Über Erika Manns Kabarett Die Pfeffermühle
Kabarettgeschichte(n) 8
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war politisches Kabarett nur noch außerhalb Deutschlands möglich. Als besonders erfolgreich erwies sich dabei das von Erika Mann gegründete Kabarett Die Pfeffermühle.
Polizeischutz gegen NS-Störtrupps
Zensurmaßnahmen auch im Ausland
Impulsgeber für das Züricher Cabaret Cornichon
Impfung gegen das „Nazi-Gift“
„Das Exil begann in München.“ Das sind in Klaus Manns „Lebensbericht“ Der Wendepunkt (engl. 1942, dt. 1949) die einleitenden Worte im Kapitel über das Exilleben des Autors während der NS-Zeit [1].
Gemeint war damit, dass nach Klaus Manns Erinnerung manche, „die man in Berlin schon eingesperrt und misshandelt hätte, (…) sich in München noch vollkommener Freiheit“ erfreuten:
„Sie durften im Englischen Garten spazieren gehen oder sich auf Maskenbällen amüsieren, ja, es blieb ihnen sogar unbenommen, den nazifeindlichen Scherzen der ‚Pfeffermühle‘ Beifall zu klatschen.“ [2]
Mit der Erwähnung des Kabaretts Die Pfeffermühle in diesem Zusammenhang macht Klaus Mann deutlich, welche Bedeutung dieses für ihn und viele andere Nazi-Gegner Anfang 1933 hatte: Es war eine der wenigen letzten Inseln des freien Geistes im Meer des nationalsozialistischen Ungeists.
Maßgeblich vorangetrieben wurde das Kabarettprojekt von Klaus Manns Schwester Erika. Sie wollte sich damit zwar explizit politisch einmischen, lehnte es aber zugleich ab, reines „Gesinnungstheater“ zu machen. Die Pfeffermühle – der Name geht auf eine Idee von Erikas und Klaus‘ Vater Thomas Mann zurück – wollte „keineswegs nur anklagend“ sein. Stattdessen sollte allgemein an „menschliche Solidarität (…), an die Kräfte des Menschenherzens und der menschlichen Vernunft“ appelliert werden.
Das Programm war an ein „breites bürgerliches Publikum“ gerichtet, das durch ein entsprechend breit gefächertes Angebot gewonnen werden sollte. Dementsprechend wurde
„viel Leichtes, auch rein Lyrisches oder Unpolitisch-Satirisches (…) geboten, so dass auch politisch ganz uninteressierte Kreise auf ihre Kosten kamen, wobei sie, ohne es zu wissen, von uns geimpft wurden und dadurch immun wurden gegen das Nazi-Gift.“ [3]
Kabarett neben Hitler-Gebrüll
Eröffnet wurde das neue Kabarett am 1. Januar 1933 in der „Bonbonnière“, einem – wie Klaus Mann sich erinnert – „sehr intimen, sehr hübschen kleinen Theater“ [4]. Erika Mann war für die Auswahl der Texte zuständig und verfasste einen großen Teil davon auch selbst, manche zusammen mit ihrem Bruder. Auch Walter Mehring steuerte anfangs einige Texte bei.

Zum Ensemble gehörte u.a. auch Therese Giehse, die zu der Zeit schon eine bekannte Schauspielerin war und später vor allem durch ihre Mitwirkung in Stücken von Bertolt Brecht berühmt wurde. Sie war eine enge Freundin von Klaus und Erika Mann, wobei die Beziehung zu Letzterer über bloße Freundschaft hinausging.
Für die Musik war der Komponist und Pianist Magnus Henning zuständig, dessen Melodien, so Klaus Mann, in ihrer „Anmut selbst aggressiven Texten die Bitterkeit, das Provokante“ nahmen [5].
Wenn die Pfeffermühle sich auch um ein „literarisches Kabarettprogramm“ bemühte und ausdrücklich kein Aktionstheater sein wollte, so grenzte es sich doch auch vom nach Klaus Mann „politisch bedenklichen Tingel-Tangel“ ab. Stattdessen hatte es einen „stark politische[n] Einschlag“ [6] und war „von Anfang an (…) militant anti-nazistisch“ [7]. Trotz des breiter angelegten Programms war das Projekt daher, wie Erika Mann rückblickend feststellt,
„ein kühnes Unterfangen. (…) Während Hitler brüllte, schwiegen wir nicht. Wir schwiegen auch nicht an jenem Februarabend, da im Hofbräuhaus, Rücken an Rücken mit unserer ‚Bonbonnière‘, der ‚Führer‘ seine Antrittsrede als Reichskanzler hielt.“ [8]
Vertreibung aus München
So dauerte es nicht lange, bis die Pfeffermühle ihre Zelte in München abbrechen musste. Dabei war es nicht nur der kritische Geist dieses Kabaretts, der den Zorn der neuen Machthaber erregte. Angefacht wurde dieser auch durch persönliche Motive.
