Das Rothe Ohr 2024
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Die Praxis der Abschiebungshaft ist durch die neue Asylgesetzgebung noch einmal ausgeweitet worden. Lena Böllingers Feature führt den inhumanen Charakter dieses Umgangs mit Flüchtlingen vor Augen.
Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft
Zur Sicherstellung von Abschiebungen im Falle abgelehnter Asylgesuche können in Deutschland Ausreisegewahrsam oder Abschiebungshaft angeordnet werden. Beide Maßnahmen sind im Rahmen des im Januar 2024 verabschiedeten „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ verschärft worden.
Der als unmittelbare Vorbereitung auf eine Ausweisung vorgesehene Ausreisegewahrsam kann nun maximal 28 statt bislang 10 Tage betragen. Abschiebungshaft kann sogar auf 18 Monate ausgeweitet werden. Sie kann angeordnet werden, wenn eine Person ausgewiesen werden soll, die Abschiebung aber wegen „von dem Ausländer zu vertretenden Gründen“ – wie etwa dem Verlust von Ausweisdokumenten – nicht vollzogen werden kann (vgl. Aufenthaltsgesetz, § 62, Absatz 4).
Inhumaner Kern der Abschiebungshaft
Die Praxis der Abschiebungshaft ist grundsätzlich problematisch. So zitiert Lena Böllinger in ihrem Feature einen Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs mit den Worten:
„Männern, Frauen und Kindern, die auf ihre Abschiebung warten, den Anschein von Straftätern zu geben, indem sie wie solche behandelt werden, verletzt für sich genommen die Menschenwürde.“
Um wenigstens der Form nach die Unterscheidung von Häftlingen, die wegen Straftaten im Gefängnis einsitzen, zu wahren, gilt gemäß der Europäischen Rückführungsrichtlinie ein „Trennungs-“ bzw. „Abstandsgebot“. Danach dürfen Personen, die zur Vorbereitung einer Ausweisung ihrer Freiheit beraubt werden, nicht zusammen mit wegen Straftaten verurteilten Personen und auch nicht auf dieselbe Weise wie diese verwahrt werden.
Die insgesamt 14 deutschen „Unterbringungseinrichtungen“ für zur Ausweisung vorgesehene Personen, wie sie im Amtsdeutsch heißen, unterscheiden sich jedoch kaum von Haftanstalten. Die von der Autorin besuchte Abschiebungseinrichtung ist etwa in einer ehemaligen Justizvollzugsanstalt untergebracht, die in ihrem äußeren und inneren Erscheinungsbild kaum von einem normalen Gefängnis zu unterscheiden ist.
Christine Graebsch, Professorin im Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften an der FH Dortmund, kommt denn in dem Feature auch zu dem Schluss, dass „die Abschiebungshaft schon gesetzlich so ausgestaltet ist, dass sie dem Strafvollzug bis zur Ununterscheidbarkeit ähnelt.“ Von einer adäquaten Umsetzung des Trennungsgebots kann demnach keine Rede sein.
Menschenunwürdiger Alltag in Abschiebegefängnissen
Das Feature zeigt darüber hinaus auch, dass die bereits an sich problematische Praxis der Abschiebungshaft in Deutschland noch durch weitere inhumane Aspekte belastet ist. Dazu zählen etwa eine mangelnde Dokumentation der jeweils angeordneten Maßnahmen und eine vorübergehende Isolierung oder gar Fixierung einzelner Personen.
Letztere Maßnahmen werden damit begründet, die Betreffenden vor sich selbst und anderen schützen zu müssen. Sie werden folglich dann angeordnet, wenn aggressive oder suizidale Tendenzen beobachtet werden.
Dass die so genannten „Schutzräume“, in denen die jeweiligen Personen dann abgesondert werden, nicht nur sprachlich eine fatale Nähe zur „Schutzhaft“ aufweisen, wird bei einem genaueren Blick auf die damit verbundenen Praktiken deutlich. So konnte Lena Böllinger in ihrem Feature feststellen, dass die Unterbringung in einem „Schutzraum“ in Einzelfällen mehr als 22 Stunden pro Tag und bis zu 42 Tage betragen konnte.
Damit verletzt die Isolierung der Betreffenden in diesen Fällen die als „Nelson-Mandela-Regeln“ bekannten Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Behandlung von Gefangenen. Danach liegt Einzelhaft bei einer Isolierung von Häftlingen an 22 Stunden pro Tag bzw. – als Langzeit-Einzelhaft – bei einer Isolierung an mehr als 15 Tagen vor.
Offiziell geben die Abschiebungseinrichtungen an, Absonderungen Einzelner nur zu deren Schutz und nur für kurze Zeiträume vorzunehmen. Überprüfen lässt sich dies jedoch nicht, da die entsprechenden Maßnahmen nicht dokumentiert werden. Dies leistet interner Willkür Vorschub, von der Betroffene in dem Feature auch in der Tat berichten. Um Kontakte zu ihnen musste die Autorin sich allerdings speziell bemühen. In der von ihr besuchten Einrichtung wurden ihr Gespräche mit den Inhaftierten verweigert.
Menschen als Verschiebemasse
Das Feature zeigt auf eindrückliche Weise, dass Abschiebungshaft im Grunde unvereinbar ist mit humanen Standards des zwischenmenschlichen Umgangs. Menschen werden dabei als reine Verschiebemasse behandelt. Wer sich dagegen wehrt, wie ein Koffer in einem Gepäckschließfach auf die Abholung zu warten, wird ruhiggestellt.
Wie die Eingesperrten sich fühlen oder ob sie gar nach den möglicherweise traumatischen Erlebnissen vor und auf der Flucht durch die Haft retraumatisiert werden, spielt keine Rolle. Die Verweigerung psychologischer Hilfe erscheint wie ein Teil der Strafe dafür, dass sie es gewagt haben, von einem besseren Leben in Deutschland zu träumen.
Die Ausweitung von Abschiebehaft und -gewahrsam durch ein Gesetz, das ebenso inhuman klingt, wie es sich in der Praxis auswirkt, bereitet daher den Boden für eine weitere Aushöhlung des Rechtsstaats. Dies könnte am Ende uns allen auf die Füße fallen.
Links zum Feature und zur Autorin
Böllinger, Lena: Isoliert im Gefängnis? – Abschiebehaft in Deutschland (Werden in Abschiebehaftanstalten Menschenrechte verletzt?). Deutschlandfunk Kultur, 5. Februar 2024.
Übersicht über Beiträge der Autorin auf torial.com
Bild: Med Ahabchane: Mann hinter Gittern (Pixabay)
Erschreckend!- Der Kompass „Menschenrechte“ ist wohl mit all den Ertrunkenen im Mittelmeer versunken. Danke für diesen Beitrag. Es ist wichtig JournalistInnen zu ehren, die nicht mit dem mainstream mitschwimmen, sondern die dunklen Seiten von Politik und Gesellschaft aufdecken!
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