Die 5%-Hürde – ein Anschlag auf die Demokratie

Was wir bei den Wahlen nicht wählen können/1

Heute beginnt eine neue Reihe auf rotherbaron. Passend zur bevorstehenden Bundestagswahl geht es um die Frage, was wir bei den Wahlen nicht wählen können. Erstes Thema ist die 5%-Hürde und die durch sie erschwerte Wahl kleiner Parteien.

Das Erbleichen des Bloggers

Als ich mir über diese Blog-Reihe Gedanken gemacht habe, bin ich, ehrlich gesagt, ziemlich erschrocken. Denn das Erste, was mir dabei in den Sinn gekommen ist, war – die 5%-Hürde.

Das Erschreckende daran war für mich, dass eben dies – die Sperrklausel – eines der ersten Themen war, denen ich mich vor über einem Jahrzehnt auf diesem Blog gewidmet habe. Dies hat mir zweierlei gezeigt:

  1. Mein Blogger-Gebrabbel weht offenbar ziemlich folgenlos an der Welt vorbei.
  2. Die 5%-Hürde ist bei uns nicht nur festgemauert wie die zehn Gebote. Ihr undemokratischer Charakter wird noch nicht einmal öffentlich diskutiert. Dabei bin ich bei Weitem nicht der Einzige, der sich daran stört [1].

Dysfunktionalität der 5%-Hürde

Die Einführung der 5%-Hürde verdankte sich nach dem Zweiten Weltkrieg dem Wunsch nach klaren Verhältnissen im Parlament. Eine Zersplitterung der Parteienlandschaft wie in der Weimarer Republik sollte vermieden werden. Denn dies hatte am Ende den Nationalsozialisten als Argument gegen die gesamte Demokratie gedient, die als handlungsunfähiger Debattierclub verspottet worden war.

Aus der damaligen Situation heraus war die Einführung der Sperrklausel also durchaus nachvollziehbar. Wenn man aus heutiger Sicht auf ihre Auswirkungen schaut, erscheint sie in der gegenwärtigen Form jedoch eher als Mittel zur Unterminierung der Demokratie.

So haben gerade populistische und rechtsextreme Parteien weniger Probleme, die 5%-Hürde zu überspringen, weil sie mit ihren Appellen an unbewusste Ressentiments und diffuse Stimmungslagen eher ein größeres Stück vom Wählerstimmenkuchen abbeißen können. Parteien, die auf die Kraft der Überzeugung setzen, haben dagegen viel größere Schwierigkeiten, auf Anhieb eine ausreichend große Anzahl an Wahlberechtigten davon zu überzeugen, ihnen einen Platz auf der politischen Bühne zu geben.

Damit fördert die 5%-Hürde gerade die überproportionale Präsenz jener Parteien, die sie der Idee nach von der Macht fernhalten sollte – nämlich von Parteien, die durch ihre populistischen Parolen den demokratischen Diskurs zersetzen. Gegenwärtig sind das die AfD und die Wagenknechtler vom BSW. Beide dürften laut den Prognosen in den nächsten Bundestag einziehen, während die Linken und die FDP an der Sperrklausel zu scheitern drohen.

Undemokratischer Charakter der 5%-Hürde

Die 5%-Hürde ist in der heutigen Parteienlandschaft also dysfunktional. Anstatt die Demokratie zu stützen, gefährdet sie das demokratische System. Sie ist aber auch an sich problematisch, da sie die Erneuerung der politischen Landschaft erschwert und das Machtkartell der etablierten Parteien zementiert.

Für alternative Ideen und neuere, basisdemokratischere Formen des Umgangs mit den politischen Handlungsoptionen ist es dadurch schwer bis unmöglich, sich durchzusetzen. Dies wäre aber auch deshalb wichtig, weil so die über Jahrzehnte gewachsenen Verflechtungen zwischen Politik und Lobbygruppen zumindest neu durchmischt werden könnten.

Hinzu kommt der aus demokratischer Sicht schwer zu ertragende Umstand, dass durch die 5%-Hürde regelmäßig Millionen von Stimmen schlicht in die Mülltonne wandern. Einem großen Teil der Bevölkerung wird dadurch die parlamentarische Repräsentanz verweigert. Bei den letzten Bundestagswahlen betraf das rund vier Millionen oder 8,6 Prozent der abgegebenen Stimmen. 2013 waren es gar 6,8 Millionen Stimmen, was damals 15,7 Prozent der abgegebenen Stimmen entsprach [2].

Die Tatsache der Missachtung einer so großen Anzahl von Wahlberechtigten ist allein schon erschreckend. Noch schlimmer ist allerdings, dass sich die etablierten Parteien daran in keiner Weise stören. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein.

Das beste Beispiel dafür ist die saarländische SPD. Sie regiert seit den Landtagswahlen vom Frühjahr 2022 mit einer absoluten Mehrheit von Mandaten, obwohl sie nur von einem Viertel der Wahlberechtigten gewählt worden ist. Grund dafür ist das Scheitern von Linken, Grünen und FDP an der 5%-Hürde. Statt dem Genossen Zufall und dem Geist der Demokratie Rechnung zu tragen und von sich aus auf die Opposition zuzugehen, legt die Partei seitdem eine Arroganz der Macht an den Tag, die eher an den französischen Sonnenkönig Louis XIV  als an einen demokratischen Staat erinnert. Posten werden schamlos an Parteisoldaten verschachert, Kritik wird nicht zur Kenntnis genommen [3].

