Eine musikalische Reise in die Ukraine

Musikalische Sommerreise 2024

Das Ziel der musikalischen Sommerreise auf rotherbaron ist in diesem Jahr die Ukraine. Viele Songs erzählen natürlich vom Krieg – andere setzen diesem aber auch schlicht die Kraft der Poesie und den Zauber der Musik entgegen.

Die diesjährige musikalische Sommerreise führt uns in die Ukraine. Die meisten Songs werden neueren Datums sein: Der jüngste ist Ende 2023 erschienen, der älteste stammt vom Anfang des Jahrtausends, ist aber vor zwei Jahren noch einmal runderneuert auf den Markt gekommen.
Neben einigen etablierten Größen der ukrainischen Musikszene werden auch drei Newcomerinnen für uns singen. Insgesamt wird die Musikreise weiblich dominiert sein.
In den meisten Songs ist natürlich der schreckliche Krieg, unter dem die Ukraine zu leiden hat, präsent. Dies gilt in besonderem Maße für die nach dem 24. Februar 2022 – also nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die gesamte Ukraine – entstandenen Lieder.
Auch in den nach der russischen Aggression vom Frühjahr 2014 veröffentlichten Songs sind jedoch immer wieder die durch die Kampfhandlungen in der Ostukraine und die ständigen Muskelspiele des Kremls ausgelösten Bedrohungsgefühle zu spüren. Zuweilen erhalten auch ältere Lieder durch die Perspektive des Krieges im Rückblick neue Bedeutungsnuancen.
Daneben gibt es aber auch ukrainische Songs, die schlicht durch ansprechende Musik oder interessante Texte zu überzeugen wissen. Auch solche Lieder werden in dieser Musikreise ihren Platz haben.
Nichtsdestotrotz wird die gesamte Musikreise vom Krieg überschattet sein. Denn insofern der russische Angriffskrieg auf die Vernichtung der ukrainischen Kultur abzielt, ist natürlich auch die gesamte ukrainische Musikszene – von deren Lebendigkeit diese Musikreise zeugen will – durch den Krieg in ihrer Existenz bedroht.
Zerstörerisch wirkt sich der Krieg in der Musikkultur aber noch in einer anderen Hinsicht aus. Gerade für die Musikszene im Osten und Süden der Ukraine war es angesichts der dortigen Dominanz der russischen Sprache lange Zeit selbstverständlich, Musikprojekte grenzübergreifend anzulegen und in der Ukraine ebenso wie in Russland aufzutreten. Diese völkerverbindende Kraft des Russischen ist nun paradoxerweise gerade durch einen Krieg unter der Flagge der „russkij mir“, der russischen Welt, zerstört worden.
Dies zeigt einmal mehr, dass die Behauptung eines durch den Krieg bezweckten Schutzes des Russischen nichts als eine Propagandaerzählung ist. In Wahrheit geht es eben nicht um den Schutz des Russischen an sich, sondern um die Definitionsmacht darüber, was als „russisch“ zu gelten hat.
In der Vorstellung des Kreml-Regimes ist „russisch“ gleichbedeutend mit Autokratie und Gängelung der Bevölkerung. Texte, die im Medium der Musik die Vereinbarkeit des Russischen mit freiheitlichen Lebensentwürfen und Gedanken vor Augen führen, stören da nur. Die Austrocknung der freien, grenzüberschreitenden Musikkultur liegt deshalb durchaus im Interesse des Kremls – auch wenn dies der eigenen Propaganda widerspricht.

Wie? Ich soll nicht so viel brabbeln? Ihr wollt lieber Musik hören? – Na gut – dann gibt es hier schon mal einen ukrainischen Sommerhit aus dem Jahr 2013. Der Song heißt Небо (Nebo / Der Himmel) und stammt von der Band Один в каное (Odyn w Kanoe / Einer in einem Kanu).
Der Song ist ein schönes Beispiel für die melodische, handgemachte Musik der Band. Mit der schon damals schwierigen Lage der Ukraine hat er allenfalls indirekt etwas zu tun. Das liegt zum Teil sicher daran, dass er vor den großen Krisen des Jahreswechsels 2013/14 entstanden ist.
Der dauerhafte Erfolg des Songs beruht aber wohl auch gerade auf dem Traum von einer anderen, friedlicheren Welt, der sich in ihm widerspiegelt. Das Lied gibt der Sehnsucht nach einem Leben Raum, das seinen Sinn in sich selbst findet und seine Würze gerade aus seiner Unberechenbarkeit zieht. Der „Himmel auf Erden“ beruht hier nicht auf philosophischen Höhenflügen, sondern auf der Hingabe an andere.
Infos zu der Band mit dem seltsamen Namen gibt es dann nächste Woche – sonst müsste ich ja noch mehr „brabbeln“! Weitere Beiträge (insgesamt zehn) folgen bis Ende August, jeweils am Wochenende.

Der Himmel

Unstet schwankt heute der Himmel
zwischen barocken und gotischen Formen.
Die Müdigkeit von bleichen Schultern
umkränzt er mit himmlischen Klängen.

Er, der ewig Suchende, ewig Findende,
steigt stürmisch zu uns herab,
blitzt durch die Blumen,
blinzelt uns zu und verlässt uns wieder.

Ich aber bleibe noch ein Weilchen,
ich bleibe bei dir, bis der Sturm sich legt.
Den Himmel kümmern keine Theorien des Seins.

Er weiß wie ich:
Der Sinn des Lebens ist es,
das Leben zu finden.

Salzig schmeckt das Himmelsmeer
in seiner Unberechenbarkeit.
Der Atem des Donners
weist ihm seinen Weg,
es ergießt sich in dich
und verschmilzt mit dir.

Auf der Suche nach der Ewigkeit
findet der Himmel deine Lippen.
Verblassend nährt er sich von ihrer Kraft
und wandelt, neu geboren,
Irdisches in Himmlisches.

Один в каное (Odyn w Kanoe): Небо (Nebo) aus dem Debütalbum Один в каное (2016); schon zuvor bei Live-Auftritten gesungen

Live, unplugged (2013):

Bilder: Peter Pike: Mädchen mit Blumenkrone (Pixabay); Nadine (Zephyrka): Blick auf die Andreaskirche auf dem Andreassteig in Kiew (Pixabay); Mykola Swarnyk: Ihor Dsikowskyj, Iryna Schwajdak und Ustym Pochmurskyj von der Band Odyn w Kanoe bei einem Konzert in Toronto (2022);Wikimedia commons

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