Antiararabismus

Die Duldung von Inhumanität im Namen des Antisemitismus

Themen des Jahres/1

Der Antisemitismus ist in aller Munde. Angesichts dessen, was derzeit viele arabische Menschen erleiden müssen, sollten wir aber auch über „Antiarabismus“ reden.

Was ist „Antisemitismus“?

Der Begriff „Antisemitismus“ wirkt momentan seltsam unzeitgemäß.

Nein, ich will damit nicht sagen, dass es keinen Antisemitismus mehr gäbe. Es ist nur so, dass derzeit nicht mehr ganz klar zu sein scheint, was damit eigentlich gemeint ist.

Was also ist „Antisemitismus“? Antisemitismus bedeutet, dass man Menschen nur deshalb diskriminiert, verfolgt oder gar tötet, weil ihre Biographie einen jüdischen Hintergrund hat.

Ein solcher Antisemitismus liegt etwa vor, wenn von einer „jüdischen Weltverschwörung“ die Rede ist, die mit Spekulationsgewinnen Staaten unterwandere. Ebenso antisemitisch ist es, wenn Menschen mit jüdischen Wurzeln wegen des Vorgehens der israelischen Regierung in den besetzten Gebieten und im Libanon angefeindet werden, unabhängig davon, wie sie dazu stehen.

Umgekehrter Antisemitismus

Kein Antisemitismus liegt dagegen vor, wenn die israelische Regierung selbst wegen ihrer Kriegsstrategie kritisiert wird. In diesem Fall ist es sogar umgekehrt: Indem das Kritikverbot jüdischen Menschen eine Sonderstellung einräumt, wird implizit unterstellt, dass die Grundsätze des humanen Völkerrechts für Israel nicht gelten. Dies ist de facto ein umgekehrter Antisemitismus: Was zuvor für jüdische Opfer nicht galt, soll nun auch für jüdische Täter nicht gelten.

Geradezu absurde Formen nimmt der Antisemitismus an, wenn Menschen mit jüdischen Wurzeln wegen ihrer Kritik an der israelischen Regierung Antisemitismus vorgeworfen wird [1]. Darin drückt sich eine geistige Bevormundung aus, die exakt jener gruppenspezifischen Diskriminierung entspricht, gegen die man eigentlich vorgehen möchte. „Der“ Jude hat einem bestimmten Bild zu entsprechen – positiv oder negativ. Eben dieses Beharren auf Stereotypen bezeugt das Verharren in antisemitischen Denkmustern.

Antisemitismus und Antiarabismus

Die Betrachtung des Geschehens durch die Brille eines klischeebehafteten Antisemitismus verhindert zudem die differenzierte Auseinandersetzung mit einem anderen Phänomen, für das wir noch nicht einmal einen passenden Namen haben. Als Entsprechung zum Antisemitismus müsste man wohl von „Antiarabismus“ sprechen.

Was für den Antisemitismus gilt, trifft auch für den Antiarabismus zu: Er liegt vor, wenn Menschen nur deshalb diskriminiert, verfolgt und im Extremfall getötet werden, weil sie arabischer Herkunft sind.

Eben eine solche Haltung liegt dem Vorgehen der israelischen Armee im Krieg gegen Hamas und Hisbollah zugrunde. Um einen einzigen Kämpfer aus deren Reihen zu „eliminieren“, wird billigend die Tötung ganzer Hausgemeinschaften oder Familien in Kauf genommen, die sich zufällig in der Nähe der Betreffenden befinden [2].

In Israel selbst ist die arabische Bevölkerung durch ein neues Gesetz bedroht, dass auch Familienangehörigen von Menschen, die der Unterstützung von Feinden Israels verdächtigt werden, Strafen androht [3]. Dies entspricht der Praxis in den besetzten Gebieten, wo bereits jetzt Familien, in denen die Behörden einen Feind Israels ausgemacht haben, dafür mit Vertreibung und der Zerstörung ihrer Häuser büßen müssen [4]. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund der israelischen Siedlungsbewegung, die das Land schon seit Längerem mit Verweis auf die biblische Ausdehnung Israels für sich beansprucht [5].

Eine derartige Sippenhaft erinnert in fataler Weise an Praktiken faschistischer Regime [6]. Anstatt jede Kritik an Israel unter den Generalverdacht des Antisemitismus zu stellen, müsste sich daher gerade die deutsche Regierung viel stärker dem um sich greifenden Antiarabismus entgegenstellen.

