Verhandlungen mit einem Amokläufer

Das paradoxe Konstrukt eines Erpressungsfriedens

Friedensverhandlungen, die von Bombenterror orchestriert werden, sind in Wahrheit eine Erpressung mit aufgesetzter Pistole. Ihr Resultat wird kein Frieden sein, sondern Besatzungsterror – und für Außenstehende allenfalls eine Atempause vor einem noch schrecklicheren Krieg.

Ein sonniger Vorfrühlingstag. Du gehst im Park spazieren, begierig auf ein paar unbeschwerte Stunden, darauf, endlich wieder diese ungetrübte Lust am Leben spüren zu können, die dir in den dunkelkalten Wintermonaten verwehrt war.

Leider geht aber jenseits der Grenze – nach den Maßstäben dei­ner Welt nur einen Katzensprung von dir entfernt – eine ganze Armee von Amokläufern um. Wahllos löschen sie alles Leben aus, das sich ihnen in den Weg stellt.

Deshalb sind da jetzt diese Bilder, die du einfach nicht aus dem Kopf bekommst. Bilder von zerbombten Häusern und zu Tode verängstigten Menschen in Kellern und Bunkern, von geschundenen Körpern und von Kindern, die aus großen, dunklen Augen ins Leere starren. Bilder, die dir vorkommen wie Alpträume aus einem vergangenen Jahrhundert.

Es erscheint dir nicht nur obszön, die Sonne zu genießen, wäh­rend anderswo die Sonne für immer unterzugehen droht. Du fürchtest auch, die Sonnenfinsternis könnte bald auch dein ei­genes kleines Glück für immer  verdunkeln.

Drei Jahre dauert der Amoklauf gegen das Volk jenseits der Grenze nun schon an. So setzt du nun alle Hoffnung in den mächtigen Onkel aus Amerika, der versprochen hat, sich todesmutig der Armee von Amokläufern in den Weg zu stellen. Es ist dir auch egal, dass er dafür einen Anteil an der Beute der Amokläufer einfordert und mit einer Art Kniefall vor dem Obersten Amokläufer den Opfern selbst die Schuld an dem Amoklauf gibt.  Hauptsache, dieser Strom von Alptraumbildern ergießt sich nicht mehr in dein Gehirn.

Bebend vor Erwartung blickst du auf das Treffen des gestrengen Onkels mit dem Obersten Amokläufer. Du stellst dir vor, wie er ihm fest in die Augen blickt und ihn mit väterlicher Strenge ermahnt, sich ein wenig zusammenzureißen – denn schließlich wolle doch auch er in Frieden mit anderen leben.

Der Amokläufer aber hat längst nicht so viel Respekt vor deinem grimmig dreinschauenden Onkel wie du selbst. Er genießt zwar die Aufmerksamkeit, die dieser ihm zollt, gibt einstweilen aber nur ein unverständliches Knurren von sich und lässt die anderen Amokläufer weiter mit ihren Hightech-Waffen um sich schießen.

Gegen deinen Willen kommen dir die Verhandlungen in den Sinn, die du selbst in einem früheren Fall mit dem Obersten Amokläufer geführt hast. „Na gut“, hatte er dir da schließlich zugestanden, „ich will mal nicht so sein. Das Land, auf dem meine Opfer gelebt haben, musst du mir aber überlassen.“

„Aber Herr Amokläufer“, hattest du eingewendet, „das geht doch nicht! Das wäre ja ganz gegen die guten Sitten!“

„Na gut“, hatte er dir großmütig angeboten, „weil du’s bist. Meinetwe­gen kannst du einen Grenzstreifen behalten. Dafür morden wir aber noch ein bisschen weiter.“

Genauso war es am Ende gekommen – und du hattest dir sogar noch geschmeichelt, den Amoklauf mit deiner klugen Verhandlungstaktik beendet zu haben. Vor allem aber hattest du mit dem Amokläufer bislang immer gute Geschäfte ge­macht – und die wolltest du dir durch so einen kleinen Amoklauf nicht vermiesen lassen.

Leider hat der kleine Amoklauf den Obersten Amokläufer aber so stark gemacht, dass er nun nur noch mit deinem mächtigen Onkel aus Amerika über die Beendigung seines erneuten Amoklaufs verhandeln möchte. Du kannst nur am Zaun stehen und durch die Gitter deines kriegsumtosten Inselglücks zuschauen, wie die mächtigen Männer miteinander reden.

Bedauerlicherweise hast du dich dabei auch von deinem Onkel entfremdet. Wird er dem Amokläufer nicht umso ähnlicher, je mehr er mit ihm und dessen Schergen Umgang hat?

Manchmal spukt dir auch ein anderer, noch unangenehmerer Gedanke durch den Kopf, den du stets rasch wieder verdrängst: Was, wenn der Amokläufer – ermutigt durch die fette Beute, die ihm sein erneuter Amoklauf einbringen wird – auch gegen dich selbst irgendwann Amok laufen sollte? Würde dein Onkel dann noch auf deiner Seite stehen? Würde er für dich mit dem Obersten Amokläufer verhandeln?

Aber würde dir das als Unterstützung ausreichen? Und was könnte dein Onkel dem Amokläufer in einem solchen Fall überhaupt noch anbieten, um ihn von seinem Tun abzuhalten?

Um die düsteren Gedanken aus deinem Kopf zu vertreiben, gehst du wieder zurück in den Park. Die Sonne streichelt dir noch immer über die Wangen, die Erde erzittert wie in jedem Frühling unter dem aufblühenden Leben.

Dich aber erreichen die Liebkosungen des Frühlings nicht mehr. Du bleibst gefangen in dem unsichtbaren Käfig, in den der Amokläufer dich gesperrt hat. Wirst du ihn je wieder verlassen können?

Aus: Zacharias Mbizo: Die Ukrainische Apokalypse. Überarbeitete Fassung Februar 2025

Bild: Wladimir Putin bei der Betäubung eines Sibirischen Tigers (Amurtigers) im Südosten Russlands (Premier.gov.ru / Wikimedia commons; verfremdet mit KI)

3 Kommentare

  1. Dass Putin im Grunde ein gewissenloser Massenmörder ist, der unglaubliche Schuld auf sich geladen hat, gerät immer mehr aus dem Blick. Die Welt kann von diesem „Amoklauf“ nur gesunden, wenn es auch so etwas wie Sühne geben wird, so etwas wie Aufarbeitung und auch Verurteilung vor einem Gericht. Meine Befürchtung: Sobald die Waffen (für wie lange?) schweigen, wird „man“ zur Tagesordnung übergehen ohne zu merken „im Käfig des Amokläufers“ zu sitzen.

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