Das Ende eines Traums

Zur ideologischen Nähe von Trumpismus und Putinismus

Die USA kehren unter Donald Trump zur Befürwortung einer expansionistischen Politik zurück, die sie selbst im 19. Jahrhundert betrieben haben. Dies verändert das internationale Wertegefüge und zerstört den Traum von einer menschenrechtsbasierten Weltordnung.

Der verdrängte Schatten des Amerikatraums

Die USA unter Trump – das ist ein wenig, als würde man mitten aus einem schönen Traum gerissen.

„Amerika“ – das stand in unseren Kinderbuchträumen immer für endlose Prärien, gewaltige Seen, die sich in der Ferne in den Horizont ergießen, himmelstürmende Berge und Nationalparks, in denen der Natur ihre Freiheit zurückgegeben wird. „Amerika“ – das war die Route 66, auf der wir mit unserem klapprigen VW-Bus schwitzend, aber glücklich der Sonne entgegenholperten.

Vietnamkrieg? Irakkrieg? Die Diktatorenfabriken der CIA, mit denen die hegemonialen Gelüste der Supermacht in Lateinamerika befriedigt wurden? Die Reservate, in denen jene zusammengepfercht wurden, die einst als freie Menschen in der freien Natur gelebt hatten? Klar, wir wussten um das alles. Aber wir haben es doch in den Schatten unseres schönen Traums vom freien Amerika geschoben, um uns weiter an unserer Western-Utopie wärmen zu können.

Die USA – Hüter der Menschenrechte?

Erschwerend kommt hinzu, dass wir das Reiseprospektbild von der Urlaubsfreiheit stets auch auf demokratische Werte übertragen haben. Die USA – das war für uns das Land von Martin Luther King und Franklin D. Roosevelt, nicht das des Ku-Klux-Klan und von John Tyler. Immer haben wir das Herz unseres Traum-Amerikas auf der Seite derer schlagen hören, die für Freiheit und Menschenrechte eintraten und nicht auf der Seite derer, die grundlegende humane und demokratische Werte aus rassistischen oder nationalistischen Motiven heraus mit Füßen getreten haben.

Dies gilt im Grunde für ganz Europa. In den Vasallenstaaten der Sowjetunion im ehemaligen Ostblock waren die USA der Gegenpol zur autokratischen Kreml-Herrschaft, unter deren Knute man zu leiden hatte. In Westeuropa waren die USA das Land, das die Menschen vom Joch der Nazi-Diktator befreit hatte.

Daraus ergab sich ganz selbstverständlich die Erwartung, dass die USA auch jetzt wieder an der Seite von Europa dem Versuch des Kreml Einhalt gebieten würden, das Gebäude des Völkerrechts sturmreif zu schießen. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied zwischen der Nazi- und der Kreml-Diktatur: Hitler strebte ganz offen die Weltherrschaft an. Putin dagegen möchte die Welt in Einfluss-Sphären aufteilen, sie also mundgerecht für die einzelnen Großmächten filetieren.

Während die nationalsozialistischen Machtansprüche damit auch die Interessen der USA bedrohten, ist der Kreml-Imperialismus weit eher mit diesen kompatibel. Er fügt sich sehr wohl in den nationalen Egoismus ein, wie er im Gefolge der „Make-America-Great-Again“-Parolen überall auf der Welt aufblüht.

John Tyler – ein autoritärer Präsident als Vorbild für Donald Trump

So stellen wir uns, aus unserem Traum von den USA als Hort der Freiheit erwachend, auf einmal die bange Frage: Ging es beim Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg womöglich gar nicht um „die Freiheit“? War das vielleicht nur eine schön klingende Chiffre für die Sicherung der eigenen Machtansprüche?

Das bringt uns zu der Frage: Wer war eigentlich der oben erwähnte John Tyler? – John Tyler war eigentlich nur als Vizepräsident unter William Henry Harrison vorgesehen, dem er als Südstaatenvertreter 1841 die Stimmen der dortigen Sklavereianhänger sichern sollte. Nachdem dies gelungen war, machte Harrison den Fehler, bei ungünstiger Witterung die bis heute längste Antrittsrede in der Geschichte der USA zu halten – mit der Folge, dass er bereits einen Monat nach der Amtseinführung an einer Lungenentzündung verstarb.

So rückte Tyler ins Präsidentenamt auf. Die unklare Rechtslage in Bezug auf sein Recht, die volle Amtszeit auszufüllen, interessierte ihn nicht. Er agierte vom ersten Tag an diktatorisch, legte sein Veto gegen Gesetze ein, die ihm persönlich missfielen, auch wenn sie von seiner Partei angestrebt wurden, und wurde schließlich sogar aus dieser ausgeschlossen.

Expansionistische Politik Tylers

Ungeachtet dessen verfolgte Tyler weiter kompromisslos eine expansionistische Politik, deren Höhepunkt 1845 die offizielle Eingliederung von Texas in die USA war. Dies war ein klarer Rechtsbruch. Denn das nach seiner Loslösung von Spanien zu Mexiko gehörende Texas hatte sich nach der verstärkten Einwanderung nordamerikanischer Siedler kurzerhand für unabhängig erklärt und die Aufnahme in die USA beantragt.

