these circles?
ND: No, fortunately not. What I mean is rather a threat to a specific lifestyle that is the very opposite of what these people propagate.
Nona Suomy: And how would you describe this contrast?
ND: Well, on the one hand you have a fascist-like ideology of leadership, this politicised machismo with all the reactionary frills associated with it. Of course, it also includes a ruthless closing-off policy towards the outside world, because these self-appointed tribunes of the people, with their personality made up of self-infatuation as well as of self-insecurity, fear anything that could call their narrow horizons into question.
Nona Suomy: And on the other side is the multicultural faction?
ND: I wouldn’t exactly put it that way. „Multicultural“ sounds a bit too pithy to my ears. I would rather speak of a greater openness to what is different, of curiosity instead of fear in dealing with the unfamiliar – and of course, as a logical consequence of this, of a greater willingness to engage in dialogue and exchange, instead of trying to put one’s own cultural traditions on a pedestal and pump them up to almost god-like greatness.
Nona Suomy: Your words make me involuntarily think of Russia, where we are currently also dealing with a highly aggressive clique of leaders. Is that the link to your first two novels, in which Russia played a central role?
ND: No, I wouldn’t say that. For me, my new novel is not connected to any particular country. The ways of thinking and acting described in it can be found in quite a few countries around the world. Whether and in what way this can be related to specific countries is something to be decided by those who will immerse themselves in the world of the book.
Nona Suomy: And for your novel characters, you didn’t think of specific people either?
ND: Maybe here and there. But I’m not going to reveal that to you. What someone thinks when writing and what others make of it when reading should be kept clearly separate. That’s precisely what makes up the dual creative process typical of literature.
Nona Suomy: Is this also the reason for the diary form you chose for your new novel? Is it meant to be a stimulus to engage in a creative dialogue with the protagonist, so to speak?
ND: That’s an interesting thought! For me, however, the diary form serves above all to emphasise the subjective aspect in the perception of reality – this struggle for one’s own view of events, the truth of which is disputed by others.
Nona Suomy: Another thing that struck me: In your first two novels, you repeatedly play with gender role clichés. There is same-sex love, characters who live in an intermediate space between the gender poles, in other words: the novels are quite colourful in this respect. In Emperor’s Eyrie, however, traditional gender models predominate.
ND: Actually, the gender models in the new novel are not quite so traditional. If you take a closer look, you’ll surely notice some androgynous traits in the protagonists – and they certainly don’t correspond to classic role models.
Nona Suomy: Maybe – but the relationships do follow the classic pattern.
ND: Well, in that respect you’re probably right. This is perhaps also due to the fact that there has been a change in attitudes in recent years – at least in Western countries. Same-sex love is no longer seen as something out of the ordinary. Nowadays, you almost have to justify yourself in some circles if you’re in a heterosexual relationship.
Nona Suomy: That almost sounds like you have a new boyfriend …
ND: You’ll find out about my private life when one of those tabloids publishes a home story about me.
Nona Suomy: Understood – I’ll put them on your track!
ND: What I actually wanted to say: The normalisation of same-sex love and queer lifestyles is of course a tremendous relief for those affected. On the other hand, however, this means that the underground aura I associated with it in my earlier novels no longer applies. For my new novel, I have therefore returned to the classic relationship model.
Nona Suomy: Given the political elements, do you actually expect your novel to have a concrete effect?
ND: No, not really. The novel contains what affected me in a certain period of my life and what I was therefore trying to express in a suitable form. Possible effects were not on my mind while writing the novel.
Nona Suomy: So you don’t believe in the political effectiveness of literature?
ND: That’s not what I wanted to say. I just think that if literature is intended to have a certain political effect, it is in danger of coming close to agitprop literature. This, however, means that it loses its specific expressive possibilities, which give it its own effectiveness – because it then becomes a mere blueprint or background music for political action.
Nona Suomy: So you do believe that you can inspire some readers to reflect on certain things with your novel?
ND: To quote Sherlock Holmes: It doesn’t matter what I believe. All that counts are the facts. And the facts tell me that I have found exactly one interested reader so far – you. Of course, I wouldn’t mind if there were more.
Nona Suomy: Let’s keep our fingers crossed for you then. For now, thank you very much for the interview!
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Bild: Abraham Pether (1756 – 1812): Pendragon Castle bei Mondschein (National Trust / Wikimedia Commons)
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