Überlegungen zum Attentat von Berlin
Wenn es etwas gibt, das schlimmer ist als ein Alptraum, dann ist es der Zwang, den Alptraum immer wieder neu durchleben zu müssen. Eben dies ist aber das Prägende unserer Zeit. Vor einem Jahr haben wir die Toten der Pariser Attentate betrauert, jetzt betrauern wir die Toten des Berliner Attentats. Heute wie damals sind wir fassungslos über die Wahllosigkeit, mit der fremde Menschen niedergemetzelt wurden, erneut wird unsere Trauer verstärkt durch das Gefühl der Hilflosigkeit, das die nicht nachvollziehbare Brutalität des Täters in uns hinterlässt.
Leider scheint auch jetzt wieder die Wut, die in der Trauer keimt, einer differenzierten Problemanalyse im Weg zu stehen. Schon bei der Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Frau in Freiburg, die uns kürzlich aufgeschreckt hat, schien die Nationalität des Täters der wichtigste Aspekt der Tat zu sein – als wären derartige Verbrechen noch nie von Deutschen begangen worden. Ähnlich steht auch nun wieder die Frage im Vordergrund, ob der Täter ein Flüchtling war.
Schon jetzt klingt das Wort „Flüchtling“ ja ähnlich abfällig wie früher der Begriff „Asylant“. Wenn man die schrecklichen Taten einzelner Menschen, die aus Krisengebieten geflohen sind, aber nicht diesen selbst, sondern faktisch allen mit ihnen Geflohenen anlastet, so verfestigt man damit die Diffamierung und Stigmatisierung dieser Menschen. Mehr und mehr entsteht so der Eindruck, der „Flüchtling“ wäre ein Mensch einer bestimmten Rasse, dessen Gene ihn zu einem minderwertigen, für andere tendenziell bedrohlichen Verhalten prädestinieren.
Auf diese Weise werden die Hintergründe, die zu den abscheulichen Terrorattacken führen, ausgeblendet. Es kommt eben niemand als Selbstmordattentäter oder mit der Neigung, andere mit einem Lastwagen zu überrollen, auf die Welt. Damit man einen solchen Destruktionswillen und einen solchen Hass auf andere empfindet, muss man vielmehr persönlich und/oder als Angehöriger einer bestimmten Kultur/Nation/Religion ungeheure Demütigungen und eigene Gewalterfahrungen durchlitten haben.
Eben dies gilt es auch jetzt wieder mitzubedenken. Denn zu dem Alptraum, den wir immer wieder neu durchleben, gehört ja auch, dass die Stellvertreterkriege im Nahen Osten nur immer neue Steigerungsformen menschlicher Brutalität zutage fördern, anstatt von einer neuen Kultur des Dialogs, des Mitgefühls und der Solidarität abgelöst zu werden. Vor einem Jahr haben wir noch darüber spekuliert, ob und wie der Massenmörder Assad auf dem Verhandlungsweg von der Macht verdrängt werden könnte. Während die westlichen Politiker aber noch spekuliert und nachgedacht, diskutiert und verhandelt haben, haben andere sich schlicht überlegt, dass man auch und gerade mit einem von allen anderen zum Paria gestempelten Massenmörder gute Geschäfte machen kann. Und diese anderen hatten keine Skrupel, ihre Interessen mit einem Bombenhagel auf Alte, Kinder und Krankenhäuser durchzusetzen.
Menschen, denen es gelingt, aus diesem Inferno zu fliehen, lassen wir uns von einem Land vom Leib halten, das just in diesem Jahr die Schwelle zur offenen Diktatur überschritten hat. Wer es dennoch nach Deutschland schafft, wird misstrauisch beäugt und so penetrant mit dem Verdacht konfrontiert, ein islamistischer Bösewicht zu sein, dass er vielleicht am Ende selbst daran glaubt.
Auch wenn wir zur Stunde noch nichts Genaues über die Identität des Berliner Attentäters wissen, so ändert dies doch nichts an der Grundkonstellation. Die meisten derjenigen, die heute bei uns Schutz suchen, kommen aus Regionen, in denen westliche Staaten zumindest eine starke Mitverantwortung für das Chaos tragen, unter dem die Menschen zu leiden haben. Das gilt für Syrien ebenso wie für den Irak, für Afghanistan ebenso wie für Pakistan, wo an Orten, an denen amerikanische Spähprogramme Terroristen aufzuspüren meinen, immer wieder Unbeteiligte den Drohnentod sterben.
Vor diesem Hintergrund hat es etwas Zynisches, wenn als Reaktion auf die terroristischen Attentate ständig aufs Neue betont wird, wir würden uns von den Terroristen nicht dazu zwingen lassen, unsere Lebensweise zu verändern. Denn genau diese Lebensweise ist ja ein Teil des Problems. Solange wir nicht aufhören, ganze Regionen dieser Erde als „Werkbank“ zu betrachten, wo billige Produkte für unsere Märkte produziert werden können, solange wir anderen Kulturen weiterhin mit dieser überheblichen Toleranz begegnen, hinter der sich der Glaube an die Überlegenheit des eigenen Lebensmodells verbirgt, solange wir uns die Freiheit nehmen, in anderen Ländern Rohstoffkolonien für den Amoklauf unserer Wachstumswirtschaft zu sehen, wird es uns auch nicht gelingen, den Hasspredigern gegen die westliche Welt etwas Substanzielles, Wertehaltiges entgegenzustellen.
Wer das christliche Abendland vor dem Untergang bewahren möchte, sollte zunächst einmal eines tun: christlich handeln.
Ausführlichere Analyse zur terroristischen Bedrohung:
Der Islamische Staat und wir oder Das Böse im Guten
Wir schaffen das!
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Der Friede in Europa ist gefärdet.
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Das stimmt! Man muss politisch wachsam sein und dem Hass jedweder Art entgegentreten. Aber das, was man zuerst friedlicher machen kann, sind die eigenen Gedanken und Gefühle.
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Ach, was wäre das schön, wenn Beiträge wie diese auch bei den Menschen landen würden, die ganz dringend ein wenig Reflektion vertragen würden…
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