Unerwartete Begegnung am Neujahrstag
Bei einem Waldspaziergang am Neujahrstag habe ich überraschend das Wünschelmännchen getroffen. Seitdem ist nichts mehr so, wie es war.
Am ersten Tag des neuen Jahres bin ich wie immer zu einem ausgedehnten Spaziergang durch den Wald aufgebrochen. Als ich an einer Weggabelung anhielt, um mich zu orientieren, schimmerte es auf einmal bläulich im Unterholz. Ich wusste gleich: Das muss das Wünschelmännchen sein! Seine blaue Kapuze ist einfach unverkennbar.
„Alles Gute fürs neue Jahr, Herr Wünschelmann“, grüßte ich den Waldbewohner. „Da bin ich aber froh, dass ich Sie hier treffe.“
„Ach, hör mir auf mit der Schleimerei“, entgegnete das Wünschelmännchen, überraschend mieslaunig. „Nenn mir einfach deine Wünsche, und dann zieh Leine! Es ist spät geworden gestern, mir brummt schon der Schädel von all den Neujahrswünschen.“
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Rasch ratterte ich meine Wünscheliste herunter. Und weil Herr Wünschelmann sich schnell wieder auf sein Unterholzbett zurückziehen wollte, hat er mir auch all meine Wünsche anstandslos erfüllt. Dafür kriecht er tief in die Ohren derer, die die Wünsche umsetzen müssen – natürlich ohne dass die Betreffenden etwas davon mitbekommen. Sie wachen einfach morgens auf und sind von ganz anderen Überzeugungen beseelt.
Als ich am Abend in das Nachrichtenschaufenster sah, konnte ich das Ergebnis dieser Einflüsterungen bestaunen:
Wladimir Putin sagte: „Ich will kein Terrorpate mehr sein. Friedensfürsten genießen doch ein viel höheres Ansehen. Also werde ich auf Knien durch Kiew rutschen, um das ukrainische Volk um Vergebung für das Unverzeihliche zu bitten.“
Donald Trump sagte: „Ich will kein Baulöwe mehr sein, der zum Sprung auf das Weiße Haus ansetzt. Lieber baue ich mir einen schönen Kindergarten und setze mir da eine Spielzeugkrone auf. Wenn ich dafür nicht gerade die Kronjuwelen stehle, entgehe ich vielleicht auch endlich diesem ewigen Prozess-Stress.“
Die Klimapolizei sagte: „Wir wollen sozialer sein – sozialer und glaubwürdiger. Statt für die Lobbyisten wollen wir in Zukunft für diejenigen ein offenes Ohr haben, denen wir Vorschriften für ihre Lebensführung machen. Außerdem werden wir überall dort, wo wir ohne Einbuße an Lebensqualität sofort etwas für das Klima tun können, tätig werden.“
Die Flüchtlingspolizei sagte: „Wir wollen kein Bollwerk mehr gegen Schutzsuchende sein. Wer Hilfe braucht, soll sie bekommen – ob hier oder anderswo. Notfalls verkaufen wir dafür eben unsere Waffen und unser teures Bollwerk-Bauzeug!“
Die Genderpolizei sagte: „Schluss mit der Symbolpolitik! Ab sofort ändern wir nicht mehr die Sprache, sondern die Realität. Schluss mit rosa Mädchenspielzeug und Model-Castingshows! Zieht den Männern Röcke an! Hebt endlich die echten Grenzen zwischen den Geschlechtern auf!“
Die Gesundheitspolizei sagte: „Geld spielt keine Rolle mehr für uns. Das Leben ist das höchste Gut. Es muss für alle gleichermaßen geschützt werden – koste es, was es wolle. Lieber sparen wir an anderer Stelle!“
Na ja – und so ging es dann weiter. Ihr könnt euch wahrscheinlich denken, was die Wohnungspolizei sagte, dass die Bildungspolizei auf einmal allen Kindern die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten geben wollte und dass plötzlich genug Geld für alle Flüchtlingslager der Welt da war; dass Benjamin Netanjahu sich mit den Scheichs und Mullahs friedenstrunken in den Armen lag; dass all die Kriegsfürsten dieser Welt ihre Gewehre plötzlich von sich warfen, als hielten sie giftige Schlangen in der Hand.
Das Ganze war natürlich recht schön anzusehen. Nur leider kann man bei dem guten Herrn Wünschelmann nie wissen, ob seine Einflüsterungen die Überzeugungen der Betreffenden auch dauerhaft verändern – erst recht nicht, wenn ihm nach der Wünscheorgie der Silvesternacht der Schädel brummt.
Außerdem kommt es auch immer wieder vor, dass das Wünschelmännchen Traum und Realität miteinander verwechselt. So kann es sein, dass die Veränderungen nur in einer Traumwelt vor sich gegangen sind. Die Flüsteropfer werden die Erfüllung meiner Träume dann wohl schlicht als Alpträume erlebt haben.
Allerdings hat irgendwann mal ein weiser Mann – oder war es die weise Wassilissa? – zu mir gesagt, dass die Träume ihre eigene Realität haben. Also kann vielleicht auch ein Traum auf lange Sicht die Welt verändern, wenn man nur fest genug an seine Wirklichkeit glaubt und sich in seinem Handeln von ihm leiten lässt.
Dies hofft für sich selbst und uns alle
Euer Rother Baron!
Bild: Jim Cooper: Zwerg (Pixabay)
Am ersten Tag des neuen Jahres bin ich wie immer zu einem ausgedehnten Spaziergang durch den Wald aufgebrochen.
Das gefällt mir!
Gleiches ist mir leider abhanden gekommen …
Beste Hoffnungen für Sie und uns alle!
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Ja, im Wald kommen einem viele gute Gedanken und der Kopf wird frei.🌲🌲🌲
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hat mir gefallen, danke schön fürs (mit-)teilen!
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Dankeschön. Dir ein schönes Jahr voller Entdeckungen und Poesie.
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das hast du mir schön gesagt und gewünscht.
ich danke dir!
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