Das Kabarett ins KZ!

Das österreichische Kabarett der Zwischenkriegszeit/2

Kabarettgeschichte(n) 11

Die nationalsozialistische Machtergreifung in Deutschland verstärkte in Österreich die Tendenz zu einer Politisierung des Kabaretts. Diese hatte jedoch enge Grenzen und fand zudem mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich ein jähes Ende. 

Kabarettboom als Krisensymptom

Das „Mittelstück“ – Annäherung des Kabaretts an das Theater

„Man kennt sich“ – Kleine Kabarettszene, große Kontinuitäten

Wohldosierte Satire

Ventilfunktion des Kabaretts

Nach 1938: „Lachtheater“ statt politisches Kabarett

Das „Wiener Werkel“: Oppositionelles Selbstverständnis, konformistische Realität

Die Guten ins Lachtheater, die Bösen ins KZ

Kabarettboom als Krisensymptom

Die Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 blieb auch nicht ohne Auswirkungen auf den Kulturbetrieb. Für diejenigen, die ihren Lebensunterhalt mit dem Kabarett verdienten, waren die Goldenen Zwanzigerjahre nun ebenfalls endgültig vorbei.

In Österreich verschärfte sich die Lage 1933 zusätzlich durch die Welle von Exilierten aus Deutschland. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Kulturschaffende spitzte sich dadurch abermals zu. 

In ihrer Not verfielen viele auf die Idee, eine eigene Kleinkunstbühne zu gründen. Begünstigt wurde dies durch eine Besonderheit des Wiener Theatergesetzes. Dieses sah vor, dass eine formelle Konzession nur für solche Etablissements beantragt werden musste, die auf ein Publikum von 50 und mehr Personen angelegt waren. Für kleinere Veranstaltungsorte genügte dagegen eine bloße Anmeldung, die zudem mit geringeren Steuern verbunden war.

So schossen die literarischen Kabaretts – meist kleinere Lokale mit einer Mini-Bühne – „aus dem Boden wie die Pilze nach dem Regen“ (soder Theaterkritiker Fritz Rosenfeld im Februar 1934; 1]. Die meisten hatten allerdings nur kurze Zeit Bestand – denn die große Konkurrenz führte dazu, dass „die Eintrittspreise unvergleichlich billiger“ waren als in den Theatern [2]. Was das Publikum freute, erschwerte den kleinen Bühnen einen kostendeckenden Betrieb und zwang viele schon nach kurzer Spieldauer zum Aufgeben.

Das „Mittelstück“ – Annäherung des Kabaretts an das Theater

Die bekanntesten der neu gegründeten Kleinkunstbühnen waren die Literatur am Naschmarkt, die Stachelbeere und das Cabaret ABC (später umbenannt in ABC im Regenbogen und Cabaret Regenbogen). Die beiden letztgenannten Kabaretts waren dabei politisch engagierter als die Literatur am Naschmarkt. Diese war ihrem Selbstverständnis nach „weitgehend liberal, jedoch nicht mit zu großer Schlagseite nach links, pro-österreichisch, jedoch nicht für einen Diktaturkurs“ [3].

Der wichtigste Beitrag der Literatur am Naschmarkt zur Kabarettkultur war wohl die Einführung des Mittelstücks. Dabei handelt es sich um einen längeren, 30 bis maximal 60 Minuten dauernden Einakter, der von kürzeren Programmnummern umrahmt ist.

Das Mittelstück bedeutete eine Annäherung des Kabaretts an das Theater. Manche sprachen sogar von einem „Einbruch des Theaters ins Kabarett“ [4] – wobei das Mittelstück allerdings oft auch Lieder enthielt und zudem schon allein wegen seiner kürzeren Dauer allenfalls als „Mittelding“ zwischen Kabarett und Theater angesehen werden konnte.

Dennoch war die Annäherung des Kabaretts an das Theater nicht ganz unproblematisch. Denn dessen Erfolg beruhte ja gerade darauf, dass das Publikum, so Fritz Rosenfeld, in seinen „Darbietungen den geistigen Zusammenhang mit der Zeit zu finden“ hoffte, „den die Theater längst verloren haben“ [5].

Dass das Mittelstück dennoch bald auch von anderen Kabarettbühnen eingeführt wurde, lag zum einen daran, dass es thematische Schwerpunktsetzungen erleichterte. Zum anderen ermöglichte das Mittelstück aber auch eine Auflockerung der Vorstellungsabende, indem davor und danach jeweils eine Pause eingefügt wurde. Dies war zudem kommerziell interessant, da die Pausen eine zusätzliche Gelegenheit zum Verkauf von Getränken und Imbissen boten.

