Daniel Guthmanns Bergkarabach-Feature

Das Rothe Ohr 2024

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Im Sommer 2023 hat Aserbaidschan die armenische Bevölkerung Aserbaidschans vertrieben und sich das Gebiet einverleibt. Daniel Guthmanns Feature lässt Betroffene zu Wort kommen und zeigt die Verbindungen zu dem türkischen Völkermord an den Armeniern auf.

Geschichtsvergessene Darstellung eines Angriffskriegs

Während des jüngsten Angriffskriegs Aserbaidschans gegen Armenien war immer wieder zu hören, es ginge dabei um das „völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Bergkarabach“.

Dies erweckte den Eindruck, Aserbaidschan setze mit seinem Vernichtungskrieg gegen das armenisch bewohnte Bergkarabach nur seinen rechtmäßigen Anspruch auf das Gebiet durch. Es bediene sich dafür zwar nicht gerade appetitlicher Mittel, sei jedoch grundsätzlich im Recht. Dadurch wurde ein Wegschauen legitimiert, das umso willkommener war, als Aserbaidschan mit seinen Erdgasvorkommen eine wichtige Rolle in der Energieversorgung des Westens spielt.

Tatsache ist jedoch, dass Bergkarabach seit Jahrhunderten armenisches Siedlungsgebiet ist. Als im Laufe des Mittelalters weite Teile der Region von  arabischen und türkischstämmigen Völkern erobert wurden, bildete Bergkarabach eine Art Berginsel, in der sich der christlich-orthodoxe Glaube gegenüber der in die angrenzenden Gebiete vordringenden muslimischen Kultur behauptete.

Ein Völkermord als Grundlage des Völkerrechts

Bei der Eingliederung Armeniens und Aserbaidschans in den Machtbereich der Sowjetunion wäre es vor diesem Hintergrund logisch gewesen, Bergkarabach dem Gebiet Armeniens zuzuschlagen. Dies war auch zunächst von der neu entstehenden Sowjetunion so vorgesehen. Dass es anders gekommen ist, lag an dem Widerstand Aserbaidschans, das hierbei wiederum von der Türkei unterstützt wurde.

Die junge Sowjetunion hatte Kämpfe im Inneren und im Äußeren zu bestehen. Die Befriedung von Grenzkonflikten – wie im 1921 mit der Türkei geschlossenen Vertrag von Kars – war der Führung deshalb wichtiger als die Achtung des Selbstbestimmungsrechts des armenischen Volkes. So gab man den türkisch-aserbaidschanischen Forderungen nach und gestand Bergkarabach lediglich den Status eines autonomen Gebietes  innerhalb Aserbaidschans zu. Die Missachtung der ethnischen Realität in Bergkarabach steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Völkermord der Türkei an den Armeniern, bei dem 1915 und 1916 bis zu anderthalb Millionen armenischstämmige Menschen getötet wurden.

Die Zugehörigkeit Bergkarabachs zu Aserbaidschan war so lange weitgehend unproblematisch, wie die Sowjetunion existierte. Mit dem Auseinanderfallen der UdSSR offenbarte sich jedoch der Zeitbombencharakter der von der Türkei und Aserbaidschan durchgesetzten Regelung.

Nachdem zunächst Armenien das Gebiet für sich erobert hatte, wurde in dem aktuellen Krieg Aserbaidschan von der Türkei bei der Einnahme Bergkarabachs unterstützt. Sie handelte dabei ganz in der Logik des Völkermords, dessen Geist auch den Vertrag mit der Sowjetunion über die Grenzziehung zwischen den beiden Ländern bestimmt hatte. Das Völkerrecht stützt damit hier de facto ein Vorgehen, das letztlich in einem Völkermord wurzelt.

Zum Feature von Daniel Guthmann

Das Feature von Daniel Guthmann setzt mit der Blockade des Latschin-Korridors durch Aserbaidschan im Sommer 2023 ein. Durch die Gebirgsregion führt die einzige Verbindungsstraße zwischen Armenien und Bergkarabach.

Nach der ersten Angriffswelle im Jahr 2020 hatte Russland als Schutzmacht Armeniens noch verhindert, dass der Korridor und damit letztlich ganz Bergkarabach von Aserbaidschan kontrolliert wird. Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine hatten sich jedoch die geopolitischen Interessen Russlands verändert. Die Unterstützung durch Aserbaidschan erschien nun wichtiger als die Stützung Armeniens.

Ohnehin beruhte das russische Interesse an Armenien in der Vergangenheit weniger auf der gemeinsamen christlich-orthodoxen Religion als auf machtpolitischen Überlegungen. Die armenische Sprache und Kultur war auch von Russland unterdrückt worden, nachdem man sich das Land im Kaukasus zwischen dem Beginn des 19. und des 20. Jahrhunderts schrittweise einverleibt hatte.

In dem Feature wird die Situation Bergkarabachs aus historischer und völkerrechtlicher Sicht beleuchtet. Im Mittelpunkt stehen allerdings Gespräche mit den betroffenen Menschen. Ihr Leiden unter der Blockade und der späteren Vertreibung, ihr Schmerz über die verlorene Heimat und ihre Trauer um die getöteten Angehörigen werden so unmittelbar nachvollziehbar.

Das Leid der Menschen in Bergkarabach kontrastiert das Feature mit den sadistischen Triumphatorgesten der aserbaidschanischen Soldateska und ihres Anführers Ilham Alijew, des Präsidenten Aserbaidschans. Fahnen der auf dem Boden Bergkarabachs gegründeten Republik Arzach werden mit Füßen getreten, gefangene armenische Soldaten gezwungen, „Bergkarabach ist aserbaidschanisch“ zu rufen.

Dass die Vertreibungen unmittelbar an den türkischen Völkermord an armenischstämmigen Menschen anknüpfen, zeigen außer den Vertreibungen und den Zerstörungen jahrhundertealter Zeugnisse armenischer Kultur auch die Umbenennungen von Straßen in Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs: Eine der Hauptverkehrsstraßen wird künftig den Namen von Enver Pascha tragen. Als Generalstabschef der osmanischen Armee war er 1915/16 maßgeblich mitverantwortlich für den Völkermord an den Armeniern.

Links zum Feature und zum Autor

Daniel Guthmann: Von Stalins Willkür bis zum Terror Alijews – Das Schicksal der Bergkarabach-Armenier. Hessischer Rundfunk (HR) / Österreichischer Rundfunk (ORF), Erstausstrahlung am 24. November 2023.

Kurzbiographie von Daniel Guthmann mit Filmographie und Übersicht über die vom Autor produzierten Radiofeatures auf der Website von dgfilm.net

Bild: Das 1216 gegründete Kloster Gandsassar („Schatzberg“), eines der wichtigsten Zeugnisse christlich-armenischer Kultur und eines der Wahrzeichen Bergkarabachs (Wikimedia commons)

Ein Kommentar

  1. Das gibt vermutlich grob die Züge bis heute wieder. Und läßt die Vermutung zu, dass die Angelegenheit noch lange nicht im Sinne neuerwachter Großmannssucht erledigt ist. Es gibt noch viel zu erobern, Gebiete, auf die keiner so richtig schaut, Armenien ist nur eines davon…

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