Rettung der Demokratie durch Politisierung der Justiz?

Zu den Gerichtsverfahren gegen Donald Trump

Aktualisierte Fassung April 2024

Für die US-amerikanische Demokratie und den Frieden auf der Welt wäre es fraglos wichtig, die Rückkehr Donald Trumps an die Macht zu verhindern. Gerichtsverfahren sind dafür aber der falsche Weg.

Verbrecher oder Messias?

Donald Trumps Gegner sagen: Trump ist ein Verbrecher. Also muss er auch wie ein Verbrecher vor Gericht gestellt werden. Seine Hände sollen schwarz sein von den Fingerabdrücken, die man ihm abnimmt, damit alle Welt sieht, wie viel Dreck daran klebt.

Donald Trump sagt: Ich bin der Messias. Ich werde an das Kreuz der Justiz genagelt, um meine Wiederkunft zu verhindern.

Die Kontroverse um die Gerichtsverfahren gegen Trump ist also emotional stark aufgeladen. So empfiehlt es sich, zunächst einmal nüchtern zu betrachten, worum es eigentlich geht.

Juristische Verrenkungen zur Erfüllung eines Wahlkampfversprechens

Sowohl auf Bundes- als auch auf Bundesstaaten-Ebene laufen derzeit diverse Verfahren gegen Trump [1]. Zwei Prozesse haben bereits begonnen. Einer davon betrifft den Vorwurf der Bilanzfälschung zur leichteren Erlangung von Krediten. In dem zweiten Prozess, der derzeit in New York verhandelt wird, geht es um ein mutmaßliches Verhältnis Trumps mit einer Porno-Darstellerin, die der Ex-Präsident durch Zahlung von Schweigegeld vom Gang an die Öffentlichkeit abhalten wollte.

Dazu muss man wissen: Weder der Sex mit dem Porno-Star noch die Schweigegeldzahlung sind strafbar. Dies gilt nur für die Vertuschung der Schweigegeldzahlung im Wahlkampf, weil sich darin eine unerlaubte Wahlkampffinanzierung sehen lässt.

Schon dies lässt vermuten, dass es hier weniger um die Verfehlung selbst geht als darum, Trump mit dem Porno-Sumpf in Verbindung zu bringen. Noch schwerer wiegt allerdings die Tatsache, dass der New Yorker Staatsanwalt in erster Linie deshalb Anklage gegen Trump erhoben hat, weil er mit diesem Versprechen in sein Amt gewählt worden ist.

Die Besonderheit des US-amerikanischen Justizsystems, Posten zum Teil als Wahlämter zu vergeben, erweist sich damit hier als Hypothek für die Demokratie, weil dadurch die Gefahr besteht, dass Justizverfahren und politische Vorlieben miteinander vermengt werden. Im konkreten Fall wird Trump nicht aufgrund der Gesetzesverstöße angeklagt, die er sich zweifellos hat zuschulden kommen lassen, sondern aufgrund des politischen Versprechens eines gewählten Vertreters der Justiz.

Dementsprechend konstruiert wirkt die Anklageschrift: Da Trumps Vergehen ja nicht den Bundesstaat New York betrifft, sondern den Gesamtstaat, wird ihm vorgeworfen, er habe „die Gesetze des Staates New York verletzt (…), weil er im Sinn hatte, ein föderales Gesetz gleichzeitig zu verletzen“. Diese „neuartige legale Theorie, die so noch nie angewandt worden ist“, gilt, so der Politologe Yascha Mounk, selbst unter Trump-Gegnern als fragwürdig [2].

Unsachgemäß aufbewahrte Geheimdokumente: Messen mit zweierlei Maß?

In einem weiteren Prozess muss sich Trump vor einem Bundesgericht in Miami verantworten. Dabei geht es um Geheimdokumente, die er widerrechtlich auf seinem Anwesen in Mar-a-Lago gelagert hat.

Diese Anklage ist deutlich schwerwiegender als die wegen falsch verbuchter Zahlungen in New York. Allerdings ist ein ähnliches Vergehen auch von Präsident Joe Biden bekannt. Auch er hat geheime Dokumente in Privaträumen aufbewahrt.

Zwar haben Biden und seine Berater beteuert, im Gegensatz zu Trump von Anfang an eng mit den Behörden kooperiert zu haben. Dies geschah jedoch nur in der altbekannten Salami-Taktik, bei der immer nur das zugegeben wird, was ohnehin nicht mehr zu verheimlichen ist. So waren nach dem ersten Fund von Geheimdokumenten weitere Top-Secret-Papiere in Privaträumen Bidens gefunden worden [3].

