Rechtsbeugung für Erleichterung von Abschiebungen

Zu einem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung

Das geplante Gesetz der Bundesregierung zur Erleichterung von Abschiebungen verstößt an mehreren Stellen gegen Grundgesetz und Menschenrechte. Es ist damit nicht nur inhuman, sondern untergräbt auch den Rechtsstaat.

Ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Gesetz

Schon seit Längerem plant die Bundesregierung eine Verschärfung der Bestimmungen zum Umgang mit Menschen, die bei uns Schutz suchen vor persönlicher Verfolgung oder dem Elend in ihrer Heimat. Nach den Erfolgen der AfD bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern soll das Gesetzesvorhaben nun rasch umgesetzt werden [1].

Die Bestimmungen sehen auch Maßnahmen vor, die im Widerspruch zum Grundgesetz und zur Europäischen Menschenrechtskonvention stehen. Dabei handelt es sich im Einzelnen um folgende Aspekte:

  • das Grundrecht auf Freiheit
  • den Grundsatz „In dubio pro reo“ (Im Zweifel für den Angeklagten)
  • die Unverletzlichkeit der Wohnung
  • den grundgesetzlich garantierten Schutz der Familie.

Verletzung des Grundrechts auf Freiheit

Bereits jetzt können Menschen, denen eine Aufnahme in Deutschland verweigert worden ist, zehn Tage lang im so genannten „Ausreisegewahrsam“ festgehalten werden. Diese Frist soll gemäß dem neuen Gesetzesvorhaben auf 28 Tage verlängert werden.

Menschen werden hier also allein deshalb ihrer Freiheit beraubt, weil ihnen unterstellt wird, dass sie sich der Abschiebung widersetzen wollen. Dies widerspricht eindeutig den das Grundgesetz einleitenden Grundrechten, wo es in Artikel 2, Absatz 2, unmissverständlich heißt:  „Die Freiheit der Person ist unverletzlich“. Ein Eingriff in dieses Grundrecht ist nur bei einem schweren Missbrauch dieses Rechts möglich. Dies wäre etwa der Fall, wenn es zur Bedrohung der „verfassungsmäßigen Ordnung“ genutzt wird [2].

Die Maßnahme ist zudem im besonderen Maße dazu geeignet, Traumata zu reaktivieren, die viele Schutzsuchende vor ihrer Flucht aus den Herkunftsländern erlitten haben, da sie Erinnerungen an die dort erlebte polizeiliche Willkür wieder aufflammen lässt.

Verletzung des Rechtsgrundsatzes „In dubio pro reo“

Das neue Gesetz sieht vor, dass Personen künftig schon bei hinreichendem Verdacht auf die Verwicklung in kriminelle Handlungen abgeschoben werden können. Die bisherige Bindung an ein Urteil, das diesen Verdacht bestätigt, soll entfallen.

Dies widerspricht der bereits 1953 von Deutschland ratifizierten Europäischen Menschenrechtskonvention. Zu dem in Artikel 6 festgelegten „Recht auf ein faires Verfahren“ gehört darin ausdrücklich auch der Grundsatz, bis zum Nachweis des Gegenteils als unschuldig zu gelten: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig“ [3].

Verstoß gegen den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung

Gemäß dem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung soll künftig auch die Durchsuchung von Unterkünften zur Feststellung von Identitäten erleichtert werden. Dies soll auch das Recht der Polizei umfassen, Unterkünfte Dritter nach Hinweisen auf die betreffenden Personen zu durchsuchen.

Dies verstößt klar gegen Artikel 13 des Grundgesetzes. Darin heißt es unmissverständlich: „Die Wohnung ist unverletzlich.“ Zwar sieht auch das Grundgesetz die Möglichkeit von Durchsuchungen vor. Diese müssen sich jedoch auf einen konkreten, strafrechtlich relevanten Verdacht beziehen und von einem Gericht angeordnet werden [4].

Verletzung des grundgesetzlich garantierten Schutzes der Familie

Geplant ist in dem neuen Gesetz auch ein Abweichen von der bisherigen dreimonatigen Ankündigung vor Ausweisungen von Menschen, die sich schon länger als ein Jahr in Deutschland aufhalten. Ausnahmen soll es nur für Familien mit Kindern unter 12 Jahren geben.

