Wenn der Kopf zum Fußball mutiert

Ein Einwurf zum Endspurt in der Fußball-Bundesliga

Passend zum Endspurt in der Fußball-Bundesliga ist auf rotherbaron mal wieder das Fußballfieber ausgebrochen. Themen deshalb: Ein VAR als Gamechanger; Trauerspiel Hertha; Der Untergang der Dinosaurier; Kommerz und Romantik; Mein Wunsch-Fußball.

Ein VAR als Gamechanger?

Was mich – wie wohl auch viele andere Fußballfans – derzeit am meisten beschäftigt: die Frage, ob Meisterschaft und Abstieg in der Fußball-Bundesliga in diesem Jahr durch eine krasse Schiedsrichter-Fehlentscheidung entschieden werden.

Ja, ich denke hier an Sascha Stegemann, der den Dortmundern im Spiel gegen den VFL Bochum einen klaren Foulelfmeter verwehrt hat. Noch mehr denke ich aber an den Video Assistant Referee (VAR) in diesem Spiel, Robert Hartmann. Schließlich waren Videoassistenten doch gerade eingeführt worden, um klare Fehlentscheidungen des Schiedsrichters zu verhindern.

Dass Hartmann dem Bayerischen Fußballverband angehört, könnte sein Nicht-Eingreifen zumindest unbewusst beeinflusst haben. Wenn die Fehlentscheidung dann so krass ist, dass sie im Anschluss sogar von der Schiedsrichterkommission des DFB unzweideutig eingeräumt wird, müsste das Spiel eigentlich wiederholt werden. Ansonsten ist der VAR doch kein Mittel gegen Fehlentscheidungen, sondern nur eine andere Ebene für Willkürentscheidungen.

Natürlich wird man hinterher wieder mit Argumenten kommen wie: Es zählt die ganze Saison, wer fragt später schon noch danach, Fehler passieren halt. Aber: Dieser Fehler ist in einer entscheidenden Phase der Saison passiert, in der sowohl für Meisterschaft und Abstieg die Weichen gestellt wurden. Anders als zu Beginn oder in der Mitte der Saison wissen die Spieler zu diesem Zeitpunkt genau, worauf es ankommt. Eine falsche Schiedsrichterentscheidung kann daher die gesamte Dynamik des Saisonendspurts verändern.

Ein Blick auf die Tabelle bestätigt das: Nicht nur würde Dortmund mit einem Sieg in Bochum noch immer vor den Bayern stehen – der Druck wäre also bei Letzteren. Auch Bochum fände sich ohne den Punkt aus dem Dortmund-Spiel noch immer hinter Schalke eingereiht, hätte also nicht den psychologischen Vorteil, über den Abstiegsrängen zu thronen.

Trauerspiel Hertha

Meiner alten Liebe Hertha habe ich im vergangenen Sommer, als die alte Dame schon einmal am Abstiegs-Abgrund stand, gleich zwei Posts gewidmet. Das zeigt, dass ich ein unverbesserlicher Fußballromantiker bin. Denn Hertha BSC ist im Grunde ein Fossil – ein Fossil, das sich mit Macht an den Felsen klammert, in den es eingemauert ist.

Das Hauptproblem bei der Hertha scheint mir eine Art Hauptstadtarroganz zu sein. Nach dem Motto: Wir sind der Nabel Deutschlands, also der Welt, deshalb steht uns schon durch unseren Standort die Deutsche Meisterschaft zu.

Diese Überheblichkeit hat selbst nach der Nahtoderfahrung der vergangenen Saison wieder verhindert, dass der Verein sich von Grund auf reformiert hat. Stattdessen wurde in Fredi Bobic ein Auswärtiger zum Sündenbock erkoren.

Geflissentlich übersehen wurde dabei, dass Bobic von den Hertha-Oberen einst heftigst angebaggert worden war. Auch dass er unter falschen Vorzeichen nach Berlin gelockt wurde, hatte plötzlich keine Bedeutung mehr. Anders als von ihm erwartet, musste er einen Transfer-Überschuss erzielen, anstatt bei Spielerneuverpflichtungen aus dem Vollen schöpfen zu können.

Ein weiterer Sündenbock: der langjährige Investor Lars Windhorst. Ihm verübelte man, dass er seltsamerweise ein Wörtchen mitreden wollte bei der Verwendung der von ihm in den Verein gepumpten Millionen.

Am Trainer hielt man dagegen fast bis zum Saisonende fest, obwohl schon bei Halbzeit der Saison deutlich war, dass die Mannschaft einen neuen Impuls brauchte. Im Saisonendspurt setzt man nun mit Pal Dardai wieder auf das Schmoren im eigenen Saft.

Trotzdem werde ich am Samstag mit schwitzenden Händen vor dem Radio hocken und der Hertha die Daumen drücken. Fußball-Leidenschaft ist nun mal etwas zutiefst Irrationales.

Der Untergang der Dinosaurier

Ich weiß nicht, ob es ein Trost für die Hertha ist, dass sie nicht allein ist im Todestrakt des Heims für altersschwache Fußball-Dinosaurier. Schließlich stehen mit Stuttgart und Schalke zwei weitere Traditionsclubs vor dem Absturz in die Niederungen der Zweiten Liga.

