Über eine Gerechtigkeitslücke im Fußball-Unterhaus
In den Fußball-Regionalligen werden Traditionsvereine als Sparringspartner für die Nachwuchsmannschaften der Top-Teams missbraucht. Mögliche Auswege aus diesem Missstand sind eine eigene Liga für Farmteams und die Einrichtung einer eingleisigen 4. Liga.
Obere Ligen: Saisonendspurt mit Wiedererkennungswert
Pünktlich zum Saisonfinale hat mich mal wieder das Fußballfieber gepackt. Dieses Mal ist es allerdings nicht durch die Bundesliga und auch nicht durch die 2. Liga ausgelöst worden.
Dass das Titelrennen in der Eliteklasse auch mit Bayern ohne „n“ langweilig sein kann, ist eine interessante und vielleicht auch irgendwie beruhigende Erkenntnis, aber doch nicht gerade fieberträchtig. In Liga 2 sieht es auch stark nach „same procedure as every year“ aus. Zwar bekommen die Kieler mal wieder das Finalflattern, doch scheint der Hamburger SV seine übliche Frühjahrsmüdigkeit zu spät abgeschüttelt zu haben, um davon noch profitieren zu können.
Selbst der wahrscheinliche Durchmarsch des SSV Ulm in Liga 3 ist nichts Weltbewegendes: Das hat im vergangenen Jahr schon die SV Elversberg vorgemacht.
Fußball-Fegefeuer: Zwischen 3. Liga und Regionalliga
Was mein Fußballfieber steigen lässt, ist eher das Geschehen in den Niederungen des Fußballs – in jenem Fußball-Fegefeuer, in dem es für die Teams um Sein oder Nichtsein geht.
Richtig: Ich rede von dem Zwischenreich aus Drittliga-Abstieg und Regionalliga-Aufstieg. Schon wer aus der Ersten in die Zweite Liga oder von der Zweiten in die Dritte Liga abstürzt, wird dort nicht gerade von einem „bed of roses“ aufgefangen. Wer aber in die Regionalliga abstürzt, der droht endgültig den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Der Grund dafür ist zum einen, dass man bei vier Nichtabstiegsplätzen in der 3. Liga – was einem Fünftel (!) aller Mannschaften entspricht – zwar sehr leicht in den Regionalligasumpf hinabgezogen werden kann, aber nur sehr schwer wieder daraus auftauchen kann. Dies liegt nicht nur daran, dass hier nur der Meister aufsteigen darf – und selbst ihm ist dies nur in den Regionalligen West und Südwest garantiert. In den Regionalligen Bayern, Nordost und Nord steigen die Meister in einem rollierenden Verfahren manchmal direkt auf, müssen sich in anderen Jahren aber gegen den Meister einer der beiden anderen Regionalligen in Entscheidungsspielen durchsetzen.
Unrühmliche Rolle der Nachwuchsmannschaften in der Regionalliga
Zusätzlich verstopft wird der enge Flaschenhals von der Regionalliga in die 3. Liga durch die zweiten Mannschaften der Profiteams – denn die dürfen nicht nur in der Regionalliga antreten, sondern auch selbst in die 3. Liga aufsteigen (unter der Voraussetzung, dass das Profi-Team mindestens in der 2. Liga spielt).
Dies hat zur Folge, dass der Absturz aus der 3. Liga dem Versinken in einem Haifischbecken gleicht: In der Regionalliga drohen aus Traditionsmannschaften Sparringspartner für die zweiten Mannschaften von Profiteams zu werden. Zwar handelt es sich bei den zweiten Mannschaften um Nachwuchsteams, in denen die Spieler unter 23 Jahre alt sein sollen. Es darf aber – bei von Regionalverband zu Regionalverband unterschiedlichen Regelungen – auch eine begrenzte Anzahl von Spielern aus den Profimannschaften eingesetzt werden [1]. Dies führt immer wieder zu Wettbewerbsverzerrungen.
Auch ansonsten verfügen die Profimannschaften über Möglichkeiten, von denen die finanzschwachen Vereine nur träumen können. So hat Eintracht Frankfurt – nachdem der Verein seine zweite Mannschaft vorübergehend vom Spielbetrieb abgemeldet hatte – einfach mal 6 Millionen Euro lockergemacht, um die Spielberechtigung von Hessen Dreieich zu erwerben. So blieb Eintracht II die Ochsentour durch die unteren Ligen erspart [2].
Warum gibt es keine größeren Fanproteste?
In der aktuellen Saison macht in der Regionalliga Südwest ausgerechnet die zweite Mannschaft der TSG Hoffenheim – des Retortenclubs par excellence – den Stuttgarter Kickers den Wiederaufstieg in die 3. Liga streitig. In der Regionalliga Nord scheint die zweite Mannschaft von Hannover 96 dem SV Meppen das Ticket für die Aufstiegsspiele mit dem Bayern-Meister wegzuschnappen.
Gerade das Geschehen im Südwesten wäre eigentlich ein klassischer Fall für Fanproteste – denn hier geht es letztlich um ein ähnliches Thema wie beim Streit um den Einstieg eines Investors in die DFL. Auch in Hoffenheim ist es ja das Interesse eines Investors an der „Aufzucht“ und dem gewinnträchtigen Weiterverkauf von „Spielermaterial“, was anderen Vereinen den Weg zu den überlebenswichtigen Fleischtöpfen der höheren Ligen versperrt.
