Lach dich frei! – Vom Kabarett zur Comedy

Die geheimen Botschaften des Fernsehens

Ein gesellschaftskritischer Anspruch lässt sich in der modernen Fernseh-Comedy schlechter umsetzen als im politischen Kaba­rett. In beiden Fällen besteht allerdings die Gefahr, über Probleme hinwegzulachen, anstatt Impulse für Veränderungen zu liefern.

Schon seit einigen Jahren ist neben den Begriff „Kabarett“ der Ausdruck „Comedy“ getreten. Beide Worte werden heute fast schon synonym verwendet, wobei der neuere den älteren Be­griff mehr und mehr verdrängt.

Das ist in diesem Fall nicht allein der verbreiteten Praxis zu verdanken, Älteres in ein neues sprachliches Gewand zu pa­cken und ihm dabei mittels Anglizismen ein modern wirken­des, hippes Image zu verpassen. „Kabarett“ und „Comedy“ weisen vielmehr auch unterschiedliche Bedeutungsnuancen auf. Der Begriff „Kabarett“ impliziert in aller Regel einen poli­tisch-gesellschaftskritischen Anspruch, wohingegen bei „Co­medy“ der Unterhaltungsaspekt im Vordergrund steht.

Die Grenzen sind dabei allerdings fließend. Ein sich politisch verstehendes Kabarett kann ebenso unterhaltend sein, wie eine auf Unterhaltung abzielende Comedy gesellschaftskriti­sche Elemente enthalten kann. Dies liegt nicht zuletzt an dem Umfeld, in dem beide sich entfalten.

Eine sich politisch verstehende Comedy steht heute vor den­selben Problemen, denen sich auch das Kabarett seit seinen Anfangszeiten ausgesetzt sah. Entstanden aus der Absicht, mit den Mitteln der Satire gesellschaftliche Missstände zu kritisie­ren, wollte es das Publikum dabei doch immer auch zum La­chen bringen. Das Lachen wurde dabei gewissermaßen als Ka­talysator eingesetzt, durch den sich die politische Erstarrung lösen und Veränderungsprozesse einleiten sollte.

Das Problem war nur, dass Intention und Rezeption nicht not­wendigerweise deckungsgleich sein mussten. Was von denen, die Texte für das Kabarett schrieben und sie auf die Bühne brachten, als Anstoß für gesellschaftliche Veränderungen ge­dacht war, musste vom Publikum keineswegs so verstanden werden. Vielmehr konnte das Kabarett von ihm auch als Mittel genutzt werden, die Probleme „wegzulachen“, anstatt sich an ihrer Lösung zu versuchen.

So verkam das Kabarett vielfach zu einer Vulgärversion des griechischen Theaters. Denn auch im antiken Griechenland diente der Besuch des Theaters ja dazu, sich kurzzeitig einer Problematik zu stellen, um hinterher den Alltag leichter meis­tern zu können.

Dabei gibt es allerdings einen bedeutsamen Unterschied. Im antiken Griechenland ging es um ewige, im Kern unlösbare Menschheitsprobleme. Die Katharsis wurde folglich nicht über ein Hinweglachen, sondern durch ein vorübergehendes Durchleiden der Probleme, also mit den Mitteln einer Tragö­die bewirkt. Dagegen besteht im Kabarett stets die Gefahr, gesellschaftliche Zustände, die durchaus einer Veränderung zugänglich wären, durch ihre lachhafte Darstellung eher zu verharmlosen, anstatt Wege zu einer Neugestaltung der so­zialen Verhältnisse aufzuzeigen.

Vor diesem Hintergrund wurde das Kabarett schon früh ver­dächtigt, eher ein Ventil für die Artikulation von Unzufrieden­heit zu sein als Impulse für politische Veränderungen zu ge­ben. Sehr deutlich formulierte das bereits in den 1930er der österreichische Kulturredakteur und spätere Gründer des Aga­thon-Verlags, Leopold Wolfgang Rochowanski. In einem Arti­kel aus dem Jahr 1937 bezweifelte er grundsätzlich den sys­temkritischen Charakter des Kabaretts und schrieb ihm eher eine systemstabilisierende Wirkung zu:

„So ein richtiges Kabarett ist ein wichtiges Ventil, der Staatsarzt verschreibt es dem Bürger, wenn Fieber auszu­brechen droht.“ [1]

