Im Reformdschungel

Raul Zeliks Kolumbien-Feature

In seinem Kolumbien-Feature erzählt Raul Zelik von den Problemen, vor die sich ein progressiver Präsident in einem von konservativen Machteliten beherrschten Land gestellt sieht.

Hintergründe des Features

Raul Zelik hat nach seinem aufschlussreichen Feature über Kuba aus dem vergangenen Jahr in diesem Jahr ein ebenso hörenswertes Feature über Kolumbien herausgebracht. Darin erzählt er von den Schwierigkeiten, vor die sich der 2022 zum Präsidenten gewählte Gustavo Petro bei der Umsetzung seiner Agenda gestellt sieht.

Bei oberflächlicher Betrachtung klingt das Ganze nach einer Erfolgsgeschichte: Petro ist nicht nur der erste linke Präsident in der Geschichte Kolumbiens. Ihm zur Seite steht mit Francia Márquez auch noch eine renommierte Umweltschützerin und Bürgerrechtlerin als Vizepräsidentin, die als erste dunkelhäutige Frau an der Spitze des Staates den Anti-Establishment-Schwenk zu vervollkommnen scheint.

Kolumbianisches Problemgebirge

Leider ist jedoch nicht nur der Wandel an der Spitze des Staates ein politisches Erdbeben. Auch die Aufgaben, vor denen das neue Führungsduo steht, sind gewaltig:

  • Der Landbesitz ist extrem ungleich verteilt. Es bräuchte eine Landreform, die zugleich den neuen kleinbäuerlichen Betrieben Vermarktungsmöglichkeiten bieten würde, damit sie ihre Landtitel nicht gleich wieder veräußern.
  • Die Gesundheitsversorgung müsste dringend reformiert werden. Sie wird zwar staatlich subventioniert, liegt jedoch in den Händen privater Unternehmen. Dies führt dazu, dass aufwändigere Behandlungen nur für wohlhabende Menschen finanzierbar sind.
  • Der Ausbeutung der Bodenschätze des Landes durch internationale Großkonzerne muss ein Riegel vorgeschoben werden.
  • Die Konzentration der Landwirtschaft auf den Export von Produkten wie Palmöl, die über Monokulturen zu einer Auslaugung der Böden führen, oder Zucker für die Treibstoffproduktion muss zugunsten einer auf die heimische Nahrungsmittelversorgung ausgerichteten Produktion zurückgedrängt werden.
  • Die Torpedierung des von Juan Manuel Santos mit der FARC-Guerilla ausgehandelten Friedensabkommens durch seinen Nachfolger im Präsidentenamt, Álvaro Uribe, muss beendet werden. Die Vereinbarungen für eine Eingliederung der Kämpfer in die Gesellschaft müssen eingehalten und auf andere Guerilla-Gruppen ausgeweitet werden.
  • Die mafiaähnlichen Zustände, durch die mancherorts ganze Landstriche von ehemaligen paramilitärischen Gruppen und Ex-Guerilleros kontrolliert werden, müssen wirkungsvoll bekämpft werden. Dies schließt auch Überlegungen zu einer Legalisierung des Koka-Anbaus mit ein, um den Drogenkartellen die Oberhoheit über den Kokainhandel und damit ihre Haupteinnahmequelle zu entziehen.

Die Beharrungskraft der alten Eliten

Erste Schritte zur Behebung all dieser strukturellen Probleme hat das neue Führungsduo zwar schon unternommen: Neue Abbau-Konzessionen sollen nicht vergeben werden, und Konzepte für eine Reform des Gesundheitssystems und eine Umverteilung des Landbesitzes liegen ebenso vor wie Pläne für umfassende Friedensvereinbarungen mit allen Guerilla-Gruppen.

Das Problem ist nur: Die Staatsspitze verfügt im Parlament nicht über die nötige Mehrheit, um die Reformen durchzusetzen. So kann die alte Machtelite die Geschicke des Staates weiterhin bestimmen. Wichtiger noch als ihre Blockademöglichkeiten im Parlament sind dabei ihre Herrschaft über Militär, Medien und Justizapparat, durch die alle Strukturreformen diskreditiert und abgewürgt werden können.

Hinzu kommt, dass Kolumbien bei zentralen Fragen kaum autonome Entscheidungen treffen kann, ohne diplomatische Krisen heraufzubeschwören. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit dem Koka-Anbau, bei dem die USA nach wie vor auf ein Festhalten an den gescheiterten Konzepten des „war on drugs“ drängen.

Ernüchterung und Ermutigung

Das Feature von Raul Zelik macht auf all diese Probleme aufmerksam und schildert auch eindrucksvoll die teils ganz unmittelbare physische Gewalt, mit der die herrschenden Eliten ihren Machtanspruch durchzusetzen versuchen. Gleichzeitig wird jedoch auch der zivilgesellschaftliche Widerstand beschrieben, mit dem die Menschen vor Ort sich gegen die Vorenthaltung ihrer existenziellen Rechte und die Negierung ihrer Menschenwürde zur Wehr setzen.

Der Protest nimmt dabei äußerst phantasievolle Formen an. Diese manifestieren sich nicht nur in Demonstrationen und volksfestartigen Happenings, sondern auch in einer kreativen Nutzung der Verfassung und der Gesetze des Landes für den Widerstand gegen staatliche Willkür und den Raubbau an der Natur.

Das Feature ist damit ernüchternd und ermutigend zugleich. Es zeigt, dass die Wahl eines ökologisch und sozial engagierten Präsidenten allein noch keinen Strukturwandel bewirken kann. Gleichzeitig führt es in dem Mut der vor Ort lebenden Menschen, die sich trotz physischer Gewaltandrohung gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wehren, aber auch die Widerstandskraft der Zivilbevölkerung vor Augen, die über viele Teilerfolge am Ende vielleicht doch den Wandel zu einer humaneren und umweltverträglicheren Gesellschaftsform bewirken kann.

Link zum Feature von Raul Zelik:

Kolumbiens erster linker Präsident – An der Regierung, aber nicht an der Macht? Westdeutscher Rundfunk, Erstausstrahlung am 13. August 2023.

Sprecherinnen und Sprecher, Tontechniker, Regisseur und verantwortlicher Redakteur werden am Ende des Features namentlich erwähnt.

Infos zu Raul Zelik finden sich in seinem Wikipedia-Eintrag sowie auf der Homepage des Autors.

Bild: Leonel Barreto (HunterProducciones): Kolumbianisches Bauern-Paar in seiner Kaffeeplantage (Pixabay)

Schreibe einen Kommentar