Faktencheck zur russischen Invasion der Ukraine/2
Der Krieg gegen die Ukraine wird von der Kreml-Propaganda auch mit einer angeblichen Bedrohung durch die NATO begründet. Stattdessen ist der Krieg aber gerade durch eine betont defensive Strategie des westlichen Verteidigungsbündnisses begünstigt worden.
Das Budapester Memorandum
1994 verpflichtete sich die Ukraine im Budapester Memorandum zur Abgabe der auf ihrem Territorium lagernden sowjetischen Atomwaffen. Im Gegenzug sicherten die Vertragspartner – zu denen außer den USA, Großbritannien, Frankreich und China auch Russland gehörte – dem Land die Achtung seiner territorialen Integrität und seiner Souveränität zu.
Wörtlich verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten in dem Abkommen u.a. dazu,
- „die Unabhängigkeit und die Souveränität der Ukraine in ihren bestehenden Grenzen zu respektieren“;
- „davon Abstand zu nehmen, die territoriale Integrität oder die politische Unabhängigkeit der Ukraine durch Androhung oder den Einsatz von Gewalt zu verletzen“;
- „keinen ökonomischen Druck auszuüben, der darauf abzielt, die ukrainische Souveränität den eigenen Interessen unterzuordnen und sich dadurch Vorteile welcher Art auch immer zu verschaffen“.
Bruch der völkerrechtlichen Garantien durch Russland
Spätestens seit der russischen Annexion der Krim und dem De-facto-Einmarsch in der Ostukraine war klar: Russland würde seine im Budapester Memorandum gegebenen Versprechen nicht halten.
Hieraus ergab sich für die Ukraine die Berechtigung und die Notwendigkeit, sich nach Bündnispartnern für den Fall eines weiteren Angriffs durch Russland umzusehen. Vor diesem Hintergrund intensivierte das Land seine Bemühungen um einen NATO-Beitritt. Hierbei standen jedoch einige NATO-Staaten – allen voran das energiepolitisch von Russland abhängige Deutschland – auf der Bremse.
Erfolgreiches russisches Säbelrasseln
Als Kompromisslösung wurde die Zusammenarbeit der NATO mit der Ukraine, die bereits seit 2010 den Status eines „Enhanced Opportunities Partners“ innehatte, noch weiter intensiviert. Das Land wurde verstärkt in Manöver eingebunden und war auch gut genug, Soldaten in Krisengebiete wie Afghanistan oder den Irak zu schicken. Die Beitrittsperspektive blieb jedoch angesichts des Säbelrasselns aus Russland weiterhin eine rein theoretische Option.
Letztlich ist damit auch hier wieder die Kreml-Strategie der Vorwurfsumkehr aufgegangen. Die russische Bedrohung der Ukraine wurde als Antwort auf eine angebliche Bedrohung Russlands durch eine Westorientierung der Ukraine dargestellt. Dies diente nicht nur der Legitimierung der eigenen Aggression, sondern verhinderte zugleich, dass andere Länder der Ukraine wirksam Beistand leisteten.
Die Kreml-Strategie der Vorwurfsumkehr
Dass die angebliche Bedrohung des friedliebenden Russlands reine Propaganda war und ist, beweist nicht nur der gegenwärtige Krieg, der die Vernichtungskraft der russischen Armee in erschreckender Weise vor Augen führt. Auch die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine hatte Putin lange als Bedrohung für Russland dargestellt. Nach erfolgter Einverleibung der Halbinsel hatte er jedoch die Maske fallen lassen und sich zu den eigentlichen, nationalistischen Beweggründen der Krim-Invasion bekannt, indem er die Annexion als „Reparatur historischer Fehlentscheidungen“ bezeichnete.
Die Verweigerung einer offiziellen Beitrittsperspektive erscheint daher im Rückblick als historischer Fehler der NATO. Eine Aufnahme in das Bündnis wäre die einzige Möglichkeit gewesen, die jetzige Katastrophe zu verhindern: Wenn ein Angriff auf die Ukraine gleichbedeutend gewesen wäre mit einem Angriff auf die NATO, hätte in Russland niemand von einem Blitzkrieg träumen können.
Das Budapester Memorandum im Wortlaut: Memorandum on Security Assurances (in connection with Ukraine’s accession to the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons). Budapest, 5. Dezember 1994.
Renz, Bettina / Whitmore, Sarah: Analyse: Kooperation im Bereich der Militärreform zwischen NATO und Ukraine seit 2014. Bundeszentrale für politische Bildung, 22. November 2021; aus dem Englischen übersetzt von Hartmut Schröder.SWR: Putin erklärt nach Annexion: „Die Krim gehört zu Russland“; 18. März
Bild: Stepan Mamtschitsch (1924 – 1974): Der Atem der Geschichte (1973); Kunstmuseum Sewastopol (Wikimedia commons)
Danke für den gelungenen Faktencheck. Vielleicht erreicht er ein paar Unentschlossene, die bislang noch nicht richtig nachgedacht haben. Die eingefleischten Putin-FreundInnen wie die aus der AFD, Frau Wagenknecht, so ein paar Ostalgiker und Alt-Stalinisten werden Sie vermutlich nicht erreichen. Die Putinisten lesen nichts, blenden alles aus, was ihr Idol beschmutzen können und folgen lieber blind ihrer Ideologie als den Fakten. Das Verrückte ist, dass sie sich aber für besonders klug halten und alle anderen für verwirrt. Das macht es so schwer, mit Argumenten an sie ranzukommen. Aber im Sinne der Wahrheit muss man hier optimistisch bleiben und es mit einem V.Havel zugeschriebenen Spruch halten: „Hoffnung bedeutet nicht, dass etwas gut ausgeht, sondern dass es einen Sinn ergibt, es zu tun.“ (oder so ähnlich) In diesem Sinne: Versuchen Sie es weiter, der Wahrheit einen Weg zu bahnen!
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