Das Rückführungs- als Remigrationsgesetz

Die Ampelkoalition als Erfüllungsgehilfin der AfD

Das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Ampelkoalition ist genauso zynisch, wie es klingt. In der Praxis verstärkt es die Tendenz, gut in Deutschland integrierte Menschen in Länder auszuweisen, die längst keine Heimat mehr für sie sind.

Abschiebung

Sie überfallen dich mitten in der Nacht.
Sie kleiden sich in deine Alpträume
und vermählen sich im Handstreich
mit deinen dunkelsten Erinnerungen.

Sie überfallen dich mitten am Tag.
Sie lauern dir auf als Phantome
und verwandeln deine Wege
in Teiche voller unsichtbarer Krokodile.

Sie interessieren sich nicht für dein Leben.
Für sie bist du nur eine Buchstabenfolge,
die sie entschlossen eliminieren
auf ihrer Wunschliste der Unerwünschten.

Sie sind stolz auf ihre verriegelten Herzen,
stolz auf den Riegel ihrer Hände,
stolz auf den Grenzriegel ihrer Körper.
Sie interessieren sich nicht für deinen Tod.

Das „Rückführungsverbesserungsgesetz“: Details aus dem Abschiebegiftschrank

„Rückführungsverbesserungsgesetz“ … Wenn das im Januar 2024 von der Ampelkoalition beschlossene Gesetz eines beweist, dann dies: Wer die Sprache vergewaltigt, hat auch weniger Hemmungen, Gewalt gegen Menschen auszuüben.

Hinter dem Gesetz verbirgt sich jedenfalls genau das, was man nach Olaf Scholz‘ Generalmobilmachungsparolen gegen Flüchtlinge – Stichwort „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ [1] – erwarten durfte: ein reichhaltiges Folterinstrumentarium für die Ausländerbehörden. Hier zur Erinnerung noch einmal die wichtigsten Giftpfeile im neuen (Un-)Rechtsköcher [2]:

Verstärkte Kriminalisierung von Schutzsuchenden

Ausreisegewahrsam und Abschiebungshaft werden ausgeweitet.

Der als Vorbereitung auf eine Ausweisung vorgesehene Ausreisegewahrsam kann nun maximal 28 statt bislang 10 Tage betragen.

Abschiebungshaft kann angeordnet werden, wenn eine Person ausgewiesen werden soll, die Abschiebung aber wegen „von dem Ausländer zu vertretenden Gründen“ [3] – wie etwa dem Verlust von Ausweisdokumenten – nicht vollzogen werden kann. Sie kann jetzt auf bis zu 18 Monate ausgedehnt werden. Die Betroffenen werden dabei nicht selten – entgegen dem „Trennungsgebot“ der Europäischen Rückführungsrichtlinie – wie gewöhnliche Kriminelle behandelt und teils sogar in Isolationshaft gehalten [4].

Erleichterung überfallartiger Abschiebungen

Die Möglichkeiten, sich auf Abschiebungen einzustellen, werden verringert.

Das Gesetz erleichtert es, Ausreisepflichtige nachts aus ihren Wohnungen zu holen. Außerdem entfällt die Regelung, wonach Personen, die seit mindestens einem Jahr in Deutschland geduldet sind, nicht weniger als einen Monat vor der geplanten Abschiebung von dieser in Kenntnis gesetzt werden müssen.

Für die Betroffenen bedeutet das dauerhaften psychischen Stress. Bei Nachtabschiebungen kommt die retraumatisierende Erinnerung an Gewalterfahrungen vor und auf der Flucht hinzu.

Erschwerung der Antragstellung

Wer bei einem Antrag auf Asyl die Unterlagensucht der Behörde nicht befriedigt, wird automatisch eines Täuschungsmanövers bezichtigt und schlimmstenfalls sofort in Haft genommen. Die Überlegung, dass Unterlagen auf der Flucht verlorengegangen sind oder durch den Zwang zu einem überstürzten Aufbruch aus dem Heimatland erst gar nicht mitgenommen werden konnten, spielt keine Rolle mehr.

Enttabuisierung der Privatsphäre

Das Gesetz erleichtert nicht nur die Durchsuchung von Privaträumen Ausreisepflichtiger sowie von deren Computern und mobilen Endgeräten. In Gemeinschaftsunterkünften ermöglicht es bei Abschiebungsvorhaben auch die Durchsuchung von Räumen unbeteiligter Personen.