Erika Mann war schon zuvor ein Feindbild nationalsozialistischer und rechtsnationaler Gruppierungen und Presseorgane gewesen. Durch Drohungen und Schmähartikel hatten sie versucht, Auftritte der überzeugten Pazifistin zu verhindern.
Erschwerend kam hinzu, dass Therese Giehse zwar jüdischer Herkunft war, von Adolf Hitler jedoch – wie Klaus Mann berichtet – bei ihren früheren Auftritten fälschlicherweise als „völkische Künstlerin, wie man sie nur in Deutschland findet“, verehrt worden war [9]. So wurde die Wut auf das freigeistige Kabarett noch durch eine Art enttäuschte Liebe verstärkt – die bekanntlich einen besonders leidenschaftlichen Hass hervorbringen kann.
Neuanfang in Zürich
Rückblickend haben die Nationalsozialisten sich durch ihre Verfolgung des Pfeffermühle-Ensembles allerdings keinen Gefallen getan. Denn die eigentliche Erfolgsgeschichte begann erst, nachdem das Kabarett ins Ausland gegangen war. In über tausend Vorstellungen ermunterte das Programm in etlichen europäischen Städten zum kritischen Nachdenken über nationalsozialistische Politik und Propaganda.

Heimathafen der Exil-Pfeffermühle wurde Zürich, wo das Kabarett am 1. Oktober 1933 im Gasthaus Zum Hirschen seine Tore zum zweiten Mal öffnete. Dass die Pfeffermühle „das erfolgreichste und wirkungsvollste theatralische Unternehmen der deutschen Emigration“ wurde, lag nach Klaus Mann insbesondere an seiner Schwester Erika, deren „moralisch-politischer Appell (…) aus dem Herzen kam und mit künstlerischer Phantasie präsentiert wurde“. Eben deshalb habe das Kabarett eine so durchgreifende Wirkung erzielen können:
„Dieses ungewöhnliche Kabarettprogramm hatte nicht nur sittlichen Ernst und geistige Aktualität, sondern auch Charme, Rhythmus, Laune: Eigenschaften, ohne die keine Gesinnung, sei sie noch so schön, sich bei einem Theaterpublikum durchsetzt.“ [10]
Polizeischutz gegen NS-Störtrupps
Je erfolgreicher die Pfeffermühle im Ausland wurde, desto heftiger wurden allerdings auch die Gegenreaktionen der Nationalsozialisten. Diese bedienten sich dafür einer kombinierten Strategie aus unmittelbarem und indirektem Druck.
Der unmittelbare Druck erfolgte, wie vor 1933 auch in Deutschland, in erster Linie durch in die Aufführungen eingeschleuste Störtrupps. Diese begnügten sich allerdings, wie Klaus Mann berichtet, nicht immer „mit den üblichen Stinkbomben und Trillerpfeifen“. Bei einem Auftritt im Züricher Kurhaus wurde einmal sogar „mit scharfer Munition geschossen“ [11].
So konnten die Vorstellungen der Pfeffermühle teilweise nur unter Polizeischutz stattfinden. Aufgrund von Gerüchten, Erika Mann solle von der Gestapo gekidnappt und nach Deutschland verschleppt werden, musste die Künstlerin sich zeitweise sogar von einem Polizisten nach Hause begleiten lassen [12].
Zensurmaßnahmen auch im Ausland
Die Vorstellungen der Pfeffermühle wurden für die Gastländer damit immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko. Dies machte sie offener für die Versuche des nationalsozialistischen Regimes, über ihre Auslandsvertretungen Aufführungsverbote durchzusetzen.
Zwar versuchte man seitens der Pfeffermühle den Interventionen den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem Kritik an politischen Zuständen „immer indirekt“ geäußert wurde, ohne Nennung Deutschlands oder der Nationalsozialisten [13]. Dennoch wurde die Spielerlaubnis in Zürich schließlich widerrufen, andere Schweizer Städte zogen nach.
Außerhalb der Schweiz sah es nicht besser aus. In Prag wurde dem Ensemble im Sommer 1935 kurz vor der Vorstellung mitgeteilt, dass zwei Drittel der Texte nicht zur Aufführung kommen dürften. In Österreich verweigerten die Behörden dem Ensemble ebenso kurzfristig die Arbeitserlaubnis. Der Grund war die Denunzierung durch einen eigenen Mitarbeiter. Dieser hatte die Behörden über einen Sketch informiert, in dem es um Erschießungen und Hinrichtungen sozialdemokratischer Arbeiter unter der Dollfuß-Regierung ging.
Im Herbst 1936 wollte die niederländische Regierung weitere Auftritte der Pfeffermühle schließlich nur noch bei Zusicherung des Verzichts „auf jede, selbst die indirekteste politische Wirkung“ erlauben [14]. Dies gab laut Erika Mann den Ausschlag für die Emigration in die USA.