Reformvorschläge

So scheint es dringend geboten, etwas an der 5%-Hürde zu ändern. Zwei Möglichkeiten bieten sich dafür an:

  1. eine Absenkung der Sperrklausel auf drei oder zwei Prozent;
  2. die Einführung einer Ersatzstimme, durch die Wahlberechtigte die Sicherheit hätten, dass ihre Stimme nicht verloren geht, wenn sie sie einer in den Umfragen unter der Sperrklausel rangierenden Partei geben.

Beide Maßnahmen ließen sich natürlich auch miteinander kombinieren. Sie werden jeweils schon seit Längerem diskutiert, in der Politik jedoch nicht aufgegriffen – weil diejenigen, die die Regeln ändern müssten, dadurch ihre eigene Macht beschneiden würden.

Was es dafür bräuchte, wäre die Einsicht, dass Demokratie von Wandel und Erneuerung lebt – auch dann, wenn dafür der Thron der eigenen Partei ins Wanken gerät. Dass wir eine solche Größe von der gegenwärtigen politischen Kaste nicht erwarten können, ist – gelinde gesagt – erschreckend. Es zeigt, dass der demokratische Geist bei uns weit geringer ausgeprägt ist, als es die Angehörigen derselben politischen Kaste in ihren Sonntagsreden glauben machen wollen.

Anmerkungen

[1]    Eine detaillierte Auflistung der Ergebnisse von Wahlen zum deutschen Bundestag seit 1949 findet sich in einer Übersichtsschrift der Bundeswahlleitung aus dem Jahr 2022: Ergebnisse früherer Bundestagswahlen (PDF).

[2]    Eine intensivere Diskussion um die Sperrklausel gab es zuletzt nach der Bundestagswahl des Jahres 2013, als es durch das knappe Scheitern von FDP und AfD an der 5%-Hürde mit 6,8 Millionen oder 15,7 Prozent der abgegebenen Stimmen ein Rekordhoch an „Papierkorbstimmen gab. Der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim bezeichnete dies seinerzeit – „unabhängig davon, wie man die Programmatik dieser Parteien bewertet“ – als undemokratisch“ und gab zu bedenken: „Zum einen bleibt das Gefühl zurück, dass die eigene Stimme nicht zählt. Zum anderen halfen diese Menschen indirekt auch noch jenen Parteien, die sie gar nicht gewählt haben“ – denn durch den Wegfall von Stimmen für Parteien, die unter der 5%-Hürde bleiben, erhalten die für die anderen Parteien abgegebenen Stimmen ein größeres Gewicht (zit. nach Meiritz, Annett: Bundestag ohne Kleinparteien. Die Sieben-Millionen-Lücke. Der Spiegel, 24. September 2013).

[3]    Näheres hierzu in den Beiträgen

         Skandalland Saarland (April 2024) und

         SPD-Regierung mit CDU-Gesicht. Eine Fallstudie zur Austauschbarkeit der Volksparteien am Beispiel des Saarlands (PDF, Sommer 2023).

Und was macht der erbleichte Blogger, der heute dasselbe posten könnte wie vor zehn Jahren, weil sich nichts verändert hat? Soll er sich am nächsten Baum aufhängen? Oder vielleicht mal ein neues Medium ausprobieren?

Ich habe mich fürs Erste für letztere Möglichkeit entschieden und mal ein kleines Filmchen zur 5%-Hürde produziert – mit Unterstützung und Mitwirkung meiner Webmasterin. Ihr findet das Filmchen auf youtube

Bild: Hans Benn: Kleiner Hund (Pixabay (leicht bearbeitet)

3 Kommentare

  1. Vielen Dank für die gute Darstellung. Das Problem der Beförderung des Populismus durch die 5%-Hürde war mir gar nicht so präsent. Das Filmchen habe ich mir auch angeschaut :-): Kurzweilige Erklärung des Sachverhalts.

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  2. Da ist was dran. Tatsächlich ist es unverständlich, warum immer noch an der 5%-Hürde festgehalten wird. Vielleicht hat „man“ gehofft“, dass die AFD irgendwann einmal darunter fällt? Wie du richtig schreibst, hat es Saarland dazu geführt, dass die Linken und die Grünen aus dem Landtag geflogen sind. Aus meiner Sicht geht die SPD aber zu viel auf die Opposition zu, indem sie große Koalition spielt. Ein eigenes Profil wird ihr allenfalls von der CDU im Zuge des Bundestagswahlkampfes „angedichtet“. Da kann man fast fragen: „Ist das noch Demokratie oder kann das weg.“. Ist natürlich nicht ganz ernstgemeint…aber ohne Grüne und Linke fehlt da jedweder Stachel und Motor im Parlament. Ich bin für die Absenkung der Hürde auf 2%.

    Ansonsten: Lustiges Filmchen. Ich hoffe, dass es Lesemuffeln den Sachverhalt näher bringt!

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