Die expansionistische Politik Tylers hatte indes noch weitergehende Folgen. Nach dem Vorbild von Texas riefen im Frühjahr 1846 auch in Kalifornien nordamerikanische Siedler die Unabhängigkeit aus. Dies befeuerte zusätzlich den bereits ausgebrochenen Krieg zwischen Mexiko und den USA, als dessen Resultat Mexiko 1848 den Rio Grande als Grenze zwischen den beiden Staaten akzeptieren und nicht nur Texas und Kalifornien, sondern auch weitere Territorien von beträchtlichem Umfang an die USA abtreten musste (u.a. das heutige Utah, Arizona und Nevada, außerdem Teile des heutigen Wyomings, Colorado und New Mexico).

Das Kriegsende fiel mit der Entdeckung gewaltiger Goldvorkommen in Kalifornien zusammen, die maßgeblich zu Industrialisierung und wirtschaftlichem Aufschwung in den USA beitrugen. So begründeten ein aggressiver Expansionismus und die widerrechtliche Aneignung fremder Territorien den späteren Weltmachtstatus der USA und schnitten ein anderes Land von seiner Entwicklung ab.

Parallelen zwischen der Politik Tylers und der Putins

Wenn manchen diese Geschichte bekannt vorkommen sollte, so ist das kein Zufall. Denn sie ähnelt in verblüffender Weise dem Vorgehen der Kreml-Aggressoren in der Ukraine. Auch hier sollen nicht nur die bereits besetzten Gebiete, sondern auch derzeit noch unter ukrainischer Kontrolle stehende Territorien in den eigenen Machtbereich integriert werden.

Außerdem geht es auch in diesem Fall wieder um Rohstoffe – dieses Mal allerdings um das Gold des postfossilen Zeitalters, die Seltenen Erden und andere für die neuen Formen der Energieerzeugung notwendigen Rohstoffe. Als zusätzliches Schmankerl haben die Invasoren sich im Gebiet Saporischschja bekanntlich noch das größte Atomkraftwerk Europas unter den Nagel gerissen.

Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass auch jetzt wieder auf dem Reißbrett eine Grenze gezogen worden ist, bis zu der das expansionistische Land seinen Machtanspruch durchsetzen möchte. Im aktuellen Fall ist dies allerdings eine fließende Grenze. Sie wird in dem Maße weiter vorgeschoben, wie die eigenen Expansionskräfte es zulassen – über den Südosten der Ukraine bis zu deren westlicher Grenze und schließlich immer weiter ins Gebiet des einstigen sowjetischen Machtbereichs hinein (und womöglich auch darüber hinaus).

Die normative Kraft des Faktischen

Zweierlei ist an den Parallelen zwischen der expansionistischen Politik der USA im 19. Jahrhundert und dem aktuellen aggressiven Imperialismus des Kreml bemerkenswert.

Zum einen wird dadurch deutlich, dass es eben keinen fundamentalen Gegensatz zwischen russischem und US-amerikanischem Expansionismus gibt. Vielmehr ist der Trend zur aggressiven Ausdehnung des eigenen Territoriums auch in der kulturellen DNA der USA fest verankert. Unter Donald Trump ist also nur ein Aspekt der US-amerikanischen Kultur an die Oberfläche gespült worden, der bislang von deren anderer, menschenrechtsbezogener Seite überdeckt worden war.

Zum anderen zeigt der Ausgang der damaligen US-amerikanischen Expansionspolitik aber auch, wie schnell und umfassend die Geschichte über begangenes Unrecht hinweggeht. Niemand käme heute mehr auf die Idee, Texas oder Kalifornien in das Staatsgebiet Mexikos reintegrieren zu wollen oder dem Land wenigstens eine Entschädigung für die geraubten Bodenschätze zuzusprechen. Das Recht des Stärkeren hat mit der Zeit Fakten geschaffen, die heute allgemein akzeptiert werden.

Weltweiter Schulterschluss der Autokraten

Etwas Ähnliches droht nun auch in der Ukraine zu passieren. Indem die USA unter Donald Trump in die expansionistischen Untiefen ihrer Geschichte zurücksinken, etabliert sich auf internationaler Ebene ein neues Wertegefüge, das von der Achse Moskau-Washington-Peking zusammengehalten wird. Es basiert auf dem angemaßten Recht der größeren Nationen, sich kleinere Völker unter dem Deckmantel einer rassischen und/oder religiös verbrämten Ideologie (Panslawismus, Ein-China-Doktrin, „Manifest Destiny“ im Sinne einer schicksalhaften Bestimmung der USA für ihren kulturellen und politischen Expansionismus) einzuverleiben.

So beerdigt eine Autokraten-Riege planvoll den Traum von einer demokratischen, menschenrechtsbasierten Weltordnung. Und was tut Europa? Singt sich selbst ein Wiegenlied auf einer Konferenz nach der anderen, während die Autokraten ihm die Totenglocke läuten.

Nicht mehr lange, und das Wiegenlied wird sich in einen Trauermarsch verwandeln.

Bild: Bild: Donna B. McNicol: Sackgassenschild an der Route 66 (Pixabay)

Ein Kommentar

  1. Sehr interessanter Text. Diese Zusammenhänge waren mir gar nicht bewusst. Tatsächlich hing ich auch meine gesamte Jugendzeit dem „amerikanischen Traum“ an.

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