Ungeahndete Verbrechen früherer US-Präsidenten

Damit stellt sich die Frage, ob hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Zwar wurde auch zur Untersuchung von Bidens Umgang mit Geheimdokumenten ein Sonderermittler eingesetzt [4]. Dies ist jedoch nicht zu vergleichen mit der systematischen juristischen Verfolgung Trumps. So etwas ist bislang noch keinem anderen Ex-Präsidenten widerfahren. Dabei hätte es – wie allein der Blick auf die Präsidenten seit 1980 zeigt – dafür reichlich Anlass gegeben.

Zur Erinnerung hier eine kurze Auflistung der Top-Verfehlungen der betreffenden Präsidenten:

Ronald Reagan: Iran-Contra-Affäre

Im Juli 1979 hatten in Nicaragua die linksgerichteten Sandinisten die Macht übernommen. Dagegen formierten sich die anfangs von den USA unterstützten Contra-Rebellen. Im so genannten „Boland Amendment“ untersagte der Kongress jedoch die weitere militärische Unterstützung der Contras.

Um dieses Verbot zu umgehen, nutzte die Reagan-Administration Gelder aus geheimen Waffenverkäufen an den Iran für die Finanzierung der Konterrevolutionäre in Nicaragua. Erschwerend kam hinzu, dass die aus den Waffenverkäufen erzielten Gewinne eigentlich für die Befreiung US-amerikanischer Geiseln im Libanon vorgesehen waren. Die Vorgehensweise war somit nicht nur illegal, sondern gefährdete auch das Leben amerikanischer Staatsbürger [5].

George H. W. Bush: Völkerrechtswidriger Einmarsch in Panama

Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten die USA in Panama die Escuela de las Américas (Schule der Amerikas). Mit der heute unter dem Namen Western Hemisphere Institute for Security Cooperation firmierenden und in Columbus/Georgia angesiedelten Institution wurde das Ziel verfolgt, durch die Ausbildung lateinamerikanischer Sicherheitskräfte den Einfluss der USA in der Region zu stärken. Da zahlreiche spätere Machthaber in mittel- und südamerikanischen Staaten die Einrichtung durchlaufen haben, ist sie auch als „Schule der Diktatoren“ bekannt [6].

Einer der Absolventen der Schule war General Manuel Noriega, der später die Geschicke Panamas lenkte. Da die Kontrolle über Panama für die USA wegen der wirtschaftlichen Bedeutung des Panama-Kanals besonders wichtig war, wurde Noriega trotz seiner diktatorischen Tendenzen und seiner Verwicklung in Drogenhandel und Geldwäsche von den USA gestützt.

Mit der Zeit wurde Noriega jedoch zu eigenmächtig, lehnte eine Zusammenarbeit mit US-Firmen für den Ausbau des Panama-Kanals ab  und wandte sich Gegnern der USA wie Nicaragua und Libyen zu. Dies ließ Überlegungen für seinen Sturz reifen. Den Anlass dafür gab schließlich die Tötung eines US-amerikanischen Soldaten bei einer Kontrolle durch panamaische Sicherheitskräfte.

George H. W. Bush befahl daraufhin den Einmarsch in Panama, der Tausende Menschen das Leben kostete. Obwohl die Operation propagandistisch unter dem Label „Just Cause“ (Legitimer Grund / Gerechte Sache) firmierte, war sie klar völkerrechtswidrig [7].

Bill Clinton: Sexueller Missbrauch in mehreren Fällen

Wenn es um das Sexualverhalten Bill Clintons geht, denken die meisten natürlich zunächst an Monica Lewinsky. Der Sex mit der Praktikantin im Weißen Haus ist jedoch beileibe nicht der einzige Fall, bei dem die Potenz dieses Präsidenten sich auf sehr direkte Weise bemerkbar gemacht hat.

Bereits aus seiner Zeit in Arkansas, wo er erst als Generalstaatsanwalt und dann als Gouverneur tätig war, sind Vorwürfe sexueller Belästigung gegen ihn bekannt. Außer bei Lewinsky soll es zudem noch bei mindestens einer weiteren Mitarbeiterin im Weißen Haus zu sexuellen Übergriffen gekommen sein. In einem anderen Fall hat Clinton die gegen ihn erhobenen Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Zahlung von 850.000 Dollar aus der Welt zu schaffen versucht [8].

Clinton hatte wohl schlicht das Glück der frühen Geburt. Wären seine Übergriffe nach der Me-Too-Welle ruchbar geworden, so hätte er sie wohl kaum politisch überlebt.

Selbst Monica Lewinsky, die lange die Freiwilligkeit der sexuellen Handlungen mit Clinton betont hat, glaubt mittlerweile, hierin den Deutungsmustern der damaligen Zeit erlegen zu sein. Heute sieht auch sie die Ausnutzung des Abhängigkeitsverhältnisses, in dem sie damals zu Clinton stand, als problematisch an [9].