Anmerkungen und Nachweise

[1]    Eine solche Gefahr birgt nach Ansicht israelischer Nichtregierungsorganisationen die kürzlich im Bundestag beschlossene Resolution zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Da darin tendenziell auch die Kritik an der israelischen Regierung als antisemitisch eingestuft werde, entfalte die Resolution de facto eine Zensurwirkung. Yudith Oppenheimer, Direktorin der regierungskritischen NGO Ir Amin und Tochter eines zur Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland geborenen jüdischen Paares, fragt vor diesem Hintergrund: „Sagt uns Deutschland jetzt, was eine legitime jüdische Stimme ist und was nicht?“ (Zitat aus einem Beitrag von Jan-Christoph Kitzler: Kritik aus Israel an Antisemitismus-Resolution; tagesschau.de, 7. November 2024).

[2]    Ein besonders bedrückendes Beispiel hierfür schildert Martin Durm in einer Reportage aus dem Libanon. Dabei geht es um die Tötung einer 22-köpfigen Flüchtlingsfamilie durch die israelische Luftwaffe, mit der Begründung, dass sich in ihrem Haus angeblich ein Geldbote der Hisbollah befand (Durm, Martin: Luftangriff im Nordlibanon: Als der Krieg ins nordlibanesische Dorf Aitou kam; tagesschau.de, 22. Oktober 2024).

[3]    Kitzler, Jan-Christoph: Neues Anti-Terror-Gesetz: Kritik an Kollektivstrafe in Israel; tagesschau.de, 15. November 2024. Die Wirkung einer Kollektivstrafe hat auch das Arbeitsverbot in Israel für das UN-Hilfswerk für Palästina, dem die israelische Regierung eine zu große Nähe zur Hamas unterstellt (vgl. Herbermann, Jan Dirk: „Kollektive Bestrafung“: Scharfe Kritik nach Israels UNRWA-Verbot; Der Standard, 29. Oktober 2024).

 [4]   Kitzler, Jan-Christoph: Die Vertreibung von Palästinensern im Westjordanland. Bayerischer Rundfunk, 21. April 2024.

[5]    Vgl.Gerloff, Johannes: Die Grenzen des Landes Israel aus biblischer Sicht; gerloff.co.il, 12. April 2020 [angesichts der aktuellen, offen die Landnahme in den besetzten Gebieten propagierenden israelischen Regierung nicht mehr ganz aktueller Beitrag, der aber gut die für die Siedlungsbewegung wichtige biblische Sicht herausarbeitet, wonach Betreten und Bebauen von Land mit dessen Inbesitznahme gleichzusetzen sei].

[6]    Vgl. Salzig, Johannes: Die Sippenhaft als Repressionsmaßnahme des nationalsozialistischen Regimes. Ideologische Grundlagen – Umsetzung – Wirkung. Augsburg 2015: Wißner (Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft 20. Juli, Band 20); Inhaltsverzeichnis (PDF).

Gedenkstätte Deutscher Widerstand: „Sippenhaft“ für die Familie; evangelischer-widerstand.de.

RB-Beiträge zum Thema:

Israel – ein modernes Trauerspiel; 28. November 2023

Staatsterrorismus: ein legitimes Mittel der Politik? 19. September 2024

Bild: Tarek: Palästinensische Kinder in Jenin/Westjordanland, Juli 2022 (Wikimedia commons)

Ein Kommentar

  1. Verbrauchen muss Verbrechen bleiben, egal welche ethnischen, geografischen Zuordnung der Menschen!

    Begriffe wie Antisemitismus, Antiarabismus, Antigermanismus, anti- was auch immer haben allesamt ausgedient! Es sind Menschen, angestachelt von gobal agierende Menschen die massakrieren! Dass zum profit derselben!

    Zu den bereits erwähnten das Fußballspiel in Amsterdam als Zuschauer aus Israel auf Zuschauer aus Palästina trafen und sich auf dass Kriegsgeschehen in ihren Ländern gar versuchten umzubringen! Einseitige Berichterstattung aufgrund von „Antisemitismus „??! Obwohl in einigen Bildern zu sehen war dass dieser Konflikt aus Reihen der Israelis produziert wurde 🥴

    unglaublich!

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