„Man kennt sich“ – Kleine Kabarettszene, große Kontinuitäten

Neben solchen äußerlichen Parallelen näherten sich die einzelnen Bühnen auch auf der inhaltlichen Ebene aneinander an. Dies lag nicht zuletzt daran, dass die Wiener Kabarettszene aus einem festen Stamm von Aktiven bestand, die einander kannten und meist nicht nur für eine einzige Bühne tätig waren.

So wurde etwa die Stachelbeere ebenso wie die Literatur am Naschmarkt von Mitgliedern des Bundes Junger Autoren Österreichs gegründet. Als die Stachelbeere  ihren Betrieb Ende 1935 nach gut zweijähriger Spieldauer wieder einstellte, konnten Kabarettgründer Rudolf Spitz und einer der wichtigsten Autoren, Hans Weigel, problemlos zur Literatur am Naschmarkt überwechseln.

Eine ähnliche personelle Kontinuität ist auch zwischen anderen Kabarettbühnen zu beobachten. So schrieb Gerhart Herrmann Mostar etwa ebenso für den Lieben Augustin wie für das Cabaret ABC. Die politisch engagierten Werke Jura Soyfers gelangten ebenfalls nicht nur in diesem Kabarett, sondern auch in der Literatur am Naschmarkt zur Aufführung. Umgekehrt wurden die eher an Wortspiel und literarischer Parodie ausgerichteten Texte Peter Hammerschlags nicht nur im Lieben Augustin und in der Literatur im Naschmarkt, sondern auch im ABC vorgetragen.

Wohldosierte Satire

Vor diesem Hintergrund relativiert sich auch die politische Profilierung von Kabaretts wie dem ABC. Zwar wurden die meisten der von Jura Soyfer verfassten Einakter dort als Mittelstücke aufgeführt – und Soyfer ließ nicht nur keinen Zweifel an seiner antifaschistischen Haltung, sondern übte auch unverblümt Kritik an den Zuständen im austrofaschistischen Ständestaat.

Andererseits zeigen Äußerungen von Hans Margulies, der bis 1937 als künstlerischer Leiter des ABC fungierte, dass die politische Ausrichtung des Kabaretts auch einem kommerziellen Kalkül entsprach. Es habe sich, so Margulies, „gezeigt, dass alle Versuche, bloße Unterhaltung zu bieten, fehlschlugen“. Deshalb sei man dazu übergegangen, „auch die politische Satire“ ins Programm aufzunehmen [6].

Ein Beispiel für eine solche publikumswirksame Satire ist der Einakter Abbazia 1898 von Fritz Eckhardt. Darin werden Hitler und Mussolini als an einem Strand streitende Jungen dargestellt. Auch das Mittelstück Utopia 1975 von Hugo F. Königsgarten fällt in diese Kategorie von Satire. Darin „führt“ Hitler als Kellner ein Kaffeehaus  im damals noch fernen 1975 [7].

Ventilfunktion des Kabaretts

Beide Stücke liegen auf einer Linie mit der von Margulies selbst ausgegebenen künstlerischen Zielrichtung für das ABC. Danach soll die Satire zwar gesellschaftskritisch sein, aber so ausgeführt werden, dass „weder beim Publikum noch bei anderen Stellen Anstoß“ erregt wird:

„Der Witz soll treffen, aber nicht verletzen, die parodistische Anspielung soll immer charmant sein.“ [8]

Der Kulturredakteur und spätere Gründer des Agathon-Verlags, Leopold Wolfgang Rochowanski, bezweifelte angesichts solcher Tendenzen den systemkritischen Charakter des Kabaretts. In einem Artikel aus dem Jahr 1937 schrieb er dieser Kunstform eher eine systemstabilisierende Wirkung zu:

„So ein richtiges Kabarett ist ein wichtiges Ventil, der Staatsarzt verschreibt es dem Bürger, wenn Fieber auszubrechen droht, und der kluge Zensor ist besonders einverstanden, wenn er eine recht kräftige Dosis verabreichen darf, denn er weiß zu gut, dass sie niemals schadet.“ [9]

Rochowanskis Diagnose trifft sich mit früheren Bewertungen des Kabaretts. So hatte bereits Ernst von Wolzogen, 1901 Gründer des Berliner Überbrettl, im Rückblick den Ventilcharakter des Kabaretts betont:

„Die weitgeöffnete Tatze, die sich lachend auf die Schenkel schlägt, ist weit harmloser als die in der Tasche geballte Faust.“ [10]

Nach 1938: „Lachtheater“ statt politisches Kabarett

Dass auch den Nationalsozialisten der Gedanke einer Ventilfunktion des Kabaretts nicht fremd war, zeigt das Berliner Kabarett der Komiker, dessen Tore auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung geöffnet bleiben durften. Während des Krieges sollten zudem Frontbühnen für gute Stimmung in der Truppe sorgen.