George W. Bush: Geburtshelfer für den IS

George W. Bush hat nach dem Anschlag auf das World-Trade-Center nicht nur einen Angriff auf Afghanistan – als mutmaßlichen Rückzugsort der Attentäter – angeordnet, der 2021 mit dem Abzug der ausländischen Truppen aus dem Land ein unrühmliches Ende gefunden hat. Sein „War on Terror“ schloss auch einen völkerrechtswidrigen Einmarsch im Irak mit ein, der vor der Weltöffentlichkeit mit der Lüge von dort hergestellten Massenvernichtungswaffen begründet wurde – de facto aber vor allem im Interesse der Ölindustrie erfolgte, mit der die Bush-Familie eng verbunden ist [10].

Außerdem verdanken wir seiner Regierungszeit das Konstrukt der „feindlichen Kombattanten“, also von Kämpfern, die nicht als Soldaten gelten und folglich auch keinen Anspruch auf die sonst üblichen Schutzvorschriften für Kriegsgefangene haben. Sie dürfen daher nach Belieben getötet oder gefoltert werden. Anstatt vor Gericht gestellt zu werden, wurden sie in Gefangenenlager wie Guantanamo und Abu Ghuraib oder in spezielle Geheimgefängnisse (Black Sites) deportiert [11].

Dies führte zu den bekannten Bildern von gedemütigten muslimischen Gefangenen, deren Inhaftierung zudem oft völlig willkürlich erfolgte. In der Folge kam es zu Radikalisierungstendenzen in der islamischen Welt, mit der Gründung des „Islamischen Staates“ als extremster Ausprägung.

Die Kämpfer des IS rekrutierten sich überdies zu einem großen Teil aus den sunnitischen Eliteeinheiten des gestürzten irakischen Regimes, die in dem neuen, schiitisch dominierten Staat keinen Platz mehr hatten. Dies erlaubte es wiederum dem ebenfalls schiitisch geprägten Mullah-Regime im Iran, als Unterstützer der irakischen Regierung gegen den IS seinen Einfluss in der Region auszubauen [12].

Barack Obama: Ausweitung des Drohnenkriegs

Unbeeindruckt von der Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn, setzte Barack Obama den Kampf seines Amtsvorgängers George W. Bush gegen „feindliche Kombattanten“ nicht nur fort, sondern weitete ihn sogar aus.

Das entscheidende Mittel dafür war der Einsatz von Drohnen, den Obama massiv verstärkte. Wie eine 2015 durch einen Whistleblower an die Öffentlichkeit gelangte Studie des Pentagon zeigt, wurden die potenziellen Ziele der Drohnenangriffe auf so genannten „baseball cards“ ausgewiesen [13].

Die derart Porträtierten wurden dann im Rahmen einer bis zum Präsidenten persönlich reichenden Befehlskette zum Abschuss freigegeben. Die Gesamtzahl der so Getöteten geht in die Tausende. Dabei wurde und wird auch die Tötung einer großer Zahl völlig Unbeteiligter in Kauf genommen.

Von den allein im Sommer 2012 in Afghanistan durch Drohnen getöteten 155 Personen waren laut der Pentagon-Studie nur 13 Prozent als „feindliche Kombattanten“ eingestuft. Die Übrigen wurden schlicht zu „Enemies Killed in Action“ ernannt, um ihre Tötung nachträglich zu legitimieren [14].

Bruch des Völkerrechts als Kavaliersdelikt?

Die kleine Aufstellung zeigt, dass die Verfehlungen von Trumps Amtsvorgängern keineswegs hinter denen ihres Nachfolgers zurückstehen. Dies wirft die Frage auf, warum es in einem Fall gleich eine Reihe von Gerichtsverfahren gibt, während in anderen Fällen gar nicht ermittelt wird.

Natürlich kann man argumentieren, dass sich die Gesetzesbrüche der früheren Präsidenten – mit Ausnahme von Bill Clinton – auf völkerrechtswidrige Auslandseinsätze des Militärs beziehen, während Trumps Handeln unmittelbar das demokratische System der USA unterminiert hat.

Beides lässt sich allerdings kaum trennscharf voneinander abgrenzen. Ein Präsident, der die wahren Hintergründe seines außenpolitischen Handelns verschleiert oder gar bewusst falsch darstellt, fügt der Demokratie schließlich auch Schaden zu. Außerdem wird beim aktuellen Krieg gegen die Ukraine ja gerade aufgrund des völkerrechtswidrigen Agierens der russischen Führung nach einer juristischen Aufarbeitung der Verbrechen gerufen. Dies muss dann natürlich auch für den Bruch des Völkerrechts durch US-amerikanische Präsidenten gelten.

