Checkliste für den erfolgreichen Zensor

Wege zur erfolgreichen Unterdrückung unliebsamer Meinungsäußerungen

Die Debatte um die „allesdichtmachen“-Aktion läuft immer mehr aus dem Ruder. Wer in den Videos mitgemacht hat, soll öffentlich Abbitte leisten wie in stalinistischen Schauprozessen. Wer dagegen, wie Jan-Josef Liefers, sein Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt, wird (nicht nur) in den sozialen Medien auf alttestamentarische Weise gesteinigt. Was ist da schiefgelaufen?
Die RB-Redaktion hat einen zerknirschten Zensor getroffen, der unter dem Mantel der Verschwiegenheit gestanden hat, versagt zu haben. Zwar habe man, als die Aktion an die Öffentlichkeit gelangt sei, sofort vorschriftsmäßig agiert. Umgehend sei Punkt 3 der Zensoren-Checkliste aktiviert worden. Leider sei es aber auch dadurch nicht gelungen, das unkontrollierte Meinungsfeuer auszutreten.
Natürlich wollten wir wissen, was mit „Punkt 3 der Zensoren-Checkliste“ gemeint sei. Der Zensor wirkte ertappt – war dann aber doch so sehr an seiner Selbstverteidigung interessiert, dass er uns die Checkliste ausgehändigt hat. Hiermit reichen wir sie an die interessierte Öffentlichkeit weiter.

1. Verbiete nichts!

Seit unserer Kindheit wissen wir, dass die verbotenen Früchte die süßesten sind. Mit Verboten erhöhst du daher nur den Reiz dessen, dem du die Aufmerksamkeit entziehen möchtest. Auch gestehst du Äußerungen, die du verbietest, indirekt eine potenzielle Wirkmächtigkeit zu. Um diese erreichen zu können, müssen die entsprechenden Wortmeldungen aber auch bestimmten Qualitätsmaßstäben genügen. Dein Verbot wirkt sich daher wie eine Auszeichnung aus und führt folglich auch in dieser Hinsicht zum Gegenteil dessen, was du erreichen möchtest.
Je mehr du verbietest, desto stärker wird auf Seiten der interessierten Öffentlichkeit zudem das Gefühl, bevormundet zu werden. Dies erzeugt Trotz und den Wunsch, sich gerade mit dem auseinanderzusetzen, was von dir auf den Index gesetzt worden ist. So fördern Verbote bei den Adressaten den Drang, ihre geistige Freiheit auszuleben.

2. Verteile Lob, nicht Tadel!

Als guter Pädagoge weißt du natürlich, dass du deine geistigen Schutzbefohlenen mit einem Lob eher in die gewünschte Richtung lenken kannst als mit einem Tadel. Deshalb solltest du jene Personen ins Rampenlicht rücken, deren Äußerungen du für unterstützenswert hältst, anstatt diejenigen zu tadeln, deren Ansichten deinen Positionen zuwiderlaufen. Diese erwähnst du am besten gar nicht – verschweige sie, dann wird auch niemand nach ihnen fragen.
Deine Unterstützungsmaßnahmen sollten allerdings auch nicht zu aufdringlich sein. Auf keinen Fall dürfen sie wie eine zwingende Empfehlung wirken. Am erfolgversprechendsten ist es, wenn du die Menschen deine Favoriten selbst entdecken lässt und sie dann in ihren Ansichten bestärkst, als hätten sie diese selbst entwickelt. Sorge deshalb für die nötige Aufmerksamkeit, steigere diese aber langsam, bis deine Positionen sich schließlich von selbst verbreiten.

3. Verkleide dich als Verteidiger von Anstand und Moral!

Wenn einmal eine von dir abgelehnte Position trotz aller Bemühungen, sie zu verschweigen, doch den Weg in die breite Öffentlichkeit findet, darfst du sie keineswegs durch eine differenzierte Betrachtung würdigen. Wenn du nicht umhinkommst, dich dazu zu äußern, so greife sie da an, wo du beim Publikum am ehesten auf Zustimmung hoffen kannst – kritisiere sie als realitätsfremd und naiv, als gemeinschaftszersetzend und unmoralisch. Die Maßstäbe für deine Kritik brauchst du dabei nicht offenzulegen. Es reicht, wenn du die unliebsamen Äußerungen als Angriff auf die zentralen kulturellen und gesellschaftlichen Werte hinstellst.

4. Vermehre und heroisiere deine Unterstützer!

Je mehr Personen die von dir favorisierten Positionen vertreten, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass abweichende Meinungen eine Wirkung entfalten können. Such dir daher Fackelträger aus, die deine Ansichten gegenüber dem Publikum verkörpern, und ernenne sie zu „Experten“. Diese müssen ein selbstsicheres Auftreten haben und dürfen durchaus auch eine gewisse geistige Überheblichkeit ausstrahlen. Dies erhöht die Bereitschaft der Adressaten, sie als geistige Führer anzuerkennen und ihnen ihre geistige Freiheit zu Füßen zu legen.

5. Verflüchtige dich!

Auch wenn du den verständlichen Wunsch verspüren solltest, dich für deine erfolgreiche Arbeit zu rühmen – die größte Wirkung erzielst du, wenn du unsichtbar bleibst. Noch wirkungsvoller ist es, wenn du dich selbst überflüssig machst, indem du dich in den Mechanismen des von dir geschaffenen Meinungsmarktes auflöst. Der erfolgreichste Zensor ist der, den man nicht mehr braucht, weil die Dynamik der Öffentlichkeit nur noch die erwünschten Meinungsäußerungen hervorbringt und die Menschen eben diese Positionen als den Inbegriff von Weisheit ansehen.

Bild: Dimitri Vetsikas: Zensur, Graffiti (Pixabay)

Ein Kommentar

  1. Man kann die Videoaktion der Schauspieler*innen ja doof finden und kritisieren, aber für diese flächendeckende Inszenierung moralinsaurer Aufgeregtheit fehlt mir das Verständnis. Es passieren schreckliche Dinge auf der Welt: Kriege, Armut und Naturzerstörung…. Anstatt wirklich offen und solidarisch zu diskutieren wie mit Problemen wie der Übernutzung natürlicher Ressourcen und einer weltweiten Pandemie umgegangen werden sollen, wird ein fast schon religiöser Kampf um die alleinige Wahrheit in Filterblasen geführt. Das mag auch die hier persiflierte strukturelle „Zensur“ verstärken. Beiträge wie dieser sind wichtig, um festgefahrene Fronten aufzurütteln.

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