Das Vorhaben erhöht zum einen den psychischen Stress für die Betroffenen, die so noch stärker unter dem ständig über ihnen schwebenden Damoklesschwert der Abschiebung leiden. Darüber hinaus unterstellt die geplante Verschärfung jedoch auch, dass Familien keinen besonderen Schutz mehr genießen, sobald die Kinder in die Pubertät kommen.

Diese Ad-hoc-Umdefinition von Familie ist ebenfalls nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, wo es in Artikel 6 unzweideutig heißt: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“ [5].

Argumente für eine restriktivere Asylpolitik: nicht stichhaltig

Wenn wir hier einmal den – unwahrscheinlichen – Fall annehmen, dass jemand aus der „Deutschland-den-Deutschen“-Fraktion auf diesem Blog unterwegs sein sollte, so käme aus dieser Ecke wohl der Einwand: „Was willst du denn? Diese Flüchtlinge sind doch selbst schuld an allem! Sie sind es doch, die illegal unsere Grenze überqueren, nur um sich dann bei uns in Ghettos abzusondern und kriminell zu werden!“

Diese Argumentation, die im Kern auch dem Gesetzesvorhaben der Bundesregierung zugrunde liegt, ist allerdings eine Verdrehung der Tatsachen. Wir sind es doch, die unsere Grenzen auf inhumane und damit zumindest illegitime Weise gegen Schutzsuchende abschotten. Diesen bleibt folglich nur die Möglichkeit des irregulären Grenzübertritts.

Auch die Vorwürfe von Ghettobildung und Kriminalität sind nicht schlüssig. Beides ist zumindest auch die Folge einer verfehlten Integrationspolitik. Eben diese wird nun sogar noch verschärft, indem Menschen mit Migrationshintergrund signalisiert wird, dass sie hierzulande unerwünscht sind. Was bleibt ihnen da anderes übrig, als sich stärker untereinander zu vernetzen?

Noch unstimmiger ist der Kriminalitätsvorwurf. Wenn von „Clan-“ oder „Bandenkriminalität“ die Rede ist, so zielt dies zumeist auf Menschen ab, die zwar einen Migrationshintergrund aufweisen, aber längst einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben. Diese Personen können also gar nicht abgeschoben werden – und wenn doch, so wäre dies unverantwortlich, weil wir dadurch anderen Gesellschaften Probleme aufbürden würden, die wir aufgrund unserer verfehlten Integrationspolitik selbst mitverschuldet haben.

Im Endeffekt wird hier also die Wut über eine verfehlte Migrations- und Integrationspolitik an Menschen ausgelassen, die daran überhaupt keine Schuld trifft. Mit dieser pauschalen Vorgehensweise gegen Menschen allein aufgrund ihres Migrationshintergrunds wird die Grenze zum Rassismus klar überschritten.

Die Ampel sät, die AfD erntet

Mit ihrem Bückling vor der AfD erreicht die Bundesregierung letztlich das Gegenteil des Bezweckten. Anstatt sich entschlossen gegen Fremdenfeindlichkeit zu positionieren, macht sie diese hoffähig. Dies geschieht zum einen über eine restriktivere Gesetzgebung, zum anderen aber auch über eine fremdenfeindliche Wortwahl und entsprechende Umgangsformen.

Ist es nicht seltsam, dass in unserer sprachsensiblen Zeit so ungehemmt von „Clankriminalität“ gesprochen wird? Enthält der Begriff nicht zumindest einen rassistischen Kern? Schließlich spricht doch auch niemand von „Michel-Kriminalität“, nur weil das Verbrechen selbst vor dem so furchtbar ordentlichen und pflichtbewussten deutschen Volk nicht Halt macht.

Und warum erschaudern wir eigentlich nicht kollektiv, wenn plötzlich wieder von  „erleichterter Rückführung“ und „schnellerer Abschiebung“ die Rede ist? Erinnert diese technokratische Ummäntelung inhumaner Praktiken nicht an dunkelste Zeiten unserer Geschichte?

Besonders fatal sind allerdings die Einschränkungen von Grundrechten zur Erleichterung eines restriktiveren Umgangs mit Schutzsuchenden. Wer einmal vom Grundsatz der Unteilbarkeit der Menschenrechte abweicht, bereitet damit den Boden für ein autokratisches Regime, das diese Vorlage dankbar aufgreifen wird.

