Ein Antikriegslied von Kralj Čačka (Nenad Marić)
Musikalische Sommerreise 2025: Ein Trip nach Serbien/8
In seinem Antikriegslied Dobro jutro, ljudi (Guten Morgen, Leute) thematisiert der serbische Singer-Songwriter Nenad Marić(Künstlername Kralj Čačka) die Gefahr der Gewöhnung an den Krieg. Nationalismus, Profitgier und Heldenkult werden als Dünger des Krieges kritisiert.
Guten Morgen, Leute
Guten Morgen, liebe Leute,
der Krieg geht auch heute weiter!
Brüder kämpfen gegen Brüder,
Waffen in den Händen, Geld am Abzug.
Die einen wie die anderen sagen:
"Wir verteidigen unser Volk."
Doch mein Volk gehört nicht mir,
und dein Volk gehört nicht dir.
Guten Morgen, liebe Leute,
der Krieg geht auch heute weiter!
Die Toten marschieren in eine andere Welt,
die Lebenden feiern sie im Internet.
Wann wird das Schwert des Friedens
die Bomben des Krieges zerschlagen?
Guten Morgen, liebe Leute,
der Krieg geht auch heute weiter!
Kralj Čačka (Nenad Marić): Dobro jutro, ljudi (2015). Der Song findet sich auf dem gleichnamigen, im Juni 2025 erschienenen Album.
Live-Auftritt des Künstlers mit seinem Bruder Marko Marić und Aleksandar Stanković (2015):
Wenn Kriegsnachrichten im Ton von Wetterberichten daherkommen
Der 1979 in der zentralserbischen Stadt Čačak geborene Nenad Marić hat bis 2006 in Belgrad Bildende Kunst studiert. Seit 2004 tritt er unter dem selbstironischen Künstlernamen „Kralj Čačka“ (König von Čačak) als Singer-Songwriter auf.
Der Song Dobro jutro, ljudi (Guten Morgen, Leute) ist der Titelsong eines Doppelalbums, das Marić im Juni 2025 herausgebracht hat. Es enthält Songs aus mehreren Jahren – auch der Titelsong wurde von dem Sänger bereits 2015 bei Auftritten präsentiert. Das Lied ist als sarkastischer Weckruf zu verstehen, der die permanente Präsenz des Krieges in unserem Alltag in der Art eines Wetterberichts thematisiert („Auch heute wird es wieder heiß …“).
Neben der so entlarvten, Gleichgültigkeit begünstigenden Macht der Gewohnheit deutet der kurze Song noch drei weitere zentrale Gründe für das scheinbar nicht auszulöschende Feuer des Krieges an: die Profitgier der Mächtigen, die den Soldaten die Finger am Abzug führen, die Bereitschaft der Menschen, Gefallene als Helden zu verehren, anstatt die für ihren Tod Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, und den Nationalismus.
Das Gift des Nationalismus
Dass der Nationalismus in dem Lied der zuerst genannte Grund für die Befeuerung der Kriegsmaschinerie ist, liegt bei einem serbischen Singer-Songwriter auf der Hand. Schließlich haben die Jugoslawienkriege der 1990er Jahre die zerstörerische Kraft des Nationalismus in besonders drastischer Weise vor Augen geführt. Zudem ist auch die aktuelle Protestbewegung nicht frei von nationalistischen Tendenzen.
Auf die Jugoslawienkriege trifft darüber hinaus das Etikett der „Bruderkriege“ in besonderem Maße zu: Was vorher als eine selbstverständliche Gemeinschaft angesehen wurde, zerbrach durch das Gift des Nationalismus in einzelne Teile. Die Gewalt entstand dann nach der Logik des Songs dadurch, dass ein Großteil der Menschen sich mit kleineren Einheiten der früheren Gemeinschaft identifizierte und diese Einheiten als „ihre“ angestammte Heimat gegen andere verteidigen zu müssen glaubte.
Dem setzt das Lied den Gedanken einer freien Entfaltung der Völker entgegen, die durch nationalistische Machtansprüche nur untergraben wird, anstatt gefördert zu werden.
