Island: Punk und raunende Elfen

Nordische Musikkulturen: Musikalische Sommerreise 2019, 4. Etappe

Spuckende Geysire? Tosende Wasserfälle? Berstende Vulkane? Im Nachtleben von Reykjavík ist davon herzlich wenig zu spüren. Wenn hier etwas tobt, so ist es der Party-Bär, wie in anderen Hauptstädten auch. Und doch muss man nur ein paar Schritte hinaus in die Nacht gehen und auf das weite, unergründliche Meer schauen, um auf das Raunen geheimnisvoller Nebelwesen zu stoßen …

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INHALT:

Party-Nächte in Reykjavik
Isländische Musikkultur
Isländische Musik als Exportschlager
Die Last des Erfolgs
Isländische MusikerInnen auf eigenen Wegen
Links
Songs mit Übersetzungen

Party-Nächte in Reykjavik

Spuckende Geysire? Tosende Wasserfälle? Berstende Vulkane? Im Nachtleben vonKurt Deiner the-city-centre-663539_1920 Reykjavík ist davon herzlich wenig zu spüren. Wenn hier etwas tobt, so ist es der Party-Bär, wie in anderen Hauptstädten auch. Von überallher wehen die Bässe an mein Ohr, dringen durch meine Haut und versetzen mich in den Rausch der hellen Sommernächte.

Der Sound ist erstaunlich vielfältig. Von Indie-Rock über Elektropop, Folk und Punk ist alles dabei, was das Musikerherz begehrt. Nur das, was ich vor meiner Reise nach Island erwartet hatte – kontemplative Klänge, in denen ein paar verlorene Stimmen wie der Wind zwischen den Wellen von Geistern und anderen Nebelwesen murmeln –, suche ich vergeblich.

Man muss wohl etwas tiefer schürfen, um dem Geheimnis der isländischen Musik auf die Spur zu kommen …

Isländische Musikkultur

Die isländische Musikgeschichte weist einige Gemeinsamkeiten mit der Entwicklung auf den Färöern auf (vgl. die vorige Etappe dieser Sommerreise). Auch in Island trug lange Zeit der Gesang den Hauptakzent der Musik, auch hier wurden erst Mitte des 19. Jahrhunderts Instrumente eingeführt. Und wie auf den Färöern diente der Gesang auch in Island der nationalen Selbstbehauptung und Selbstvergewisserung gegen die dänische Oberhoheit, welche die Isländer erst mit dem Ende des Ersten Weltkriegs endgültig abschütteln konnten. Die Auflösung der Personalunion mit Dänemark durch die Ausrufung der Republik erfolgte sogar erst 1944.

David Mark iceland-2438617_1920Die fehlende Unterstützung durch Instrumente hatte zur Folge, dass der isländische Gesang einen großen Nuancenreichtum und eine ausgefeilte Rhythmik entwickelte. Die in der altnordischen Literatur entstandenen „Rímur“ und „Tvísöngur“ wandelten sich dabei von epischen Gedichten zu Sprechgesängen, die zuweilen von speziellen Barden, oft aber auch gemeinsam mit anderen gesungen wurden.

Diese Tradition ist auch heute noch in Island lebendig. Auf der Insel gibt es um die 300 Chöre, die den zahlreichen Festen einen würdigen Rahmen verleihen oder bei Wettbewerben gegeneinander antreten. Mit der Ausbreitung der Instrumentalmusik hat sich zudem eine reiche Blaskapellenkultur entwickelt. Heute gibt es in Island etwa 50 Blasorchester, die regelmäßig durch die Straßen paradieren. Besonders berühmt sind die Ende April stattfindenden Bläserprozessionen, die mit aller Macht den oft sehr zählebigen Winter von der Insel wegpusten sollen (1, 2).

Zählt man zu den 300 Chören und den 50 Blaskapellen noch die täglich neu entstehenden Bands und anderen Musikprojekte sowie die unzähligen Musizierenden an den Musikschulen hinzu, so ist bei einer Bevölkerung von etwa 357.000 Menschen (Stand Ende 2018) die Vorstellung eines unmusikalischen Isländers wohl ebenso abwegig wie die eines Italieners, der noch nie etwas von Pasta gehört hat.