Rechtspopulistische Politik von Parteien der bürgerlichen Mitte

So reibt man sich erstaunt die Augen und fragt sich: Wer ist da eigentlich an der Regierung? Die FDP? War das nicht mal eine Bürgerrechtspartei? Die Grünen? Treten die sonst nicht konsequent für Menschenrechte ein? Die SPD? Gab es da nicht mal eine Sozialistische Internationale, die für Völkerfreundschaft und Solidarität mit den Unterdrückten eintrat?

Gut, die FDP hat sich in den jahrzehntelangen Koalitionen mit der CDU daran gewöhnt, „Freiheit“ ökonomisch zu buchstabieren und die Bürgerrechte ins Kleingedruckte abzuschieben. Bei den Grünen grummelt es zumindest hier und da. Und die SPD? Tut mal wieder das, was sie immer tut, wenn sie an der Regierung ist: den Knüppel rausholen.

Schon im Januar 1919 ließ die SPD die Proteste von links im so genannten „Spartakusaufstand“ von kaisertreuen Frei­korps-Soldaten niederschießen. Unter Willy Brandt kriminalisierte sie die Reste der APO-Bewegung im „Radikalenerlass“, unter Gerhard Schröder legte sie mit den Hartz-Gesetzen die Axt an den Sozialstaat.

Olaf Scholz schickt sich nun an, der ultimative Totengräber sozialdemokratischer Ideale zu werden. Nachdem er sich als Arbeitsminister und als Hamburger Bürgermeister (insbesondere bei der Niederschlagung der Proteste gegen den G20-Gipfel) als Law-and-Order-Politiker profiliert hatte, ist dies durchaus das, was man von ihm erwarten konnte.

Die Frage ist nur, warum sich die SPD dann nicht endlich so umbenennt, dass alle wissen, was sie bei ihrer Wahl bekommen. Wie wäre es etwa mit HDP – HauDrauf-Partei?

Nachweise

[1]  Vgl. Lindner, Nadine: Bundesregierung will Gesetze für schnellere Rückführung beschließen. Deutschlandfunk, 25. Oktober 2023; Balser, Markus / Brössler, Daniel / von Bullion, Constanze: Bundesregierung will Abschiebungen erleichtern. Süddeutsche Zeitung, 11. Oktober 2023.

[2]  Grundgesetz, Artikel 2.

[3]  Europäische Menschenrechtskonvention, Artikel 6: Recht auf ein faires Verfahren, Abs. 2. dejure.org.

[4]  Grundgesetz, Artikel 13.

[5]  Grundgesetz, Artikel 6, Abs. 1.

Bild: Alexas_Fotos: Flüchtlingskind (Pixabay)

5 Kommentare

  1. Ich habe etwas dazu geschrieben. Es bezieht sich auch auf den anderen Beitrag, wo vom fehlenden Mitleid die Rede ist: https://sternkekandidatkreistagvg.wordpress.com/2023/11/08/das-unbehagen-kommt-daher-dass-alles-gefilmt-wird-claude-blanchemaison/
    Schon unter jenem anderen Beitrag habe ich bemerkt, dass die Rechten und die Linken sich spiegelbildlich verhalten und ihre Einhelligkeit in Bezug auf die fatale Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik, die nichts als Finanzspekulation ist, dahinter verbergen wollen, dass sie Scheindebatten auf dem Rücken der Migranten und anderer Minderheiten austragen. An der neuen Antimigrationsdebatte sieht man deutlich, dass die Hysterisierung der Bevölkerung vollkommen unabhängig von den Inhalten vorgenommen wird: heute Willkommenskultur, morgen Verabschiedungskultur.
    Ich wohne an der polnischen Grenze und werde nun ständig von Polizisten oder Zöllnern kontrolliert. Die Zöllner haben mir erklärt, dass sie uns Bürgern Sicherheit vor den illegalen Migranten vermitteln wollen. Das ist vollkommen überflüssig, da die Migranten sich nach der Grenzüberschreitung von selbst bei der Polizei melden, weil sie registriert werden wollen. Ich habe die Zöllner gefragt, was sie denn machen, wenn illegale Migranten kommen, denn sie können sie ja nicht einfach nach Polen zurückbringen. Sie antworteten: „Wir können sie nur begrüßen.“ Die Regierung kann die Migration – auch aus den in dem Beitrag genannten rechtlichen Gründen – gar nicht einschränken und würde sich die Stimmungsmache ersparen, wenn es ihr nicht eigentlich nur auf diese Stimmungsmache ankäme. Das Fazit lautet tatsächlich: Die Ampel sät, die AfD erntet. Aber ist da denn ein Unterschied zwischen beiden?

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