Die SPD pflegt beim G20-Gipfel mal wieder ihr Bluthund-Image
Ja, ich bin auch froh, dass ich letzte Nacht kein Auto im Hamburger Schanzenviertel stehen hatte. Gewaltanwendung erscheint mir generell nicht sonderlich zielführend. Und wenn jemand mal einfach so seine Aggressionen ausleben möchte, um „Dampf abzulassen“, frage ich mich, warum er dafür nicht ins Fitness-Studio geht oder sich einen Punchingball in die Wohnung hängt.
Allerdings muss immer auch gefragt werden, wie es zu solchen Gewaltausbrüchen kommen kann. Es war von vornherein klar, dass die selbst ernannte Weltregierung, die sich da in Hamburg versammelt hat, kritische Menschen aus aller Welt anziehen würde; Menschen, die sich eine solche Regierung anders vorstellen, die nicht mit deren Politik einverstanden sind und auch mehr an der Ausgestaltung dieser Politik beteiligt werden möchten.
Auf diese Kritiker hätte man zugehen können. Man hätte auf offenen Veranstaltungen mit ihnen diskutieren und ihnen so signalisieren können, dass man ihre Anliegen ernst nimmt. Stattdessen hat man den G20-Gipfel von Anfang an als geschlossene Gesellschaft organisiert. Man hat das Oligopol der Mächtigen von den Kritikern abgeschottet, um ja keinen Schatten auf die vorbereiteten Hochglanzfotos fallen zu lassen. In würdeloser Prozesshanselei ist im Vorfeld versucht worden, jeden Anschein von Kritik aus dem Umfeld der Weltenlenker zu verdrängen und Protestcamps ebenso wie Demonstrationen von diesen fernzuhalten.
Mich hat diese Vorgehensweise an Putins Russland erinnert, wo das Demonstrations- und Versammlungsrecht in letzter Zeit vollends zur Realsatire verkommen ist und Demonstrationen – wenn überhaupt – nur noch fernab der Innenstädte genehmigt werden, dort, wo der Protest niemanden stört, weil niemand ihn hört. (Sollte hier etwa Putin-Freund Schröder seinen ehemaligen Mitstreiter Olaf Scholz beraten haben?)
Damit nicht genug, hat man bei der Polizei auch noch einen Mann zum Einsatzleiter ernannt, der bislang – vorsichtig ausgedrückt – nicht gerade durch eine Vorliebe für deeskalierende Strategien aufgefallen ist. Die Folgen sind bekannt: Friedliche Demonstrierende wurden mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern traktiert, während man Randalierer gewähren ließ. Wer eine solche Einsatzstrategie wählt, der will offenbar die Eskalation. Das Ziel: Jede Form der Kritik soll im Keim erstickt werden, indem sie als Wutgebell „linker Chaoten“ und gewaltbereiter Marodeure hingestellt wird.
Wenn Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz das Verhalten der Polizei nun als „heldenhaft“ lobt, so entspricht dies de facto einem doppelten Missbrauch der Einsatzkräfte: Erst werden sie einem inadäquaten Kommando unterstellt, das in einer konfrontativen Strategie ihre Gesundheit aufs Spiel setzt. Und dann verklärt man diese Form fahrlässiger Körperverletzung auch noch als Beleg für eine angeblich märtyrerhafte Opferbereitschaft der Einsatzkräfte.
Auffallend ist, dass unter den Verteidigern des Vaterlandes, die das Vorgehen der Polizei ausdrücklich gutheißen, besonders viele Sozialdemokraten sind. Steinmeier hat sich mit Scholz bei verletzten Polizisten im Krankenhaus ablichten lassen, Schulz hat von „marodierenden Banden“ gesprochen, Heiko Maas harte Strafen angekündigt. Offenbar meinen hier manche, sich im Vorfeld der Bundestagswahl mal wieder als wahre Patrioten zeigen zu müssen. Schon der Parteitag der SPD, auf dem Gerhard Schröder, der Totengräber des deutschen Sozialstaats, sich als Garant für „mehr Gerechtigkeit“ – das zentrale Wahlversprechen der Schulz-SPD – inszenieren durfte, hatte ja in diese Richtung gewiesen: bloß nicht zu links erscheinen, bloß nicht nach Revolution riechen, alles Sozialdemokratische weichspülen, nur nicht das Wahlvolk verschrecken …
Offenbar macht sich hier mal wieder das Uralt-Trauma der SPD bemerkbar: die Angst, als „vaterlandslose Gesellen“ zu erscheinen. In einer Art Überkompensation dieses Vorwurfs – mit dem die Sozialdemokraten schon im Kaiserreich konfrontiert waren und der auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs lange dazu beigetragen hat, sie von der Regierungsmacht fernzuhalten – neigt die Partei immer wieder dazu, besonders vaterlandsliebend und staatstragend aufzutreten. So hat 1919 „Bluthund“ Noske den Spartakusaufstand zusammenschießen lassen, so hat Willy Brandt den Radikalenerlass mit durchgesetzt, so hat Gerhard Schröder Kriegseinsätze der Bundeswehr im Ausland befürwortet und die Arbeiterklasse prekarisiert.
Klar: Die Unternehmerlobby applaudiert bei solchen Aktionen, altgediente Militärs nicken anerkennend. Das Problem ist nur: Eine solche SPD braucht niemand. Zwar macht sie sich so bei den Kretschmann-Grünen beliebt, doch fühlen die sich auch bei der CDU zu Hause. Ein Regierungswechsel, wie der Eurokraten-Napoleon Martin Schulz ihn sich erträumt, wird auf diese Weise nur noch unwahrscheinlicher. Denn dafür müsste die SPD sich endlich zu ihrem linken Flügel bekennen und so eine Koalition mit der Linkspartei ermöglichen.
Ehrlicherweise müssten all die Sozi-Patrioten ihre Partei daher verlassen, um den Weg für einen echten Richtungswechsel in der deutschen Politik freizumachen. Ich wüsste da sogar eine Partei, die solche Hurra-Patrioten mit Kusshand aufnehmen würde …