Politisierung der Justiz: Eine Steilvorlage für Autokraten

So stellt sich die Frage, ob die Gerichtsverfahren gegen Donald Trump zielführend sind, seine Rückkehr an die Macht also verhindern können. Ist es politisch klug, den Wahlkampf mit einem juristischen Sperrfeuer zu verbinden?

Um die Vorgänge richtig einschätzen zu können, lohnt sich vielleicht ein kurzer Perspektivenwechsel. Stellen wir uns doch einmal vor, es würde unter einem Präsidenten Trump dessen Vorgänger in mehreren Prozessen gerichtlich belangt. Würden wir in einem solchen Fall nicht reflexartig von „politisch motivierter Justiz“ sprechen?

Vor diesem Hintergrund erscheint die juristische Verfolgung Trumps als Spiel mit dem Feuer, das der Demokratie langfristig ebenso viel Schaden zufügen kann wie eine erneute Präsidentschaft Trumps.

Dies gilt zunächst für die kostenlose Publicity, die Trump durch die Prozesse erhält. Solange es ihm wie derzeit gelingt, die Deutungshoheit über die Verfahren gegenüber seinen Anhängern zu behalten, sind die Prozesse eine kostenlose Wahlkampfhilfe für ihn.

Viel schwerer aber wiegt die Tatsache, dass die Politisierung der Justiz einen Dammbruch darstellt, der von Trump selbst und anderen autokratisch agierenden Präsidenten in der Zukunft zur Eindämmung der kritischen Zivilgesellschaft genutzt werden kann. Der Schuss könnte also gewaltig nach hinten losgehen.

Nachweise

[1]    Eine gute Übersicht über die laufenden Ermittlungen gegen Donald Trump bietet der Artikel von Annett Meiritz: Diese Strafverfahren laufen gegen Donald Trump. Handelsblatt, 14. April 2024.

[2]    Yascha Mounk, interviewt von Philipp May: Ex-US-Präsident vor Gericht. Politologe: „Trump-Show wird uns noch einige Jahre erhalten bleiben“ (Zitat ab 04:15). Deutschlandfunk, 5. April 2023.

[3]    Vgl. die Übersicht in Scheuble, Leonie: Papier-Panne im Überblick. Vor drei Monaten wurden bei Biden die ersten Geheimdokumente gefunden – das ist seither passiert. Stern.de, 2. Februar 2023.

[4]    Vgl. Tagesschau.de: Keine Anklage [gegen Joe Biden] in Dokumentenaffäre: „Älterer Mann mit Gedächtnisproblemen“; 8. Februar 2024.

[5]    Ein detailliertes Dossier zur Iran-Contra-Affäre mit Quellentexten und Zeitleiste findet sich auf der Website der Brown University (Providence, Rhode Island): Understanding the Iran-Contra-Affairs.

[6]    Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Geschichte und Problematik der „School of the Americas“ findet sich in der Studie von Bill Quigley: The Case for Closing the School of the Americas. In: Brigham Young University Journal of Public Law 20 (2005), 1, S. 1 – 34 (PDF).

[7]    Vgl.Töniges, Sven: 20 Jahre Panama-Invasion. Deutsche Welle, 22. Dezember 2009.

[8]    Vgl. Kolb, Matthias: Bill Clintons vergiftetes Erbe. Süddeutsche Zeitung, 30. Januar 2018.

[9]    Lewinsky, Monica: Emerging from „the House of Gaslight“ in the Age of #MeToo. Vanity Fair, 25. Februar 2018.

[10] Eine umfassende, historisch fundierte Auflistung der Verflechtungen des Bush-Clans mit der Ölindustrie bietet der Beitrag von Markus Kompa: Big Oil: Die Ölbarone in Texas. Telepolis, Heise online, 20. November 2022.

[11] Vgl.hierzu den Übersichtsartikel von SophieDuroy: Black Sites. In: Binder, Christina / Nowak, Manfred / Hofbauer, Jane A. / Janig, Philipp (Hgg.): Elgar Encyclopedia of Human Rights. 23. März 2021. Cheltenham 2022: Elgar.

[12] Vgl. Baumgarten, Reinhard / Blaschke, Björn / Kühntopp, Carsten / Kößler, Thilo: Irak, Isis und der schiitisch-sunnitische Gegensatz. Deutschlandfunk, 18. Juni 2014.

[13] Zit. nachPitzke, Marc:Geheime Dokumente über US-Drohneneinsätze: Auf der Liste des Todes. Der Spiegel, 16. Oktober 2015.

[14] Zit. nach ebd.

Bild: Vilius Kukanauskas: Trump (Pixabay)

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