Für eine zeitgemäße Reform der Besteuerung von Lebenspartnerschaften
Das Ehegattensplitting ist längst kein Bremsklotz mehr für die weibliche Emanzipation. Richtig verstanden, ist es ein Instrument gelebter Solidarität, das die Handlungsspielräume der Einzelnen erweitern kann.
Ursprüngliche emanzipatorische Intention des Ehegattensplittings
Seit es das Ehegattensplitting gibt, ist es Gegenstand kontroverser Debatten. Im Grunde wurde sogar schon über es gestritten, bevor es überhaupt beschlossen worden war. Denn seine Einführung erfolgte erst nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 1957 die bis dahin geltenden Regelungen zur Besteuerung von Ehepartnern für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärte.
Die damaligen Bestimmungen zur Steuerpflicht in der Ehe stammten noch aus der Zeit des Nationalsozialismus. Sie sahen für Frauen, die freiberuflich oder im selben Betrieb wie ihr Ehegatte tätig waren, eine gemeinsame Besteuerung mit Letzterem vor. Durch die Steuerprogression, die bei höheren Einkommen erhöhte Steuersätze vorsieht, ergaben sich dadurch steuerliche Nachteile gegenüber unverheirateten Frauen.
Diese Besteuerungsform entsprach der NS-Ideologie, die Erwerbsarbeit für Frauen unattraktiv machen und sie an den heimischen Herd binden wollte. Die Ausnahmeregelung für erwerbstätige Frauen in von den Gatten unabhängigen Betrieben war erst unter dem Druck der Kriegswirtschaft eingeführt worden, als Frauen für den Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie benötigt wurden.
Anders als heute vielfach behauptet, war mit der Einführung des Ehegattensplittings also keinesfalls eine Schlechterstellung von Frauen intendiert, sondern im Gegenteil gerade eine stärkere Anerkennung ihrer eigenständigen beruflichen Leistung.
Ein Element gelebter Solidarität
Das Ehegattensplitting bedeutet konkret, dass die Einkommen beider Partner addiert und dann halbiert, also „gesplittet“ werden. Für den daraus resultierenden Betrag wird dann die Steuerlast berechnet und anschließend verdoppelt. Sie wird also nicht für jeden Partner einzeln, sondern so erhoben, als würden beide ein gemeinsames Einkommen erzielen. Verdient einer mehr als der andere, bleibt so am Ende mehr in der Haushaltskasse übrig.
Im Grunde genommen greift das Steuersystem damit hier ein altes Kommunardenideal auf: Alle Einkünfte werden in einen gemeinsamen Topf geworfen, aus dem die Kommune ihre Ausgaben bestreitet. Wer viel einnimmt, steuert mehr bei, wer wenig einnimmt, steuert weniger bei.
Das Splitting-Verfahren ist somit ein Element gelebter Solidarität. Dass es ausgerechnet von der rechten Seite des politischen Spektrums verteidigt und immer wieder von links kritisiert wird, liegt zum Teil auch an einer Begrifflichkeit, die Assoziationen zu veralteten Rollenmodellen weckt.
De facto schützt das „Ehegattensplitting“ heute eben nicht mehr nur die klassische Gemeinschaft von Mann und Frau. Schon 2013 beschloss das Bundesverfassungsgericht, dass es auch für eingetragene Lebenspartnerschaften gelten müsse. Seit der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2017 ist es ohnehin selbstverständlich, dass das Ehegattensplitting auch bei standesamtlich getrauten Personen gleichen Geschlechts angewendet wird.
Stärkung patriarchaler Strukturen durch das Ehegattensplitting in der alten Bundesrepublik
Das Ehegattensplitting hat damit heute eine andere soziale Bedeutung als bei seiner Einführung Ende der 1950er Jahre. Damals freilich hat es durchaus eine seiner eigentlichen Intention zuwiderlaufende Wirkung entfaltet. Zur stärkeren Anerkennung der eigenständigen beruflichen Leistung von Frauen gedacht, führte das Verfahren in der Praxis oft gerade zur Verhinderung einer eigenständigen Erwerbstätigkeit von Frauen.