Isländische Musik als Exportschlager

Isländische Musik ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Mit Björk und der Band Sigur Rós hat das Land internationale Stars hervorgebracht, die praktisch überall auf der Welt turnusmäßig in den Charts auftauchen. Beiden ist es dabei gelungen, die isländische Volksliedkultur so aufzugreifen und musikalisch zu verarbeiten, dass sie mit modernen Hörgewohnheiten kompatibel ist, ohne ihren Charakter zu verlieren.

Der internationale Erfolg hat der heimischen Musikszene enormen Auftrieb gegeben. DieDavid Mark iceland-1988074_1920 Musikfestivals wurden dadurch auch im Ausland verstärkt wahrgenommen, was wiederum bei jungen Musizierenden die Motivation erhöhte, ihre eigenen Musikprojekte zu verfolgen. Der Enthusiasmus hat sich dabei zuweilen auch auf das gesamte Umfeld der Musiker übertragen. So wird etwa von dem Singer-Songwriter Mugison berichtet, er habe sein Dorf praktisch in ein eigenes Musiklabel verwandelt, wo von der Pressung der CDs über das Drucken und Falten der Booklets bis zum Verpacken der fertigen Materialien in Kartons alles in Handarbeit erledigt wurde (3).

„Handgemacht“ – das ist auch heute noch ein Image, das oft mit der isländischen Musik verbunden wird. Es wird mittlerweile aber auch gerne von der Musikindustrie als Marketingkonzept genutzt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der isländische Staat in der schweren Wirtschaftskrise, in die das Land 2008 geraten ist, das ökonomische und allgemein imagefördernde Potenzial der eigenen Musikszene entdeckte. Die Folge war eine Verstärkung kulturfördernder Maßnahmen.

Zentrales Element des weitreichenden Förderinstrumentariums, das der isländische Staat Musikschaffenden bietet, ist der „Icelandic Music Fund“. Dieser greift ausgewählten MusikerInnen mit speziellen „Artist Wages“ unter die Arme und treibt zudem gezielt den Export isländischer Musik voran, indem etwa Auslandsreisen finanziell unterstützt werden. Zusätzlich hat sich im Zuge der musikalischen Imagekampagne die Fluggesellschaft Icelandair dem Motto „We bring Icelandic music to the world“ verschrieben und die Passagiere auf den Flügen mit isländischer Musik beschallt (4).

Die Last des Erfolgs

Die Erfolge dieser musikwirtschaftlichen Intensivförderung waren recht schnell spürbar. Von 2012 bis 2015 verdoppelte sich die Anzahl der Auftritte isländischer Bands im Ausland nahezu (von 700 auf 1.300). Auch waren isländische MusikerInnen nun überproportional bei den bedeutenden internationalen Musikfestivals vertreten.

Klaus Stebani Wasserfall iceland-1762837_1920Für isländische Musikschaffende ergaben sich aus dieser Entwicklung allerdings auch einige Nachteile. Zwar haben, wie der als Musikproduzent, Singer-Songwriter und Mitglied mehrerer Bands aktive Ólafur Arnalds konzediert, internationale Stars wie Björk und Sigur Rós den nachfolgenden Generationen „einen goldenen Pass“ verschafft, der „isländische, teils sperrige Musik im Ausland salonfähig gemacht“ hat (4). Bedingt durch die musikalische Image-Kampagne der isländischen Regierung, waren die KünstlerInnen nun aber auch auf diese Art von Musik festgelegt, die jenseits der Grenzen als typisch „isländischer Sound“ etikettiert wurde.

Isländische MusikerInnen, die sich diesem nicht verpflichtet fühlen, haben es dadurch schwer, von der Musikindustrie wahrgenommen zu werden. Deren Vertreter würden, wie Arnalds an anderer Stelle beklagt (5), auf der Insel stets nur nach der von Björk und Sigur Rós etablierten Spielart natur- und heimatverbundener, zum Düsteren tendierender isländischer Musik suchen. Bands wie Jakobínarína oder Kimono, die eher in der internationalen Indie-Rock-Szene zu Hause seien, hätten dadurch kaum eine Chance, eine breitere Zuhörerschaft zu erreichen.

Die Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung hat 2014 in Laugarbakki im Nordwesten Islands sogar zur Gründung eines eigenen „Anti-Festivals“ mit dem Namen „Norðanpaunk“ geführt. Dabei machen Metal- und Punk-Bands lautstark alle Elfenträumereien vergessen. Ein 2016 erschienener Kurzfilm über das Festival trägt denn auch den bezeichnenden Titel „Pissing in the mainstream“ (6).