Entkoppelung von Widerspruchsrecht und Ausreisepflicht

In Zukunft gilt: erst deportieren, dann Einspruch prüfen. Da Widersprüche vom Ausland aus oft schwer einzureichen sind, werden juristische Prüfverfahren auf diese Weise in einer Reihe von Fällen als lästiges Übel beiseitegewischt.

Erschwerter Zugang zu Hilfeleistungen

Die Dauer, in der Schutzsuchende nur Anspruch auf eingeschränkte Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung haben, wird von 18 auf 36 Monate erhöht. Dies ist gerade angesichts der physischen und psychischen Verletzungen, die mit den Fluchtgeschichten oft einhergehen, fatal.

Gnadenlose Ausweisungspraxis

Dass das Gesetz kurz nach Bekanntwerden von Plänen der AfD zu einer umfassenden „Remigration“ verabschiedet worden ist, ist nicht nur eine zeitliche Koinzidenz. Vielmehr entspricht der Geist des Gesetzes genau dem, was die AfD mit ihren Remigrationsphantasien bezweckt.

Denn das Gesetz dient keineswegs dazu, etwa kriminelle Netzwerke unter Menschen mit Migrationshintergrund auszudünnen. Diejenigen, die diese Netzwerke spannen, haben vielmehr größtenteils einen deutschen Pass und sind teilweise sogar hier geboren worden. Dass sie auf die schiefe Bahn geraten sind, ist auch die Schuld einer verfehlten Integrationspolitik.

Die Gnadenlosigkeit, die das Gesetz zur Norm erhebt, trifft so weit eher Menschen, die sich in Deutschland integrieren wollen oder hier sogar längst gut integriert sind. Es verstärkt damit Tendenzen, die es schon zuvor in der Abschiebepolitik gegeben hat. Hierfür drei Beispiele unter vielen:

  • In Duisburg ist 2017 ein in Deutschland geborenes 14-jähriges Mädchen aus Nepal während der Schulzeit von der Polizei zur Abschiebung abgeführt worden. Die Familie hatte seit Jahren in Deutschland gelebt und gearbeitet [5].
  • In Sachsen-Anhalt wurde 2020 ein 80-jähriger demenzkranker Türke nach 27 Jahren geduldeten Aufenthalts in Deutschland in die Türkei abgeschoben [6].
  • Im baden-württembergischen Landkreis Biberach wurde ebenfalls 2020 ein kosovarisches Ehepaar nach über 28 Jahren Duldung in Deutschland abgeschoben – mitten in der Corona-Pandemie, in ein Land, das es noch gar nicht gab, als das Paar nach Deutschland geflohen war, und für das es seinerzeit wegen der desaströsen Corona-Lage eine Reisewarnung des deutschen Außenministeriums gab. Beide waren gesundheitlich angeschlagen, der schwer herzkranke Mann starb fünf Monate nach seiner Ausweisung [7].

Mehr Blut- als Boden-Ideologie

Die Liste derartiger Fälle ließe sich noch endlos fortsetzen. Es gibt unzählige Beispiele von Menschen, die aus Deutschland abgeschoben werden, obwohl sie hier längst verwurzelt sind und ihre frühere Heimat für sie nur noch ein Teil einer fernen Vergangenheit oder – bei Kindern – sogar nur ein Teil von Erzählungen anderer ist.

Für Abschiebungen gibt es in diesen Fällen weder ökonomische noch integrationspolitische Gründe. Die entsprechenden Personen fallen niemandem zur Last, sie werden von ihrer Familie unterstützt oder versorgen sich selbst. Und sie halten sich aus lauter Angst, unangenehm aufzufallen, oft enger an deutsche Normen und Umgangsformen als die Deutschen selbst. Viele könnten bei dem verbreiteten Fachkräftemangel in Deutschland sogar eine wichtige Lücke ausfüllen. Dies würde es dem Staat ersparen, teure und – wegen des damit einhergehenden Brain Drains in den Entsendestaaten – moralisch fragwürdige Abwerbeankommen mit anderen Ländern auszuhandeln.

Wenn Ausweisungen hier dennoch mit der oben beschriebenen Härte durchgeführt werden, kann es dafür nur zwei Gründe geben: Prinzipienreiterei und Rassismus.