Der Grund dafür war, dass Männer seinerzeit in der Regel noch eine bessere Ausbildung erhielten als Frauen und folglich auch höher dotierte Berufe ergreifen konnten. Der Steuervorteil durch das Ehegattensplitting bewirkte dann, dass der von Frauen beigesteuerte Einkommensanteil zu einer vernachlässigbaren Größe schrumpfte.
Dies stärkte das patriarchalische Ideal des männlichen Familienoberhaupts und hielt Frauen von eigenständiger beruflicher Tätigkeit ab. Letzteres galt erst recht, solange verheiratete Frauen die Erlaubnis des Mannes brauchten, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die entsprechende Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch wurde erst 1977 abgeschafft.
Veränderte soziale Bedeutung des Ehegattensplittings
Heute dagegen ist die Ehe längst nicht mehr jenes „heilige Institut“, das als Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft die traditionelle Rollenverteilung in der Familie zementiert. Neben gleichgeschlechtlichen Ehen gibt es mittlerweile unzählige Patchwork-Familien, deren „Lebenspartnerschaft“ sehr weit von den familienpolitischen Idealen der Adenauer-Zeit entfernt ist.
In gleichem Maße wie die Vorstellung einer idealen Lebensgemeinschaft hat sich auch die Arbeitswelt verändert. In den Wirtschaftswunderjahren herrschte in Deutschland weitgehend Vollbeschäftigung. Wer arbeiten wollte, fand auch eine Anstellung. Das ist in den heutigen Zeiten der Massenarbeitslosigkeit ganz anders. Dass beide in einer Lebenspartnerschaft verbundene Personen eine gutbezahle Festanstellung haben, dürfte eher die Ausnahme sein.
Hinzu kommt, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit heute auch nicht mehr in derselben Weise eine Brücke ins gesellschaftliche Leben ist wie damals. Die Zunahme des Home Office hat den Beschäftigten zwar mehr Freiräume eröffnet. Sie schränkt zugleich aber auch die Möglichkeiten ein, über die Erwerbstätigkeit soziale Kontakte zu knüpfen. Umgekehrt führen die sozialen Medien dazu, dass Menschen, die nicht ins Berufsleben integriert sind, heute nicht mehr so stark vom sozialen Leben abgeschnitten sind wie früher.
Schließlich haben Shareholder-Ökonomie und die größer gewordene Reservearmee der Arbeitslosen auch den Druck auf die Beschäftigten erhöht. Der Konkurrenzdruck führt zu strengeren Arbeitsvorgaben und vermindert die Solidarität unter den Beschäftigten. Die Teilhabe am Erwerbsleben nähert sich daher heute in vielen Bereichen einer Art von moderner Sklaverei an – was wohl kaum eine erstrebenswerte Form gesellschaftlicher Teilhabe ist.
Erweiterte Handlungsspielräume durch Ehegattensplitting
So eröffnet das Ehegattensplitting in der Gegenwart gerade jene Freiräume, die es zur Zeit seiner Einführung tendenziell versperrte. Damals erschwerte es die weibliche Emanzipation, indem es Frauen daran hinderte, sich aus dem Ghetto der Ehe zu befreien und eine eigenständige Rolle in der Gesellschaft einzunehmen. Heute dagegen kann es gerade umgekehrt dazu verhelfen, alternative Lebensmodelle zu verwirklichen.