Isländische MusikerInnen auf eigenen Wegen

So entsteht der Eindruck, dass die isländische Musik gewissermaßen ihre Unschuld verloren hat. Der Erfolg frisst seine Kinder. Isländische Musikschaffende kommen an dem internationalen Ruf ihrer Musikszene und an den damit zusammenhängenden Stereotypen nicht vorbei. Sie müssen sich ihnen stellen, ob sie wollen oder nicht.

Dabei haben sie im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Sie können die Stereotypen bedienen und damit, wenn alles glatt läuft, gutes Geld verdienen. Oder sie können die Stereotypen verwerfen und ganz bewusst etwas machen, das diesen widerspricht. Auch dann freilich sind sie bei ihrer künstlerischen Arbeit auf eben diese Stereotypen bezogen. So fehlt auch der Metal- und Punk-Szene die spielerische Leichtigkeit, mit der einst die legendäre Ultra Mega Technobandið Stefán Blues Brothers und Teletubbies, Punk und Elektropop zu einem herrlich anarchischen Crossover-Fest verwoben hat (7).

Grundsätzlich ist eine Befreiung von den Stereotypen wohl am ehesten dann zu David Markiceland-2700427_1920.jpgerreichen, wenn die Kompositionen sich nicht direkt auf das traditionelle musikalische Kulturgut beziehen, sondern den je individuellen Ausdruckswillen in den Vordergrund stellen. Die Virtuosität im Einsatz der eigenen Stimme oder in der Verwendung von Blasinstrumenten, wie sie IsländerInnen quasi in die Wiege gelegt wird, muss dabei keineswegs verleugnet werden. Es geht nur darum, mit diesen speziellen musikalischen Fähigkeiten neue, eigene Wege zu beschreiten, die sich erkennbar von den international erfolgreichen isländischen Vorbildern abgrenzen.

Die Musikgruppen Rökkuró, Samaris und Mammút scheinen mir hierfür gelungene Beispiele darzustellen. Rökkuró kreiert schon allein durch die Sängerin Hildur Kristín Stefánsdóttir und deren Sopranstimme, die auf interessante Weise mit eingängigen Folk-Melodien und teils experimentellen Instrumentalpassagen verknüpft wird, einen ganz eigenen, unverwechselbaren Sound. Die Texte weisen zwar vielfach einen philosophischen Kern auf, beziehen sich dabei aber nicht auf den heimischen Sagen- und Legendenschatz, sondern nutzen Naturbilder, um allgemein menschliche Existenzfragen zu thematisieren.

Bei dem Trio Samaris steht eindeutig die Musik im Vordergrund. Die Textpassagen sind oft sehr kurz und verweben sich auf eher assoziative Weise mit der Musik. Wichtiger als das gesungene Wort erscheint die Art des Gesangsvortrags. Dies war schon bei den Anfängen der Gruppe so, als sie 2011, gerade erst gegründet, beim Músíktilraunir (engl. „Icelandic Music Experiments“) gewann, einem speziellen Wettbewerb für Bands, deren Mitglieder nicht älter als 25 Jahre sind. Bis heute webt das Trio aus Klarinettenklängen, elektronischem Sound und einem schwebendem Gesang eine eigentümliche Mischung kontemplativer Musik.

Auch die Band Mammút, 2004 einer der Vorgänger von Samaris unter den Gewinnern des Músíktilraunir, gründete sich 2003 zunächst als Trio – und zwar unter dem Namen ROK, wobei alle drei Bandmitglieder weiblich waren. Zeitgleich mit der ein Jahr später erfolgten Umbenennung in Mammút erweiterte sich die Band um zwei männliche Mitglieder.

David Mark iceland-2420768_1920Die mehrfach bei den Icelandic Music Awards ausgezeichnete Band bewegt sich musikalisch zwischen Elektro-Pop sowie Alternative und Psychedelic Rock. Neben einigen wilderen und tanzbaren Stücken hat die Band auch ein paar kontemplativere Songs eingespielt, von denen einer – Glædur („Die Glut“) – auch von Samaris gecovert worden ist. Der kryptische Text des Liedes wird etwas verständlicher, wenn man sich den dazugehörigen Videoclip anschaut. Dieser legt nahe, dass die Glut hier mit der Gischt, die alles verzehrende Kraft des Feuers mit der nicht minder zerstörerischen Kraft des Meeres assoziiert wird. Eben diesen Aspekt der Unberechenbarkeit und Unkontrollierbarkeit des Meeres thematisiert auch das Trio Samaris in dem Song Hafið („Der Ozean“).

