Asyl

Sant Egidio 3 (2)

Der Fremde, der kürzlich bei dir eingezogen ist, hat dich die Dankbarkeit gelehrt. Du, der du die Welt nicht anders kanntest denn als Garten voller reifer Früchte und sprudelnder Quellen, wusstest gar nichts mehr von der Schönheit eines leuchtenden Apfels und dem reinigenden Geschmack klaren Wassers.

Der Fremde, der kürzlich bei dir eingezogen ist, hat dich das Du gelehrt. Du, der du die Welt nicht anders kanntest denn als Spiegelkabinett, aus dem dich überall dein eigenes Gesicht anblickt, wusstest gar nichts mehr von den geheimen Offenbarungen in den Augen der anderen und von der kryptischen Schrift in den faltigen Tälern ihrer Haut.

Der Fremde, der kürzlich bei dir eingezogen ist, hat dich die Vielfalt gelehrt. Du, der du die Welt nicht anders kanntest denn als eingemauerten Hof, wusstest gar nichts mehr von den anderen Welten, die sich hinter den Mauern deiner Welt verbergen.

Der Fremde, der kürzlich bei dir eingezogen ist, hat dich das Teilen gelehrt. Du, der du die Welt nicht anders kanntest denn als Brot, von dem du möglichst große Stücke abzubeißen hattest, verstandest erst jetzt, warum auch das größte Stück dich nie satt gemacht hat.

Der Fremde, der kürzlich bei dir eingezogen ist, hat dich gelehrt, dass dein Haus nicht dir allein gehört. Da hast du ihn hinausgeworfen. Nun verlernst du allmählich wieder die Dankbarkeit, das Du, die Vielfalt und das Teilen.

 

 

Ein paar begleitende Gedanken:

Ich weiß nicht, ob es politisches Kalkül war oder persönliche Überzeugung, was Annegret Kramp-Karrenbauer dazu bewogen hat, sich Anfang des Jahres, als frisch gekürte CDU-Vorsitzende, mit einem Anti-Migrationsgipfel zu profilieren. Ebenso wenig weiß ich, ob Angela Merkels Bestimmung der Provinzpharisäerin zur Thronfolgerin dem Wunsch nach einer Korrektur ihres weltoffenen Images entsprungen ist, ob wahltaktische Überlegungen dabei eine Rolle gespielt haben oder ob ihre Präferenz schlicht Ausdruck einer politischen Perversion war, gewissermaßen einer Wandlung vom Paulus zum Saulus.

Ich weiß aber auch nicht, was ich abstoßender finden soll: die Kultivierung einer tief empfundenen Ausländerfeindlichkeit oder das Vortäuschen einer solchen, um mehr Wählerstimmen abzugreifen.

Klar ist jedenfalls, dass auf diese Weise das zerstört wird, was Angela Merkel gegenüber anderem politischen Führungspersonal auszeichnet: ihr „Mutti“-Image, mit dem etwas despektierlich die Bereitschaft umschrieben wird, auf menschliche Not auch einmal mit spontaner Hilfsbereitschaft zu reagieren, anstatt zunächst zu kalkulieren, ob ostentative Härte auf die Wählenden nicht vielleicht mehr Eindruck macht.

Eben dies – das offene Bekenntnis zu nationalistischen Egoismen und die Zurückweisung der Hilfsbedürftigen – hat sich mittlerweile als Normalzustand etabliert. Natürlich wäre es hilfreich gewesen, wenn „Mama Merkel“ die Willkommenskultur nicht nur ausgerufen, sondern sie – durch das Auflegen entsprechender Integrationsprogramme – auch mit Leben erfüllt hätte. Ihre grundsätzliche Offenheit gegenüber den Flüchtlingen hat jedoch gezeigt, dass die politische Kultivierung einer von Solidarität und Mitgefühl geprägten Haltung gegenüber Fremden andere darin ermutigen kann, sich ebenfalls toleranter und hilfsbereiter zu zeigen.

Heute dagegen ist das Gegenteil der Fall. Scharfmacher wie Viktor Orbán, Matteo Salvini und natürlich der oberste Weltfremdenfeind, Donald Trump, versuchen ihre vermeintlichen Führungsqualitäten durch eine kompromisslose Abgrenzung gegenüber Fremden unter Beweis zu stellen. Flüchtlingshelfer werden kriminalisiert, die Grenzen mit immer rabiateren Methoden bewacht, der Tod der Hilfsbedürftigen wird billigend in Kauf genommen oder sogar provoziert.

Das Wort „Flüchtling“ hat auf diese Weise schon fast einen abwertenden Beiklang bekommen. Für viele klingt es nur noch wie die Fortsetzung der Reihe „Gefährder“, „Vergewaltiger“, „Terrorist“. Daran hat auch die Berichterstattung über Flüchtlinge ihren Anteil. Wann immer ein Mensch mit Migrationshintergrund ein Verbrechen begeht, findet das in den Medien breite Beachtung. Wenn ein deutscher Mann eine deutsche Frau vergewaltigt, ist das hingegen weniger interessant – oder es wird im Rahmen der Me-Too-Debatte diskutiert. Dann aber wird die Problematik im Kontext eines Machtdiskurses behandelt – während im Falle von Migranten der Eindruck erweckt wird, es läge quasi in ihrer Natur, kriminell oder sexuell übergriffig zu sein. In Gestalt des „Flüchtlings“ wird das Stereotyp vom „wilden Neger“ plötzlich wieder salonfähig.

So wird ein Teufelskreis befeuert, durch den die virulente Fremdenfeindlichkeit in der Bevölkerung und die rassistischen Parolen der hetzenden Hexenmeister sich gegenseitig verstärken. Dies ist nicht nur für jene Menschen schlimm, die vor den tödlichen Ausweglosigkeiten in ihren Herkunftsländern zu uns fliehen. Vielmehr schaden wir uns auf diese Weise auch selbst. Durch die immer stärkere Verhärtung unserer Seelen verwandeln wir uns allmählich in Monster, die das Leben und damit auch sich selbst hassen – und am Ende in ihrem Hass auf die ganze Welt vielleicht sogar einen apokalyptischen Weltkrieg anzetteln. Dass es sich dabei nicht einfach nur um eine düstere Zukunftsvision handelt, hat sich in der vergangenen Woche bei dem Massenmord unter betenden Muslimen im neuseeländischen „Christchurch“ gezeigt.

 

Bild: I. Hoffmann: Skulptur vor der Kirche Sant’Egidio in Trastevere (Rom)

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