Insgesamt tendieren totalitäre Regime allerdings eher dazu, den Menschen die Luft abzudrücken, anstatt ihnen Ventile zur Verfügung zu stellen, durch die sie ihrem Ärger Luft machen können. So wurde das politische Kabarett im nationalsozialistischen Deutschland auch vollständig verboten.

Dies war nach dem Anschluss Österreichs nicht anders. Nach dem 13. März 1938 kam das politische Kabarett in dem Land komplett zum Erliegen. Geduldet wurden nun nur noch „Lachtheater“, die entweder harmlosen Humor verbreiten oder sich an das rassisch-imperialistische Politikverständnis der neuen Machthaber anpassen mussten.

Das „Wiener Werkel“: Oppositionelles Selbstverständnis, konformistische Realität

Das einzige nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten neu gegründete Kabarett war Adolf Müller-Reitzners Wiener Werkel. Sein Personal rekrutierte sich größtenteils aus Ensemble und Autorenteam der Kleinkunstbühne Literatur am Naschmarkt, die ebenso wie ihr Rechtsträger – der Bund Junger Autoren – mit der nationalsozialistischen Machtübernahme verboten worden war.

Das Selbstverständnis der Beteiligten – das auch nach dem Krieg zunächst die Sicht dieses Kabaretts bestimmte – bestand darin, mit unterschwelliger Kritik an den neuen Machthabern den Stachel der Opposition am Leben zu erhalten. Dies wurde später allerdings von Rudolf Weys, einem der wichtigsten Hausautoren des Kabaretts, in Frage gestellt.

Weys sieht das Wiener Werkel rückblickend nicht als Beleg für den Widerstandsgeist des österreichischen Kabaretts, sondern eher dafür, dass viele schon zuvor mit Hitler kokettiert hätten. Erst durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich sei ihm deutlich geworden, dass viele sich zwar oberflächlich gegen deren Herrschaft positioniert, insgeheim aber mit deren Ausdehnung auf ihr Heimatland geliebäugelt hatten.

Dass ein so großer Teil von Repräsentanten des nach außen hin „so stark linksgerichteten und proösterreichischen Kabaretts“ nun mit dem nationalsozialistischen „Parteiabzeichen im Knopfloch auftrat“, sei für ihn, so Weys, eine „herbe Enttäuschung“ gewesen [11].

Die Guten ins Lachtheater, die Bösen ins KZ

Noch größer dürfte die Enttäuschung über das opportunistische Verhalten eines Teils der österreichischen Kabarettszene bei jenen gewesen sein, die – während die Ex-Kollegen in den neuen „Lachtheatern“ Witzchen rissen – Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungswut wurden. Dafür reichte es bekanntlich aus, einen entfernten Urahnen mit jüdischen Wurzeln zu haben. Wer dazu noch kritische Texte über den Nationalsozialismus veröffentlicht hatte, rückte in den Todeslisten der neuen Machthaber erst recht ganz weit nach oben.

Bedenkt man, wie stark die österreichische Kabarettkultur seinerzeit von Menschen mit jüdischem Hintergrund geprägt war, wird deutlich, dass die nationalsozialistische Verfolgungsmaschinerie hier auch eine Art kulturellen Massenmord begangen hat. Selbst ein kurzer Auszug aus der Liste dieses Personenkreises liest sich wie ein Who-is-Who der österreichischen Kabarettszene der Zwischenkriegszeit.

Peter Hammerschlag, Jura Soyfer und Fritz Grünbaum starben in Konzentrationslagern. Egon Friedell nahm sich durch einen Sprung aus dem Fenster das Leben, als die SA vor seiner Wohnung erschien. Karl Farkas, Stella Kadmon, Robert Ehrenzweig, Victor Grünbaum, Oscar Teller und Victor Schlesinger mussten ins Exil fliehen.

