Nemnogo Nervno: ein gesungener Brief an Richard Löwenherz
Musikalische Sommerreise 2024/7
In ihrem Song Richard thematisiert die Band Nemnogo Nervno aus der Perspektive der Königinmutter die Kreuzzugsaktivitäten von Richard Löwenherz. Durch die Kritik an der religiös verbrämten Eroberungssucht erhält das Lied auch einen Bezug zur aktuellen Lage der Ukraine.
Richard
In ihren sorgenvollen Briefen,
die sie dir auf deinen Kreuzzug schickt,
schreibt sie von dem kalten Frühling,
von dem Kaminfeuer, das sie nicht wärmt,
von der Pest und von dem Krieg,
die vor den Toren wüten.
Ist deine Ehre noch lebendig?
Hast du noch Kraft zu trauern?
Rechtschaffen warst du,
aber du hattest nicht Recht.
Das Glück hat bei uns gewohnt,
aber du hast es gestohlen.
Einsam flackert in ihrem Fenster das Licht.
In all den Jahren, mit all den Gesetzesbüchern
hat sie regiert, aber nicht geherrscht.
Langsam, unmerklich
verliert sie den Verstand.
Sie entschuldigt sich bei dir
für ihren sprunghaften Stil,
für diese unbedachte Geste,
mit der sie dir eine Haarlocke schickt
wie einen Pfeil
mit einem schnell wirkenden Gift.
Wenn du ihr doch nur einmal antworten würdest:
Schenkt Gott im Frühling Regen
dem Heiligen Land?
Wird er dich heil nach Hause bringen?
Rechtschaffen warst du …
In all den Jahren …
Немного нервно (Nemnogo Nervno): Ричард (Richard) aus: Сны о Земле, Глава 3 / Sny o zemlje, glawa 3 / Träume von der Erde, Teil 3; 2016)
Videoclip:
Live im Moskauer Club Glastonberry, 2021 (Song ab 2:33):
Die Magie des Dream Folks: Nemnogo Nervno
Die BandНемного нервно(Nemnogo Nervno / Ein wenig nervös) wurde Ende 2007 in Запорі́жжя (Zaporizhzhja/Saporischschja) gegründet. Als Bandleaderin fungiert die Singer-Songwriterin Екатерина Гопенко (Ekaterina Gopenko, Aussprache Chopenko), die mit dem Flötisten Роман Резник (Roman Reznik) die Keimzelle der Band bildete. Derzeit besteht die Gruppe aus sechs Mitgliedern.

Nachdem die Band anfangs noch per Anhalter zu ihren Auftritten fahren musste, stellte sich mit der Veröffentlichung des ersten Albums im Jahr 2010 allmählich der Erfolg ein. Die Tourneen wurden umfangreicher, die Band wurde häufiger zu Festivals eingeladen und trat 2013 auch erstmals in den Live-Performances großer russischer Radiosender auf.
Ekaterina Gopenko startete parallel eine Solokarriere und begann auch auf Englisch zu singen. 2016 tourte sie durch Großbritannien und Zypern, die Band ging 2017 auf Tournee durch Israel, wo es durch die jüdische Auswanderung aus Russland eine starke russischsprachige Community gibt.
Eine Spezialität der Band sind Auftritte an ungewöhnlichen Orten – wie etwa 2016 auf einem Eisbrecher. Sie ist zudem eng mit der Literaturszene verbunden und auf Poesiefestivals auftreten.
Eine Sonderstellung unter den Alben der Band nimmt das zwischen 2013 und 2017 in vier Teilen veröffentlichte Projekt Сны о Земле (Sny o zemlje / Träume über die Erde) ein. Als eine Art Klammer für die Songs fungiert hier ein Mädchen, das auf einem fernen Planeten im Traum die Erde sieht.
Das Projekt steht zugleich exemplarisch für den Musikstil der Band, den Ekaterina Gopenko als „Dream-Folk“ charakterisiert. Als Ziel dieser Art von Musik betrachtet sie die „bewusste Schaffung einer magischen Atmosphäre“, die eher in der Form eines „Musiktheaters“ als durch reine Musik zu verwirklichen sei.
Richard: ein Song gegen religiös verbrämte Eroberungssucht
Das Lied Richard findet sich auf dem dritten, 2016 erschienenen Teil des Konzeptalbums Сны о Земле (Sny o zemlje / Träume über die Erde). Es spielt mit der Lebensgeschichte Eleonores von Aquitanien, die während der Teilnahme ihres Sohnes, Richard I. (Löwenherz), am Dritten Kreuzzug ab 1189 Regentschaftsaufgaben übernommen hatte.
Der Song interpretiert die historischen Fakten allerdings relativ frei. So war Eleonore keineswegs offiziell als Regentin eingesetzt worden. Sie nutzte lediglich ihren Einfluss als Königsmutter, um die Regierungsgeschäfte in Richards Sinn zu lenken und insbesondere den Machthunger von Richards Bruder Johann – bekannt als „Johann Ohneland“ – einzudämmen. Außerdem spielte sie eine entscheidende Rolle bei der Freilassung Richards, der bei der Rückkehr vom Kreuzzug in die Gefangenschaft des deutschen Kaisers (Heinrich VI.) geraten war.
Der Text des Liedes lässt sich auch auf die aktuellen Ereignisse in der Ukraine beziehen. Schließlich thematisiert er eben jene religiös verbrämte Eroberungssucht, unter der derzeit auch die Ukraine so sehr zu leiden hat. Der Song führt dabei vor Augen, wie die Hybris, aus eigener Machtvollkommenheit eine angeblich gottgewollte Ordnung herzustellen, eben jenes Glück zerstört, das durch ein gottgefälliges Leben zu erlangen ist.
Bilder:Yuri B.: Ritter im Mondschein (Pixabay); Nemnogo Nervno; in der Mitte Bandleaderin Екатерина Гопенко (Ekaterina Gopenko); Foto von Кира Василевски (Kira Wassiljewski); Wikimedia commons