Der Gedanke, dass die Einsicht in diese Wahrheit zu einer Beendigung kriegerischer Auseinandersetzungen führen kann, trifft allerdings nur dann zu, wenn der Bruderkrieg von beiden Seiten gleichermaßen befeuert wird. In einer Situation wie im Ukrainekrieg, wo die Gewalt auf dem aggressiven Imperialismus einer der beiden Kriegsparteien beruht, hilft eher der in dem Song ebenfalls angesprochene Aspekt der Habgier als Kriegsmotiv.
Hier muss dem Angreifer schlicht eine Kosten-Nutzen-Rechnung präsentiert werden, die ihm zeigt, dass er mit einer Fortsetzung der Attacken weniger erreichen kann als mit ihrer Beendigung.
Ein kulturkritischer Weckruf
Dass Marić das Lied als Titelsong für sein neues Album ausgewählt hat, liegt nicht nur daran, dass Appelle gegen den Krieg in diesen kriegsverseuchten Zeiten besonders wichtig erscheinen. Vielmehr bezieht er den „Weckruf“ des Songs auch auf andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, im Sinne von:
„Wacht auf, Leute, damit wir guten Morgen sagen können, bevor wir nur noch gute Nacht sagen können.“
Marić bezieht sich dabei insbesondere auf die Zerstreuungsindustrie, die mit ihrer Unterminierung einer kritisch-reflexiven Kultur letztlich auch den Populismus und dessen Tendenz zu autokratisch-gewalttätigen Konfliktlösungsmodellen begünstigt. Daneben kritisiert der Singer-Songwriter den auf oberflächliches Amüsement abzielenden Kulturbetrieb aber auch dafür, dass er die Menschen von ihrem Streben nach geistiger Erfüllung abhält:
„Wir leben in einem Zeitalter der Oberflächlichkeit, in dem die tieferen Bedürfnisse des Menschen nach Kultur hinter reinem Materialismus und Konformismus verborgen bleiben.“
Schwierige Arbeitsbedingungen in der alternativen Musikszene
Die Tatsache, dass „der heutige Zeitgeist die gesamte Kultur (…) beiseiteschiebt, in den Keller wirft, begräbt und vergräbt, sie mit noch einfacherer, leererer und gefährlicherer Unterhaltung verbrennt und zerstört“, hat laut Marić auch unmittelbare Auswirkungen auf die alternative Musikszene. Das „beschämend niedrige Kulturbudget“, die „kleinen Bühnenräume“ und „die fehlende Bühneninfrastruktur“ machten es schwer bis unmöglich, Musik abseits des Mainstreams zu produzieren.
Die mangelnde Unterstützung für seine Arbeit gibt der Sänger auch als Grund dafür an, dass er seine Songs erst einzeln vor Publikum präsentiert und dann gleich zu einem Doppelalbum zusammengefasst hat. Studioproduktionen gleichen ihm zufolge angesichts der unzureichenden Bedingungen für die alternative Szene „Tantalusqualen“.
Zwar räumt Marić ein, dass ein Doppelalbum quer zur Schnipselkultur des Internets steht. Dennoch hofft er, dadurch die Aufmerksamkeit auf einzelne Songs lenken und damit vielleicht doch etwas bewegen zu können. Im Idealfall ist ein Lied für ihn ein Medium, das dazu beitragen kann, dem gesellschaftlichen Alltag die Maske der Normalität vom Gesicht zu reißen. Zu einer solchen „Katharsis“ beizutragen, sieht Marić als das eigentliche Ziel seiner Musik an.
Zitate entnommen aus:
Dašić, Miloš: Intervju Kralj Čačka: Čvrsto zadržavam građansko pravo da se nadam, i da pustim glas ili krik kada za to osetim dobar razlog [Interview mit Kralj Čačka (Nenad Marić): Ich halte mich konsequent an das Bürgerrecht, meine Meinung zu äußern und meine Stimme zu erheben, wenn ich einen guten Grund dafür sehe]. Danas.rs, 26. Juni 2025.
Bild: Smokefish: Kotau (Pixabay)