Manche kamen nach dem Krieg wieder nach Österreich zurück. Farkas und Kadmon gelang es, an ihre früheren Karrieren anzuknüpfen. Victor Grünbaum, der in den USA als Victor Gruen zu einem erfolgreichen Architekten geworden war, sah sich bei seiner Rückkehr in die alte Heimat allerdings den alten antisemitischen Ressentiments ausgesetzt: Die Wiener Architektenkammer erkannte dem weltberühmten Architekten das Recht ab, sich solcher zu bezeichnen, weil er im nationalsozialistischen Österreich sein Studium nicht abgeschlossen habe.

Nachweise

[1]  Fritz Rosenfeld in einem Artikel in der Arbeiter-Zeitung im Februar 1934; hier zit. nach Doll, Jürgen: Theater im Roten Wien. Vom sozialdemokratischen Agitprop zum dialektischen Theater Jura Soyfers, s. 274. Wien u.a. 1997: Böhlau.

[2]  Rosenfeld, zit. nach ebd.

[3]  Zit. nach Kaiser, Konstantin: Österreichische Kleinkunst 1926 – 1945 im Überblick. In: Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst 40 (1985), Nr. 1/2: Kabarett und Satire im Widerstand, S. 3 – 6 (hier S. 4).

[4]  Rösler, Walter: Aspekte der Wiener Kleinkunst 1931 bis 1938. In: Haider-Pregler, Hilde (Hg.): Verspielte Zeit. Österreichisches Theater der dreißiger Jahre, S. 233 – 245 (hier S. 234). Wien 1997: Picus [Dokumentation des gleichnamigen Symposiums, das vom 14. Bis 16. Juni 1996 im Rahmen der Wiener Festwochen im Wiener Museumsquartier stattfand]

[5]  Rosenfeld (s. 1).

[6]  Hans Margulies, zit. nach Pribil, Sabine: „Die Freiheitsstatue um fünf Schilling“. Das Cabaret ABC (1934–38). Ein Beitrag zur Wiener Kabarettforschung, S. 178. Diss. Wien 2017: Universität Wien.

[7]  Vgl. Huber, Mario: „Sendung nicht angekommen“ – Die Wiener Kleinkunstbühne ABC (1934 – 1938). Opposition zwischen Zensur und Publikumsgeschmack? In: Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie (LiTheS) 11 (2018), Nr. 15: Das Politische, das Korrekte und die Zensur 1, S. 130 – 153 (hier S. 143); PDF.

[8]  Margulies (s. 6).

[9]  Leopold Wolfgang Rochowanski, zit. nach Jarka, Horst: Opposition zur ständestaatlichen Literaturpolitik und literarischer Widerstand. In: Amann, Klaus / Berger, Albert: Österreichische Literatur der dreißiger Jahre. Ideologische Verhältnisse, institutionelle Voraussetzungen, Fallstudien, S. 13 – 41 (hier S. 31). Wien u.a. 1985: Böhlau.

[10] Ernst von Wolzogen, zit. nach Hösch, Rudolf: Kabarett von gestern nach zeitgenössischen Berichten, Kritiken und Erinnerungen, Band 1: 1900 – 1933, S. 62. Berlin 1967: Henschel.

[11] Rudolf Weys, zit. nach Lang, Manfred: Kleinkunst im Widerstand. Das „Wiener Werkel“. Das Kabarett im Dritten Reich, S. 5. Diss. Wien 1967: Universität Wien; vgl. auch Felkel, Markus: Das Wiener Werkel und der Mythos vom systemkritischen Widerstandskabarett in der NS-Zeit (1939 – 1944). In: Ders.: Vom Etablissement Grand Gala zum Theater im Zentrum. Eine theaterarchäologische Spurensuche in Wien, S. 37 – 39. Diplomarbeit Wien 2015: Universität Wien (PDF).

Gedicht von Jura Soyfer auf LiteraturPlanet:

Sind Unmenschen auch Menschen? Zu Jura Soyfers Lied des einfachen Menschen

Bilder: Titel: Collage aus: Jura Soyfer (Projekt Gutenberg / Wikimedia commons); Fritz Grünbaum; Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek; Egon Friedell (1878 – 1938); Foto von Edith Barakovich (Wikimedia commons); Peter Hammerschlag, 1932 (Wikimedia commons); 2. Menschenschlange bei der Brotausgabe in New York, Februar 1932 (Washington, National Archives and Records Administration / Wiki­media commons); 3. Zuschauerraum des Wiener Werkel, 1939/40 (geschich­tewiki.wien.gv.at)


Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s