Dort sind mit Hannover, Nürnberg oder Düsseldorf schon einige traditionsreiche Fußballstädte heimisch geworden – und der Hamburger SV ist auf dem besten Wege, in deren Fußstapfen zu treten. In Kaiserslautern ist man sogar froh, nach dem Wandern durchs Drittliga-Tal wieder Zweitligaluft schnuppern zu dürfen.

Vor dem Aufstieg in die Erste Liga stehen dagegen mit Darmstadt und Heidenheim ein kleinerer Traditionsverein und ein möglicher Bundesliga-Neuling. Dies liegt insofern im Trend, als exakt solche kleineren Traditionsvereine – wie etwa Freiburg, Mainz und Augsburg – sich schon seit Jahren in der Bundesliga halten. Auch Union Berlin gehört in diese Kategorie.

Ein wenig ist das vielleicht wie bei den Schiffen, die umso wendiger sind, je kleiner sie sind. Soll heißen: Ein Verein, der nicht ganz so viel Tradition mit sich herumschleppt, tut sich womöglich leichter, auf die veränderten Anforderungen des neuen Fußball-Zeitalters zu reagieren.

Kommerz und Romantik

Die bittere Erkenntnis lautet wohl: Fußball-Romantik ist gut fürs Herz – benebelt aber, wie jede Leidenschaft, den Verstand. So führt der Wohlfühl-Fußball am Ende geradewegs in die Bedeutungslosigkeit – was dann auch nicht mehr gut ist fürs Herz.

Das Problem ist, dass die logischen Schlussfolgerungen daraus den Fußball langfristig zerstören würden. Sie lauten: Betreibe den Fußball als Geschäft! Nutze die Fußball-Romantik, aber inszeniere sie so, dass du selbst keinen Schaden davon nimmst: als Reklamefilm für die Anfeuerung einer Leidenschaft, die dein kühles Kalkül überdecken kann!

Wohin das führen kann, lässt sich an der blutleeren Fußball-Kultur bei den diversen Investoren-Clubs  beobachten. Dies gilt sowohl für die kleineren Retortenvereine in Deutschland als auch für die Starensembles der Scheichs in Frankreich und Großbritannien. Unabhängig davon, wie die Mannschaften auf dem Spielfeld agieren, klingt „Performance“ hier stets eher nach Börse als nach Fußballmatch.

Leipzig würde ich allerding hiervon ausnehmen. Immerhin ist hier ein traditionsreicher Fußball-Standort wiederbelebt und dem Osten ein Platz in der Beletage des Fußballs gesichert worden.

Hinzu kommt: Je mehr Geld im Spiel ist, desto mehr ist auch zu verlieren. Das Resultat ist dann oft ein in Taktikzwängen erstickter Fußball, bei dem der Ball ins Tor getragen wird wie ein Aktenordner in ein Behördenregal.

Mein Wunsch-Fußball

Natürlich bin ich mir bewusst, dass sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen lässt. Fußball ist  heutzutage ein Geschäft. Wer sich dem verweigert, ist schlicht nicht konkurrenzfähig.

Dennoch ließe sich einiges tun, um die Folgen der Kommerzialisierung zumindest abzumildern. Auf der internen Ebene der Vereine betrifft dies insbesondere die Fußballinternate, wo eigene Talente gefördert werden, anstatt sie anderen Vereinen wegzukaufen.

Vor allem aber ließe sich die Dynamik des Spiels entscheidend beleben, wenn sich der Weltfußball endlich zu ein paar entscheidenden Regeländerungen durchringen würde. Dazu zählt in erster Linie eine Reform der Abseitsregel, durch die nicht jedes noch so kleine Fußspitzchen oder Härchen an der falschen Stelle zur Aberkennung eines Tores führen würde.

Weitere Elemente, die der Dominanz von Taktiktabellen entgegenwirken könnten, ließen sich durch Anleihen bei anderen Sportarten entwickeln. Beispiele:

  • die Einschränkung des Zeitspiels, etwa durch den Zwang zu einem Torabschluss nach einer festgelegten Zeitspanne (analog zum Handball);
  • die Einführung von Zeitstrafen (analog zum Eishockey);
  • die Einführung von Strafecken (analog zum Hockey), zum Beispiel in der Form, dass bei jeder dritten Ecke die verteidigenden Spieler einen größeren Abstand zu den angreifenden Spielern einhalten müssen.

Was ich mir freilich am meisten wünsche, ist etwas, das sich durch keine Regel erzwingen lässt: das Fußball-Wunder. Die Meisterschaft des krassen Außenseiters; das Ausgleichstor in der Nachspielzeit der Nachspielzeit; die sensationelle Siegesserie zur Verhinderung des Abstiegs – das sind doch die Kicks, nach denen sich die Fußball-Süchtigen sehnen. Ob und wann ihnen diese Kicks gewährt werden, entscheidet aber leider allein der Fußball-Gott.

Bild: Pete Linforth (TheDigitalArtist): Fuball (Pixabay)

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