Die Herrschaft des Öko-Adels

Zur Klimaschutzpolitik des EU-Parlaments

Der Beschluss des EU-Parlaments für eine Sanierungspflicht von alten Gebäuden ist ein Beispiel für die Entfremdung der Parlamentsmehrheit vom Alltag der Bevölkerungsmehrheit. Er ist unsozial und realitätsfremd.

Der politische Imperativ an unserem Bett

Nehmen wir einmal an, wir würden eines Nachts erwachen, und neben unserem Bett stünde plötzlich der politische Imperativ. Sein Auftrag für uns: „Entwirf eine Roadmap zum Thema Unser Haus soll klimafreundlicher werden! Berücksichtige dabei sämtliche Häuser in der Europäischen Union!“

Verschlafen, wie wir sind, würden wir uns missmutig an die Arbeit machen – argwöhnisch beäugt von dem mürrischen Wesen, das weit davon entfernt wäre, unsere Müdigkeit als Ausrede für etwaige Bummelei zu akzeptieren.

Wie würde das Ergebnis wohl aussehen? Nun, ich würde mich in der Situation auf die wesentlichen Punkte konzentrieren. Diese sähen bei mir folgendermaßen aus:

  1. Ermittlung des Finanzierungsbedarfs: Wie viel Geld wird benötigt, um alle Gebäude in der EU klimafreundlich umzurüsten?
  2. Ermittlung der Finanzierungsmöglichkeiten: Woher sollen die Gelder für das Mammutprojekt genommen werden?
  3. Ermittlung des Fachkräftebedarfs: Wie kann sichergestellt werden, dass die erforderlichen Umrüstungsmaßnahmen auch fachlich einwandfrei durchgeführt werden?
  4. Ermittlung des Informations- und Beratungsbedarfs: Wie können die Sanierungsziele den betreffenden Haushalten und Unternehmen vermittelt werden? Welche Beratungsressourcen sind dafür erforderlich?

Logische Schritte für eine europaweite Gebäudesanierung

Die logischen nächsten Schritte, die sich aus diesen Überlegungen ergeben, wären dann:

  1. Schnüren eines Konjunkturpakets in Höhe der benötigten Gelder;
  2. Festlegung der Finanzierungswege: Sollen die Gelder über Fonds, Banken oder als Steuerrückzahlung ausgeschüttet werden? Wie hoch soll der Eigenanteil bei der Finanzierung sein? Welche soziale Staffelung ist dabei vorzusehen?
  3. Kontaktaufnahme mit den Fachkräfteverbänden, um den Zeitrahmen für die Maßnahmen festzusetzen, ggf. in Verbindung mit einer Fort- und Ausbildungsinitiative in den betreffenden Bereichen;
  4. Gründung von Beratungs- und Informationszentren für Gebäudesanierung, die für die Kommunikation mit den einzelnen Haushalten und Unternehmen zuständig und bei der Kontaktaufnahme mit geeigneten Fachbetrieben behilflich sein sollen.

Missachtung des Alltags der Menschen

Es ist nicht so, dass die genannten Punkte bei der Entscheidung des Europäischen Parlaments keine Rolle gespielt hätten. Es hat auch dort mahnende Stimmen gegeben, die auf den Fachkräftemangel und die hohen Kosten der Gebäudesanierung hingewiesen haben. In der endgültigen Entscheidung über die Sanierungsziele spiegeln sich diese Aspekte jedoch nicht wider.

Das macht die Sache allerdings nur noch schlimmer. Denn die Parlamentsmehrheit sagt damit der Bevölkerung – deren Diener das Parlament in einer Demokratie der Theorie nach doch sein sollte: „Wir wissen um eure Probleme. Aber: Sie sind uns egal. Schaut zu, wie ihr klarkommt!“

Es ist durchaus denkbar, dass die Finanzierungsfragen in den endgültigen Beschlüssen zur EU-weiten Gebäudesanierung noch konkretisiert werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass dieser Aspekt in den Augen der Abgeordneten von nachrangiger Bedeutung ist. Für die Menschen, die von ihren Entscheidungen betroffen sind, ist dies hingegen die entscheidende Frage: Woher soll ich das Geld für die teuren Umrüstungen nehmen?

Wolkenkuckucksheim-Logik der Parlamentsentscheidung

So entsteht der fatale Eindruck, dass hier am Alltag der Menschen vorbei regiert wird; dass Entscheidungen auf der Basis prall gefüllter Diätenschatullen getroffen werden, die mit der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen nicht das Geringste zu tun haben.

Gleiches gilt für die mangelnde Berücksichtigung des Fachkräftemangels. Auch  hier folgen die Entscheidungen der EU-Abgeordneten der Wolkenkuckucksheim-Logik.