Warum also gibt es gegen den Missbrauch von Traditionsvereinen als Sparringspartner der Großkopferten keine größeren Fanproteste? – Wahrscheinlich, weil sich die Fans eben doch auch mit ihren zweiten Mannschaften identifizieren. Dies geht zwar nicht so weit, dass sie diese bei Auswärtsspielen unterstützen würden – was den anderen Vereinen zusätzliche Einnahmeverluste beschert. Andererseits reicht die Solidarität mit den Leidtragenden aber doch nicht so weit, dass man gegen die Interessen des eigenen Vereins handeln würde.
Lösungsvorschlag 1: Eine eigene Liga für Nachwuchsmannschaften
Allerdings stellt sich die Frage, ob das Interesse der Top-Teams an einer Förderung des Nachwuchses wirklich nur über die Eingliederung der Farmteams in den regulären Spielbetrieb umgesetzt werden kann. Schließlich lässt gerade die allgemein als stärkste Liga der Welt betrachtete englische Premier League ihre Nachwuchsmannschaften in einer eigenen Liga spielen – ohne dass dadurch ein Qualitätsverlust zu beobachten wäre [3].
Eine eigene Liga für Nachwuchsteams könnte vielleicht sogar das Interesse für deren Performance steigern. Sie würden so mehr und direktere Aufmerksamkeit erhalten und auch nicht mehr mit so viel Argwohn betrachtet werden wie in der aktuellen Situation, wo sie anderen die Butter vom Brot nehmen.
Lösungsvorschlag 2: Einrichtung einer eingleisigen 4. Liga
Eine weitere Möglichkeit wäre es, unterhalb der 3. Liga eine neue, eingleisige 4. Liga zu schaffen. Die zweiten Mannschaften der Profiklubs müssten dabei in beiden Ligen vom Spielbetrieb ausgeschlossen werden. Zusätzlicher Vorteil: Die Abstiegsregelung für Liga 3 könnte der in Liga 2 angepasst werden. Es gäbe also nur noch zwei direkte Absteiger und einen Relegationsplatz.
Analog dazu würden in der 4. Liga die ersten beiden Mannschaften direkt aufsteigen; der Dritte wäre für die Relegationsspiele mit dem Drittletzten der 3. Liga qualifiziert.
Eine zusätzliche Attraktivität könnte die neue 4. Liga dadurch erhalten, dass die Qualifikation nicht nach den Leistungen der letzten Jahre, sondern über die „ewige Tabelle“ aus den Platzierungen in den drei höchsten Ligen erfolgen würde. Dadurch wäre die neue Liga ein wahres Sammelbecken von Traditionsvereinen – was die Position beim Poker um die Übertragungsrechte entsprechend verbessern würde.
Hierzu abschließend eine Aufstellung möglicher Teilnehmer. Was auffällt: Der Osten wäre besonders stark vertreten. Dies zeigt einmal mehr, wie sehr bei der Wiedervereinigung nach der Anschluss-Mentalität verfahren worden und kulturelles wie sportliches Erbe schlicht „entsorgt“ worden ist.
Mögliche Teilnehmer an einer eingleisigen 4. Liga
Regionalliga Südwest: Kickers Offenbach, Hessen Kassel, FSV Frankfurt, FC Homburg (Stuttgarter Kickers, Waldhof Mannheim)
Regionalliga West: Wuppertaler SV, Rot-Weiß Oberhausen, Fortuna Köln (MSV Duisburg)
Regionalliga Nordost: Dynamo Berlin, SV Babelsberg, Chemnitzer FC, Carl Zeiss Jena, Chemie Leipzig, Lokomotive Leipzig, FSV Zwickau, Rot-Weiß Erfurt (Energie Cottbus, Hallescher FC)
Regionalliga Nord: VFB Oldenburg (SV Meppen)
Regionalliga Bayern: Schweinfurt O5, Wacker Burghausen, SpVgg Bayreuth, Viktoria Aschaffenburg (Würzburger Kickers)
Vereine in Klammern: mögliche/wahrscheinliche Aufsteiger in die 3. Liga oder Absteiger in die Regionalliga
Nachweise
[1] Drei Beispiele für unterschiedliche Regelungen zum Einsatz von Profispielern in Nachwuchsmannschaften:
Landesverband Baden: PDF zum Einsatz von Spielern aus Teams in höheren Ligen in Zweitmannschaften
Landesverband Bayern: Halmel, Roland: 1+5 statt 3+3: Neue Regeln für den Einsatz von Spielern bei zweiten Mannschaften. Merkur.de, 25. November 2022.
Westdeutscher Fußballverband: Amateurfußball: Spielberechtigungen und Sperrfristen im WDFV. Fupa.net
[2] Vgl. Block 30: „Das Erfolgsrezept der 2. Mannschaft [von Eintracht Frankfurt] schmeckt gehörig nach Red Bull“. Faszination-fankurve.de, August 2023.
[3] Vgl. en.wikipedia.org: Professional Development League; zuletzt aktualisiert am 18. April 2024.
Bild: Alexander Fox: Trauriger Fußballspieler (Pixabay) (leicht verändert)
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