Die Prinzipienreiterei beruht dabei auf dem Grundsatz: „Gesetz ist Gesetz! Wir wenden es an, ob es sich human oder inhuman auswirkt. Die Härte des Gesetzes ist ein Beweis für seine Güte.“ Wenn aber die Anwendung eines Gesetzes humane Grundstandards verletzt, führt sich der Rechtsstaat damit selbst ad absurdum. Dies gilt umso mehr, wenn – wie im Fall des neuen „Rückführungsverbesserungsgesetzes“ – Grundrechte wie die Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Brief- und Fernmeldegeheimnis außer Kraft gesetzt werden.

Rassistisch ist die beschriebene Abschiebepraxis, weil sie Menschen nur deshalb ausweist, weil kein „deutsches Blut“ in ihren Adern fließt. Für einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Deutschland reicht es demzufolge nicht, jahrzehntelang in Deutschland integriert zu sein. Es spielt noch nicht einmal eine Rolle, ob jemand hier geboren worden ist und nie ein anderes Land als Heimat empfunden hat als Deutschland [8]. Es braucht einen deutschen Schäferhund im Stammbaum. Dies ist genau die Rechtspraxis, die rechtsextreme Parteien standardmäßig anstreben.

Dichtestress auf der rechten Seite des politischen Spektrums

Angesichts einer buchstäblich über Leichen gehenden Rechtspraxis hätten wir sicher kein verschärftes Ausweisungsrecht gebraucht. Stattdessen wäre es dringend an der Zeit gewesen, sich wieder auf Mindeststandards an Menschlichkeit zu besinnen.

Dass eine AfD-Regierung sich darum nicht gekümmert und das inhumane Ausweisungsrecht weiter verschärft hätte, hätte niemanden erstaunt. Auch bei der CDU, die sich in der Vergangenheit immer wieder gerne als „Law-and-Order-Partei präsentiert hat, hätte sich die Verwunderung wohl in Grenzen gehalten. Die Gesetzesverschärfungen sind aber nun gerade von einer Regierung aus Parteien eingeführt worden, die sich selbst kaum dem rechten politischen Spektrum zurechnen würden. Wie konnte das passieren?

Zugegeben – von Olaf Scholz hätte man vielleicht nichts anderes erwarten dürfen. Spätestens seit der gewaltsamen Niederschlagung der G20-Proteste während seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister hat er sich als Hau-den-Lukas-Politiker geoutet, der SPD-Politik in der Tradition von „Bluthund“ Gustav Noske, dem Verantwortlichen für die blutige Niederschlagung des Spartakusaufstands im Januar 1919, betreibt.

Dass Grüne und FDP ihrem Kanzler auf seinem Kreuzzug gegen die Humanität gefolgt sind, lässt sich wohl am ehesten mit der Angst vor einem weiteren Stimmenzuwachs AfD erklären. Ob es aber politisch klug ist, sich aus dieser Angst heraus zum Erfüllungsgehilfen des Rechtspopulismus zu machen, erscheint fraglich. Schließlich macht man die ausländerfeindlichen Parolen der AfD so ja erst hoffähig – und erhöht so die Wahlchancen dieser Partei eher noch.

Außerdem haben wir auf der rechten Seite des politischen Spektrums schon jetzt ein Überangebot. Das linke politische Spektrum droht dagegen nach der Spaltung der Linkspartei vollständig zu verwaisen. Wenn man schon mit Blick auf den Wahlzettel Politik macht, erscheint es daher gegenwärtig schlauer, auf eine konsequent humanitätsbasierte Politik zu setzen. Damit nämlich hätte man in Deutschland derzeit – leider – ein echtes Alleinstellungsmerkmal.

Nachweise

[1]    Olaf Scholz in einem Interview mit Christoph Hickmann und Dirk Kurbjuweit im Spiegel vom 20. Oktober 2023.

[2]    Eine gute Übersicht über die Neuregelungen durch das Gesetz bietet asyl.net: Rückführungsgesetz tritt in Kraft; 26. Februar 2024 [mit Links zum Gesetzestext und zu Stellungnahmen der Verbände].

[3]    Aufenthaltsgesetz, § 62, Absatz 4; dejure.org.

[4]    Vgl. Böllinger, Lena: Isoliert im Gefängnis: Abschiebehaft in Deutschland (Werden in Abschiebehaftanstalten Menschenrechte verletzt?).  Deutschlandfunk Kultur, 5. Februar 2024. Kurzzusammenfassung des Features: Abschiebehaft in Deutschland: Praxis und Kritik.

