Skandalland Saarland

Neue Notizen aus der SPD-Provinz: Die „Roten“ auf Abwegen

Die SPD nutzt ihre absolute Mehrheit im Saarland für eine absolutistische Herrschaft. Ihre Politik ist von Klientelwirtschaft geprägt und orientiert sich inhaltlich an konservativen Vorstellungen.

Saarländische Freunderlwirtschaft

Über die saarländische SPD-Alleinregierung hat es an dieser Stelle schon mehrere Berichte gegeben [1]. Sie ist deshalb von besonderem Interesse, weil sie ein Labor für sozialdemokratische Politik sein könnte – stattdessen aber den Bankrott sozialdemokratischer Ideale demonstriert.

Vor zwei Jahren reichte der saarländischen SPD ein Viertel der Stimmen aller Wahlberechtigten (26,4 Prozent) – was 43,5 Prozent der abgegebenen Stimmen entsprach – zur absoluten Mehrheit. Der Grund dafür war, dass mit den Grünen und der FDP gleich zwei kleinere Parteien hauchdünn an der Fünfprozenthürde scheiterten.

Damals hätte man noch denken können, dass die SPD einfach Zeit braucht, um die Gestaltungsmöglichkeiten zu realisieren, die sich aus ihrer unverhofften Alleinregierung ergeben. Mittlerweile ist aber klar: Politische Visionen spielen bei dieser Regierung keine Rolle. Ihre absolute Macht nutzt sie lediglich für eine Ausschaltung von Kritik und die Versorgung eigener Leute mit gut dotierten Stellen.

Behindertenpolitik an den Behinderten vorbei

Jüngstes Beispiel in einer langen Reihe von Skandalen ist die Besetzung des Postens des Landesbehindertenbeauftragten.

Der bisherige Behindertenbeauftragte, Prof. Dr. Daniel Bieber, kam aus der Wissenschaft und hatte u.a. als Geschäftsführer und Wissenschaftlicher Leiter des Saarbrücker Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft gewirkt. In der Vergangenheit hatte er, seiner Aufgabe gemäß, immer wieder den Finger in die Wunde einer mangelhaften Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Saarland gelegt.

So hatte Bieber erst im vergangenen Herbst die Intransparenz bei der Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden kritisiert. Ein entsprechender Bericht des Sozialministeriums sei derart lückenhaft, dass eine „belastbare Aussage“ über den Stand bei der Barrierefreiheit nicht möglich sei [2].

Dieses unbequemen Kritikers entledigte sich die Landesregierung, in dem sie einen Passus in dessen eigentlich bis 2025 gültigem Vertrag ausnutzte. Danach hätte bei  Bieber, der bereits das Rentenalter erreicht hat, ausdrücklich eine Beschäftigung über die Pensionsgrenze hinaus genehmigt werden müssen. Diese Genehmigung hat die Regierung verweigert [3].

Stattdessen wurde ein Verfahren zur Bestellung eines neuen Behindertenbeauftragten eingeleitet. Dieses wurde weitgehend hinter dem Rücken derer, für deren Interessen der Landesbehindertenbeauftragte zuständig ist, durchgeführt. Soll heißen: Der Landesbehindertenbeirat, in dem die Betroffenen selbst und ihre Verbände vertreten sind, wurde nur so weit in das Verfahren einbezogen, wie es aus formalen Gründen erforderlich ist. Ein Mitspracherecht wurde ihm nicht eingeräumt [4].

Zum neuen Landesbehindertenbeauftragten ernannte die SPD mit ihrer absoluten Mehrheit im Landtag den bisherigen Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen im Saarland, Werner Schmaus. Dieser steht damit für das Gegenteil von Inklusion – hat dafür aber den Vorteil, SPD-Mitglied zu sein [5].

Inhaltliche Kritik von der Opposition muss die SPD dennoch nicht befürchten. Denn die Opposition besteht im Saarland ja lediglich aus der CDU – und die hätte Schmaus allenfalls wegen seines Parteibuchs, nicht aber wegen der von den Behindertenwerkstätten repräsentierten Aussonderungspolitik abgelehnt, die ganz auf ihrer Linie liegt.

Antisemitische Antisemitismus-Belehrung

Mit einem anderen Skandal ist es der saarländischen SPD gelungen, nicht nur über die Landesgrenzen hinweg, sondern sogar international Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei geht es um die Absage einer Ausstellung der aus Südafrika stammenden jüdischen Künstlerin Candice Breitz, die an der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste lehrt.