Dabei sind die Personen, die den Hauptanteil zum Einkommen in einer Lebenspartnerschaft beitragen, heute keineswegs notwendigerweise Männer. Die Vorteile, die sich aus dem Ehegattensplitting ergeben, können vielmehr für beide Geschlechter wirksam werden. Zu nennen sind hier beispielsweise
- die Ausübung von Tätigkeiten, die zwar einen sozialen Mehrwert erbringen, von der Gesellschaft aber nicht mit einem entsprechenden finanziellen Mehrwert belohnt werden – also etwa die Übernahme von Patenschaften für alte Menschen ohne Angehörige oder auch eine ehrenamtliche Tätigkeit bei einer Hilfsorganisation;
- kreativ-künstlerische Arbeit, bei der es ebenfalls eine beträchtliche Diskrepanz zwischen Nachfrage und Entlohnung gibt;
- die risikoärmere – weil durch das Einkommen des Partners abgesicherte – Gründung eines eigenen Betriebs;
- die Möglichkeit, sich jenseits aller Zeitkontingente und Antragskriege um pflegebedürftige Angehörige zu kümmern;
- der erweiterte Freiraum für das Zusammensein mit den eigenen Kindern, insbesondere solange sie noch nicht in Kita oder Schule gehen.
Ehegattensplitting als Ausgleich willkürlicher Entlohnungsregeln
Die positive Wirkung des Ehegattensplittings kann sich natürlich nur dann entfalten, wenn die besser verdienende daraus nicht Machtansprüche gegenüber der schlechter gestellten Person ableitet. Insbesondere darf diese weder offen noch implizit zu Sklavendiensten in Haushalt und Familie gedrängt werden.
Stattdessen muss der Umgang mit dem Splitting-System stets von dem Bewusstsein für die Relativität des gesellschaftlichen Wertekanons und des daraus abgeleiteten Entlohnungssystems getragen sein. So ist es etwa mit objektiven Maßstäben kaum begründbar, warum ein Profi-Fußballer mehr verdient als eine Grundschullehrerin. Das Splitting-Verfahren kann in solchen Fällen dazu beigetragen, gesellschaftliche Wertsetzungen ein Stück weit zu korrigieren.
Das Konzept eines Lebensgemeinschafts-Splittings
Das Ehegattensplitting trägt demnach zur Erweiterung der Handlungsspielräume in Lebenspartnerschaften bei. Wenn es etwas an ihm zu kritisieren gibt, so ist es in erster Linie der Name, der mit veralteten Vorstellungen von Ehe und Familie assoziiert ist. Für die heutige Zeit passender wären Begriffe wie „Lebenspartnerschafts-“ oder „Lebensgemeinschafts-Splitting“.
Letzterer Begriff legt dabei zugleich nahe, dass das Splitting-System auf andere Formen des Zusammenlebens erweitert werden sollte. Zu denken ist dabei insbesondere an Mehrpersonenhaushalte, bei denen das Zusammenleben nicht notwendigerweise mit intimen Kontakten verbunden ist.
Dies trifft etwa auf Formen des Mehrgenerationenwohnens oder auf Wohngemeinschaften von Senioren zu. Auch könnten bei Großfamilien – ähnlich wie in Frankreich – die unverheirateten Kinder mit eigenem Einkommen sowie eventuell auch weitere im selben Haushalt lebende alleinstehende Angehörige in das Splitting-Verfahren einbezogen werden.
Eine zusätzliche Belastung des Staatshaushalts ergäbe sich durch die Ausweitung des Steuer-Splittings übrigens nicht unbedingt. Denn die gegenseitige Unterstützung der Mitglieder einer Lebensgemeinschaft würde gleichzeitig dabei helfen, die Sozialausgaben zu reduzieren.
Einspareffekte ergeben sich darüber hinaus bei überdurchschnittlichen Zugewinnen, die – in absoluten Zahlen gerechnet – Ehepaare mit besonders hohem Einkommen durch das Splitting-Verfahren erzielen können.
Oft wird dieser Effekt zum Anlass genommen, das Steuersplitting allgemein in Frage zu stellen. Allerdings handelt es sich hierbei nur um einen Aspekt der allgemeinen sozialen Schieflage unseres Steuersystems. Das Problem ließe sich mit einer Deckelung des zu erzielenden Steuervorteils leicht aus der Welt schaffen – eine Abschaffung des Splitting-Systems ist dafür nicht nötig.
Bild: Gerd Altmann: FingerStern (Pixabay)