Links

(1) Schmerda, Susanne: Björk und Co – Island, das Volk der Sänger: Volkslieder in den Charts; Bayrischer Rundfunk, 28. November 2017.

(2) Hosek, Roman: Musikalisch geht Island seit langem eigene Wege – mit Erfolg; Schweizer Radio und Fernsehen, 20. Oktober 2015.

(3) Stöckigt, Verena: Neue Musik aus Island: Das sind die Erben von Björk; Stern, 2008.

(4) Gisler, Silvan: Ein bisschen wie im Fussball: Warum Island auch musikalisch vielen überlegen ist; watson.ch, 30. Juli 2016.

(5) Vochazer, Eva-Maria: [Interview mit] Ólafur Arnalds: Wo kommen Gefühle her? Nordische-Musik.de, 2007.

(6) Norðanpaunk. Pissing in the mainstream. Zauber-des-Nordens.de. Das Nordmeer Magazin; 2016; mit Link zum Kurzfilm über das Festival.

(7) Ich beziehe mich hier auf den Song Story of a star (aus dem Album Circus, 2007) und dessen Vorab-Präsentation durch Ultra Mega Technobandið Stefán im Jahr 2006.

Songs mit Übersetzungen

Rökkuró: Hetjan á fjallinu

aus: Það kólnar í kvöld … (2007)

Ganzes Album (Hetjan á fjallinu; darin Nr. 5, 16:40; anklickbar)

Liedtext (mit englischer und russischer Übersetzung)

Freie Übertragung:

Der Held auf dem Berg

Mut funkelte in seinen Augen,
und seine Hände hörten auf zu zittern.
Klar stand ihm sein großes Ziel vor Augen:
Er würde den Berg bezwingen!

Er kannte den Weg ganz genau,
und er wusste, wie weit er war.
Der Weg erschien ihm ganz leicht.
Das Schwierigste war der Gedanke daran.

Auf halbem Weg zum Gipfel
spürte er sein Herz schneller schlagen als zuvor.
Für einen kurzen Moment schaute er zurück,
und Verzweiflung legte sich um seine Seele.

Am Ende aber stand er, windzerschlissen,
auf dem Gipfel und lächelte unter Tränen.
Den höchsten Gipfel hatte er in sich selbst erklommen:
Er hatte seine Angst besiegt.

Samaris – Hafið

aus: Silkidrangar (2014)

Live

Liedtext

Sinngemäße Übertragung:

Der Ozean

Du, Ozean,
der du die Farben der Zeit trägst und zerstörst,
du erweckst mich
tief in meinem Inneren.
Weithin hallt deine Stimme wider
von den Felsen.

Wund ist deine Stimme, sie überschlägt sich
vor Trauer und dunkler Erinnerung.

Dunkel war es, und die Dunkelheit vermischte sich mit Hagel
über der todgeweihten Stadt,
und ein todesschweres Schweigen legte sich über sie
wie ein Berg.

Wir haben uns auf einen Felsen gesetzt,
und während unsere Augen sich in der Finsternis verloren,
klang das neckische Spiel der Wellen für uns
wie ein dunkles Seufzen.

Mammút: Glædur

aus: Komdu til mín svarta systir (2013)

Live

Cover von Samaris

Liedtext mit spanischer Übersetzung

Sinngemäße Übertragung:

Die Glut

Meine salzigen Funken,
eine brennende Geißel für deine Stirn,
dein lasterhaftes Blut,
stechen in dein Gesicht.

Lass deinen Atem in mich zurückströmen,
Herr, gib mir die Macht, zu rächen,
lass meinen Atem die Luft entzünden,
lass mich den Ort verbrennen,
an dem wir gelebt haben.

Lass deinen Atem in mich zurückströmen,
Herr, gib mir die Macht, zu rächen.
Freudig werde ich, die Verräterin,
in der Stadt mein Lager aufschlagen
und Jahr um Jahr in deinem Rücken weiterbrennen.

Bildnachweis: Pixabay:  David Mark: Island; Kurt Deiner: Rejkjavik; David Mark: Berge; Ders.: Island, Gebirge; Klaus Stebani: Wasserfall in Island; Davis Mark: Landschaft in Island; Ders: Pony

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