Bestätigt wird diese Kritik durch niemand anderen als Ernst von Wolzogen. Das von ihm 1901 in Berlin gegründete „Überbrettl“ gilt gemeinhin als erstes modernes Kabarett im deutschsprachigen Raum. Eben deshalb ist es besonders auf­schlussreich, dass Wolzogen hiermit im Rückblick ebenfalls ausdrücklich eine Ventilfunktion verband:

„Ein unterdrücktes Gelächter treibt allemal Galle ins Blut, während umgekehrt ein aufgestauter Galleüberschuss durch kein Mittel leichter entfernt wird als durch eine kräftige Erschütterung des Zwerchfells. Die weitgeöffnete Tatze, die sich lachend auf die Schenkel schlägt, ist weit harmloser als die in der Tasche geballte Faust.“ [2]

Das beste Mittel, einer unbeabsichtigten Ventilfunktion des politischen Kabaretts vorzubeugen, ist es, das Publikum aus seiner passiven Zuschauerrolle herauszuholen. Dies ist schon früh versucht worden. So war etwa im Züricher Cabaret Vol­taire, das sich 1916 zur Geburtsstätte des Dadaismus entwi­ckelte, die spontane Beteiligung von Personen aus dem Publi­kum ausdrücklich erwünscht.

Auch das 1965 in Berlin von Volker Ludwig gegründete Reichs­kabarett setzte durch den Einbau dokumentarischer Elemente und einen „Mitmachabend“ – der sich allerdings eher zu ei­nem Karriere-Sprungbrett für Komiker wie Karl Dall und Ingo Insterburg entwickelte – auf die gezielte Aktivierung des Pub­likums. Von dauerhafter Wirkung war das Projekt eines Kin­derkabaretts, aus dem das bis heute bestehende Grips-Thea­ter hervorging.

Comedy-Shows sind damit dem Lach-Yoga nicht unähnlich. Vielleicht werden Comedians deshalb in der Zukunft, wenn das Lach-Yoga salonfähiger wird, überflüssig. Momentan ge­ben ihnen viele wohl auch deshalb noch den Vorzug, weil sie eine gewisse Scheu empfinden, grundlos in Gelächter auszu­brechen.

Nachweise

 [1] Leopold Wolfgang Rochowanski, zit. nach Jarka, Horst: Opposition zur ständestaatlichen Literaturpolitik und literarischer Widerstand. In: Amann, Klaus / Berger, Albert: Österreichische Literatur der drei­ßiger Jahre. Ideologische Verhältnisse, institutionelle Voraussetzun­gen, Fallstudien, S. 13 – 41 (hier S. 31). Wien u.a. 1985: Böhlau.

[2]  Ernst von Wolzogen, zit.nachHösch, Rudolf: Kabarett von gestern nach zeitgenössischen Berichten, Kritiken und Erinnerungen, Band 1: 1900 – 1933, S. 62. Berlin 1967: Henschel.

[3]  Rating, Arnulf: Wandertheater auf neuen Wegen: Die 3 Tornados. In: Baumgarten, Michael / Schulz, Wilfried: Die Freiheit wächst auf keinem Baum: Theaterkollektive zwischen Volkstheater und Anima­tion, S. 190 – 221 (hier S. 217). Berlin 1979: Medusa.

Ausführliche Studie zum Kabarett:

Das Kabarett und seine Gedichte. Ein dichterischer Rückblick auf die Ge­schichte des deutschsprachigen Kabaretts (PDF oder Ebook).

Bild: Alexas Fotos: Lachender Affe (Pixabay)

Ein Kommentar

  1. Ich finde die „Überbevölkerung“ des Fernsehens mit „Comedians“ auch bedenklich. Ihre Analyse legt den Finger gekonnt in die Wunde und liest sich spannend. In der Tat werden in Sendungen wie der „Heute Show“ den Zuschauern das Selbstdenken abgenommen und die Interpretation der Information vorgegeben. Ist es vielleicht nur eine Art Selbstvergewisserung einer bestimmten gesellschaftlichen Blase???? Man lacht man über die Missstände und schwamm drüber. Nach dem Lesen dieses Essays kommt man nicht auf die Idee, dass Kabarett oder Comedy irgendeine gesellschaftsverändernde Wirkung erzielen kann.

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