Versuche, das Kabarett dort als Peppermill für das amerikanische Publikum zu adaptieren, scheiterten jedoch exakt an jener Strategie, mit der man sich in Europa das Überleben gesichert hatte: Für amerikanische Verhältnisse war das Programm, so Erika Mann, „zu indirekt“ [15]. Das Wesen und der bedrohliche Charakter des Nationalsozialismus seien damals noch nicht hinreichend im amerikanischen Bewusstsein verankert gewesen.
Unterschwellige Anspielungen auf Hitler und seine Spießgesellen wurden daher in den USA gar nicht verstanden. Ehe das Ensemble sich darauf einstellen konnte, hatte sich durch den Kriegsbeginn schon eine völlig neue Situation ergeben.
Impulsgeber für das Züricher Cabaret Cornichon

In Zürich wurde die Pfeffermühle zu einem Impulsgeber für das Cabaret Cornichon, das sich mit dem deutschen Exilkabarett auch die Spielstätte teilte. Wie das deutsche Kabarett mit „gepfefferten“ Texten Kritik an den politischen Zuständen üben wollte, brachte das Cabaret Cornichon mit der Anspielung auf die Essiggurke zum Ausdruck, den Herrschenden „Saures geben“ zu wollen.
Zwar war nur ein kleinerer Teil der Texte dieses Kabaretts explizit politischer Natur. Dies reichte jedoch aus, um die Aufführungen immer wieder zum Gegenstand von Interventionen der deutschen und italienischen Auslandsvertretungen in der Schweiz zu machen, die sich über die antifaschistischen Tendenzen in den Programmen beschwerten. Daraufhin wurden von den Schweizer Behörden auch regelmäßig Zensurmaßnahmen angeordnet [16].
Das Cabaret Cornichon brachte zwischen 1934 und 1951 jedes Jahr ein neues Programm heraus. Außer in Zürich trat das Ensemble auch in anderen Schweizer Städten auf. Mit seinen vielen Mundartelementen war das Kabarett eng auf den Schweizer Kontext bezogen. Es stellte „helvetische Befindlichkeiten bloß“, thematisierte aber auch die faschistische Bedrohung. So wurde es zu einer Art „Stütze der geistigen Landesverteidigung“ [17].
Gedicht von Erika Mann auf LiteraturPlanet:
Ein Protestlied gegen die Herrschaft der Lüge. Zu Erika Manns Chanson Der Prinz von Lügenland
Nachweise
[1] Klaus Mann: Der Wendepunkt, Neuntes Kapitel: Exil. 1933 – 1936. Der Lebensbericht ist zunächst 1942 in englischer Sprache erschienen. Eine erweiterte deutsche Fassung wurde 1949 veröffentlicht.
[2] Ebd.
[3] Erika Mann: Die Pfeffermühle. Versuch einer „Outline“ [Skizze für einen Dokumentarfilm über die Pfeffermühle, 1966], S. 5 f. Digitalisiertes Typoskript im Archiv der Münchner Stadtbibliothek.
[4] – [6] Klaus Mann, Der Wendepunkt (s. 1).
[7] / [8] Erika Mann, Die Pfeffermühle, S. 1 (s. 3).
[9] Klaus Mann, Der Wendepunkt (s. 1). Achtes Kapitel: Die Schrift an der Wand. 1930 – 1932.
[10] / [11] Ebd., neuntes Kapitel (s. 1).
[12] Vgl. Erika Mann, Die Pfeffermühle, S. 2 (s. 3).
[13] Ebd., S. 3.
[14] / [15] Ebd., S. 4.
[16] Vgl.Gerber, Frank: „Es dürfte hier eingeschritten werden müssen …“ Das Cabaret Cornichon und die Zensur 1939 – 1945. In: Kotte, Andreas (Hg.): Theater der Nähe. Zürich 2002: Chronos; allgemein zum Cabaret Cornichon vgl. Keller, Peter Michael: Cabaret Cornichon. Geschichte einer nationalen Bühne. Zürich 2011: Chronos.
[17] Caluori, Rete: Cabaret Cornichon. In: Kotte, Andreas (Hrsg.): Theaterlexikon der Schweiz. Band 1, S. 317 f. Zürich 2005: Chronos.
Bilder: Titelbild: as Ensemble der Pfeffermühle im Jahr 1934 (Erika Mann vorne, in der Mitte hockend; links dahinter stehend – mit Pelzkragen am Mantel – Therese Giehse, rechts daneben, den Kopf zur Seite geneigt, Klaus Mann; vorne rechts neben Erika Mann der Komponist Magnus Henning); Literaturportal Bayern; Monika Sperr: Foto von Therese Giehse (1898 – 1975), um 1919; Wikimedia commons; Annemarie Schwarzenbach: Erika Mann im schweizerischen Sils mit dem Hund der Fotografin, 1936 (Schweizer Nationalbibliothek / Schweizerische Literaturarchive; Logo des Cabaret Cornichon (Wikimedia commons)