[5]    News4teachers.de:Ist das menschenwürdig? Gymnasiastin (14, in Deutschland geboren) wird aus der Klasse geholt, um sie abzuschieben – Mitschüler traumatisiert; 1. Juni 2017 [mit weiteren Beispielen für Abschiebungen aus der Schule]. Aufgrund des Aufsehens, das der Fall erregt hat, hat sich der Petitionsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags in diesem Fall für eine Rückkehrmöglichkeit der Schülerin ausgesprochen; vgl. news4teachers.de: Die 15-jährige Gymnasiastin Bivsi, die aus dem Unterricht geholt und mit ihren Eltern abgeschoben worden war, soll nach Deutschland zurückkehren dürfen; 5. Juli 2017.

[6]    Dieser und etliche weitere Fälle sind dokumentiert auf der Website von Pro Asyl: Schicksal Abschiebung: Zehn Schlaglichter aus 2020; 18. Dezember 2020.

[7]    Vgl. Kienert, Fabian: Abgeschoben in den Corona-Hotspot. Kontextwochenzeitung.de, 25. November 2020; Flüchtlingsrat Baden-Württemberg: Nach 28 Jahren abgeschoben, fünf Monate später tot; 12. März 2021.

[8]    Um mit der Geburt in Deutschland ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht oder gar die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten, muss bei der Geburt mindestens ein Elternteil fünf Jahre dauerhaft mit rechtmäßigem Aufenthaltstitel in Deutschland gelebt haben und über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügen. (vgl. Bundesinnenministerium: Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt in Deutschland). Angesichts der hohen Hürden, die dem Erhalt solcher Aufenthaltstitel entgegenstehen, erben viele Kinder also eher den unsicheren Aufenthaltsstatus ihrer Eltern  

Bild: Gerd Altmann: Angst (Pixabay)

4 Kommentare

  1. Worüber streiten sie sich eigentlich noch? Gibt es noch Unterschiede zwischen den Parteien?

    Ganz schlimm fände ich, wenn gut angepasste Menschen, die seit langem in Deutschland leben, nun unter ständiger Angst vor Ausweisung leben müssten. Ist es so? Du hast vollkommen recht, dass es um eine Ausdünnung der Verbrechensszenen, die oft genug von eingebürgerten ehemaligen Zuwanderern gesteuert werden, und nicht um eine „Rückführung nach dem Buchstaben des Gesetzes“ gehen müsste.

    Meine pflegebedürftigen deutschen Freundinnen könnten gar nicht überleben, wenn sie nicht liebevolle Afghaninnen, Russinnen, Ukrainerinnen zu ihrer Unterstützung hätten. Diese Frauen bemühen sich sehr, den deutschen Anforderungen gerecht zu werden, mit Sprachkursen und pipapo,

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  2. Es zeichnet sich doch schon lange ab, dass die unterdrückte Debatte über die verfehlte Umwelt-, Energie- und Wirtschaftspolitik, die sich durch eine auf unwissenschaftlichen Dogmen basierenden „wissenschaftlichen Weltanschauung“ rechtfertigt, eine Staatsideologie, die ihre Wurzeln im Dritten Reich in Flohns „Die Tätigkeit des Menschen als Klinafaktor“ hat, notwendig zu einer immer stärkeren Repression führen muss und dass die Migranten als die Sündenböcke auserkoren wurden, auf die alle Parteien und ihre Mitläufer gemeinsam einprügeln. Schon vor Jahren hat sich Manuela Schwesigs (SPD) langjähriger Komplize, der damalige Innenminister von MV Lorenz Caffier (CDU), im Wahlkampf stolz dabei filmen lassen, wie er persönlich nachts in Polizeibegleitung bei ausreisepflichtigen Familien klingelt, um schulpflichtige Kinder, die in Deutschland geboren wurden, und kranke ältere Leute, die seit Jahrzehnten in diesem Land leben, aus dem Bett holen und zum Flughafen bringen zu lassen. Gerda Kazakou hat Recht: Es gibt keinen Unterschied zwischen den Parteien. Die Angehörigen der politischen Klasse folgen den Stimmungen und den niederen Trieben der Wähler und bleiben nur in ihrer Dienstfertigkeit gegenüber dem Finanzkapital beständig.

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