Musikalische Sommerreise 2017: Teil 2

 Zweite und dritte Etappe: Tschechien und Russland

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Heute geht es auf die zweite und dritte Etappe meiner musikalischen Sommerreise. Die weiteren Etappen folgen im Drei-Tage-Rhythmus bis Ende nächster Woche. Danach werde ich zwei längere Abstecher nach Frankreich unternehmen, wo ich den modernen Bardinnen lauschen werde.

Unbenannt (2)Die beiden heutigen Etappen meines Musiktrips führen mich nach Tschechien und nach Russland. In Tschechien habe ich die Gruppe Traband getroffen, eine Gründung des 1966 in Kolín geborenen Songschreibers und Sängers Jarda (Jaroslav) Svoboda, der sich auch als bildender Künstler betätigt. Der Name „Traband“ leitet sich ab aus der Anfangszeit der Band (1995/96), als diese als Trio auftrat. Aus „Trio-Band“ wurde dann, in Anlehnung an den ostdeutschen „Trabi“, „Traband“.

Aus Russland sind uns anschließend Pjotr Nalitsch und sein „Musikalnyj Kollektiv Pjotra Nalitscha“ zugeschaltet. Nalitsch ist vielen durch seine herrliche Macho-Parodie GitarPeter-Nalitch-3 aus dem Jahr 2007 sowie durch seine Teilnahme am Eurovision Song Contest in Oslo 2010 (mit dem Song Lost and forgotten) bekannt. Als Sohn eines erfolgreichen Architekten hat er selbst Architektur studiert, verfügt jedoch auch über eine professionelle Musikausbildung.

Die beiden hier vorgestellten Songs verbinden jeweils einen eher melancholischen Text mit einem humorvollen Videoclip, durch den auch manche sprachliche Nuancen der Texte und einige Aspekte der Musik in ihrem selbstironischen Gehalt hervortreten. So karikiert bei Nalitsch das übersteigerte Pathos des Gesangs das Selbstmitleid des Ichs in dem Text, während bei Svoboda und seiner Band die leitmotivartig eingesetzten Trompetenklänge eine Lebenslust ausstrahlen, die den Fatalismus des Textes konterkariert.

In beiden Fällen werden zentrale Menschheitsthemen angesprochen: hier die Liebe (und ihr Scheitern), dort die Halt- und Rastlosigkeit des aus dem Paradies der Kindheit vertriebenen Menschen. Die Nonchalance, mit der die Themen jeweils angegangen werden, nimmt ihnen jedoch ihre Schwere. Aus Tragik wird Tragikomik.

Ermöglicht wird dies durch eine spielerisch-selbstironische Distanz, die nach meiner Erfahrung eher in Ost- als in Westeuropa zu Hause zu sein scheint. Bei manchen deutschen Diskursen würde ich mir jedenfalls wünschen, dass sich die Bedenkenträgermienen ab und an durch einen vergleichbaren Abstand zu der eigenen Selbstgefälligkeit aufhellen würden. Das Problem ist nämlich, dass das menschliche Dasein sich gerade dann am deutlichsten in seiner grundsätzlichen Lächerlichkeit offenbart, wenn es sich in den Talar der Bedeutungsschwere kleidet.

  1. Etappe: Tschechien: Traband: Černej pasažér

 

 

aus: Hyjé! (‚Hü!‘); 2004

Liedtext

Übersetzung:

Der blinde Passagier

Ich habe einen Koffer voll überflüssigem Krempel
und eine in Tücher eingewickelte Mappe.
Mein Zug fährt jedoch in die verkehrte Richtung,
und meine Fahrkarte ist schon lange ungültig.

Irgendwo in meiner Erinnerung gibt es ein Haus,
ich sehe noch den Rauch, der aus dem Schornstein aufsteigt.
In diesem Haus ist der Tisch für mich gedeckt,
dort ist meine Heimat.

Meine Vergangenheit wendet mir ihre Fratze zu,
und das Herz tut mir weh, wenn die Erinnerung sich regt.
Denn der Baum, der sich immer nach dem Himmel streckte,
liegt nun mit abgeschlagenen Wurzeln am Boden.

Ich bin ein blinder Passagier,
ich reise ohne Ziel und Richtung,
ich fahre schwarz und weiß nicht, wohin.*
Ich bin ein blinder Passagier,
ich reise ohne Ziel und Richtung,
von nirgendwoher fahre ich nirgendwohin, und ich weiß nicht, wo es enden wird.

Ich habe lauter bunte Fotos
von irgendwann aus dem vergangenen Jahrhundert.
Aber ich fühle mich nur noch heimatloser,
wenn ich mir die Bilder ständig in Erinnerung rufe.

Ich bin ein blinder Passagier …

* wörtlich: und weiß nicht, mit welchem Leben.

 

  1. Etappe: Russland

Pjotr Nalitsch (engl. Nalitch/Nalich): Morje

 

Liedtext

Übersetzung:

Das Meer

Über der endlosen Weite des Meeres
blinken die Leuchttürme mit den Sternen.
Mit einem leisen Lied auf den Lippen stechen wir in See.
Singt mit, meine Matrosenfreunde!

Ein warmer Wind wiegt unser Boot,
über dem Wasser schwebt der Nebel.
Nie vergesse ich deinen Gang,
genauso wenig wie deinen Betrug.

Du hast heute die ganze Nacht mit Wahrsagungen zugebracht,
mein Schatz, mit wem wirst du wohl zusammen sein?
Du hast die Karten auf dem Feld verteilt
und meine Träume in Stücke gehauen.

Die Wellen türmen sich höher und höher,
aber mir ist das längst einerlei –
mich hört ohnehin keiner mehr.
Mit einem leisen Lied auf den Lippen sinken wir auf den Grund.

Dort, auf dem Grund des Meeres, werde ich liegen,
in einer Welt der lautlosen Schönheit,
und über mich werden die Kapitäne hinweggleiten,
mit denen du dich vielleicht gerade amüsierst.

Du hast heute die ganze Nacht
am Heck auf die Wellen geschaut.
Dort, in der Tiefe, hast du einen Körper gesehen.
Ja, das bin ich, ich werde immer bei dir sein.

 

 

Bilder: 1. Auszug aus dem Videoclip Morje von Pjotr Nalitch. 2. Auszug aus dem Videoclip “ Černej pasažér“ von Traband. 3. Pjotr Nalitch Quelle: http://beautifulrus.com/peter-nalitch-russian-singer/

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