In ihrem Straßburger Parlamentsraumschiff malen sie sich den Himmel blau und  kümmern sich nicht um die grauen Alltagswolken. Wenn ihre Vorgaben sich dann nicht in dem festgelegten Zeitrahmen umsetzen lassen, zeigen sie mit dem Finger auf andere. Sehr praktisch – aber nicht eben demokratisch.

Zynisches Demokratieverständnis

„Nicht eben demokratisch?“ Diskreditiert da etwa jemand die zentrale Institution der europäischen Demokratie? Wie kann das EU-Parlament undemokratisch sein, wenn seine Entscheidungen doch auf demokratischem Wege getroffen werden?

Gegenfrage: Von welchem Demokratiebegriff gehen wir hier eigentlich aus? Richtig ist: Formal handelt das EU-Parlament demokratisch, indem es seine Entscheidungen mit der Mehrheit der Abgeordnetenstimmen verabschiedet. Eine formale Demokratie erhält jedoch ein zynisches Gesicht, wenn die Mehrheitsentscheidungen auf Kosten einer Minderheit gehen.

Eine solche Demokratie ist dann nicht mehr das, was ihr Begriff aussagt: die Herrschaft des ganzen Volkes. Stattdessen verkommt sie zu einer Herrschaft eines Teils des Volkes – im konkreten Fall des begüterten Teils.

Klimaschutz auf Kosten sozialer Gerechtigkeit

Die Entscheidungen des EU-Parlaments führen in der Summe zu einer drastischen Verteuerung von Wohnen und Mobilität, also von zwei zentralen Grundbedürfnissen. In vollem Umfang werden sich diese bei einer Durch- und Fortsetzung der bisherigen Entscheidungspraxis in der EU nur noch wohlbetuchte Menschen leisten können.

Der ärmere Teil der Bevölkerung wird dagegen wie vor über hundert Jahren wieder in Ghettos am Rande der Städte wohnen, während die anderen sich in ihrem Nullemissions-Penthouse aalen. Und wenn die weniger Begüterten sich von A nach B bewegen wollen, müssen sie sich in überfüllte Busse und Bahnen quetschen, während die anderen in ihren E-Limousinen mit klimafreundlichem Grinsen an ihnen vorbeirauschen.

So werden Demokratie und soziale Gerechtigkeit unter einer unreflektierten Klimaschutzpolitik begraben.

Bild: Couleur: Froschkönig, modifiziert (Pixabay)

4 Kommentare

  1. Das von dir vorgeschlagene Vorgehen ist wahrhaftig nicht unausgeschlafen. Genau so müsste es sein,…. ist es aber nicht, wie du deutlich machst. Ich finde, du solltest deinen Vorschlag als offenen Brief an die Parlamentarier formulieren, die gerade dabei sind, die EU-Bürger das Fürchten zu lehren.

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  2. Öko-Adel!- Ja, das ist der passende Begriff. Ich glaube aber so langsam, es geht weder um „Öko“ noch um Klimaschutz, sondern um PR und die Rettung des Kapitalismus (die Bauwirtschaft wird durch die „Häuslebauer“ und -besitzer subventioniert.). Denn folgende Klimaschutzmaßnahmen werden nicht bis kaum ergriffen: Tempolimit, ÖPNV-Ausbau auf dem Land, Verbot von Laubpustern, Eindämmung der Massentierhaltung, Lieferkettennachweise und -beschränkungen bei Regenwaldzerstörung, nachhaltige Aufforstung, Energiesparmaßnahmen, Verbot von Inlandflügen, Erhöhung der Solidität von Haushaltsgeräten etc., etc. ,etc. Dass so genannte „KlimaaktivistInnen“ den Beschluss der EU feiern, zeigt, dass diese naiv sind, noch keinerlei Verantwortung tragen und bei jeder Maßnahme, die den Namen „Klima“ trägt gleich jubeln, ohne groß nachzudenken. Aber die meisten davon gehören auch zur mindestens oberen, akademischen Mittelschicht. Leere Kühlschränke und angst vor Wohnungslosigkeit kennen sie allenfalls aus den Medien.

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  3. Einen Aspekt haben Sie vergessen: dieser Dämmwahn wäre eine europaweite Kulturzerstörung. Ein Europa, in dem die unterschiedlichen regionalen Baustile unter einer einheitlichen Kunststoffschicht verschwinden. Was für eine Barbarei…
    Ganz ehrlich: ein Leben in einer Rotorensteppe und in völlig entseelten Nichtorten wäre für mich eine schrecklichere Vorstellung als ein frühes Ableben.

    Gefällt 1 Person

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