Hintergrund der Absage war die Teilnahme von Breitz an einer Demonstration, die sich gegen die kurzfristige Streichung einer Veranstaltung durch die Bundeszentrale für politische Bildung richtete [6]. Darin sollte es um einen breiten Diskurs über Antisemitismus, Rassismus und deutsche Erinnerungskultur vor dem Hintergrund des erstarkenden Rechtspopulismus gehen. Nach dem Angriff der Hamas auf Israel war ein komplexer Diskurs über die Thematik aber offenbar politisch nicht mehr gewollt.

Breitz, die die Veranstaltung gemeinsam mit dem Literaturwissenschaftler Michael Rothberg vorbereitet hatte, vertrat jedoch die gegenteilige Ansicht: Gerade die Eskalation der Gewalt mache eine Diskussion über deren Ursachen notwendig. Dies war allerdings keineswegs im Sinne einer Verharmlosung des Hamas-Terrors zu verstehen. So stellte sie auf Instagram klar:

„Es ist möglich, die Hamas uneingeschränkt zu verurteilen (wie ich es tue) und gleichzeitig den breiteren palästinensischen Kampf für Freiheit von Unterdrückung, Diskriminierung und Besatzung zu unterstützen.“ [7]

Solche Feinheiten fanden im saarländischen Kulturministerium indessen keine Beachtung. Stattdessen wurde die jüdische Künstlerin kurzerhand als Hamas-Unterstützerin abgestempelt. Auf die zuständige Museumsdirektorin wurde daraufhin Druck ausgeübt, die seit drei Jahren geplante Ausstellung der Künstlerin im Saarland ersatzlos zu streichen [8].

Wie im Falle der Ernennung des neuen Landesbehindertenbeauftragten betrachtete man dabei auch hier einen Dialog als überflüssigen Luxus. Die Künstlerin selbst durfte nicht Stellung zu den Vorwürfen nehmen, die Verurteilung erfolgte ohne Anhörung der Angeklagten.

Der Skandal beruht nicht nur auf dem verweigerten Dialog, sondern auch darauf, dass es bei der geplanten Videoinstallation gar nicht um Israel, Palästina oder das Judentum gehen sollte, sondern um Sexarbeit in Johannesburg. Unter der Fahne des Antisemitismus wurde damit hier de facto antisemitisch agiert: Einer jüdischen Künstlerin wurde die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks beschnitten, weil man ihr vorwarf, nicht dem eigenen Vorurteil einer vorbildlichen jüdischen Einstellung zum Vorgehen Israels zu entsprechen.

Mit der Museumsdirektorin, die sich im Rückblick kritisch zu dem auf sie ausgeübten Druck äußerte, wurde ebenso verfahren wie mit dem unbequemen früheren Landesbehindertenbeauftragten: Sie musste ihren Hut nehmen [9].

Eine Politik nach dem Geschmack der Opposition

Über andere eigenwillige Personalentscheidungen der saarländischen Regierung ist an dieser Stelle schon in früheren Beiträgen berichtet worden [10]. Besonders brisant ist dabei die Personalie des Tierschutzbeauftragten, die ganz auf der auch bei der Ernennung des Behindertenbeauftragten verfolgten Linie liegt.

So ist der von der SPD bestellte Tierschutzbeauftragte des Saarlandes nicht nur passionierter Jäger. Er ist auch führend in der Wildbretvermarktung engagiert, hat also weniger ein Interesse am Schutz von Tieren als am Handel mit deren Fleisch [11].

Eine von über 30.000 Personen unterschriebene Petition zur Abberufung des Tierschutzbeauftragten wurde auch mit dessen Unterstützung für eine Schliefenanlage begründet – einen künstlichen Fuchsbau, in dem Hunde für die Jagd auf Füchse trainiert werden [12]. Die Petition wurde von der SPD-Alleinregierung ebenso mit Missachtung bedacht wie die Kritik des Landesbehindertenbeirats am Vorgehen bei der Benennung des Behindertenbeauftragten.

Die CDU, traditionell jagdfreundlich, hat in der Angelegenheit eine natürliche Beißhemmung. Da sie die einzige Oppositionspartei ist, bleibt die Kritik auf die außerparlamentarische Ebene beschränkt.

Auch in anderen Fällen ist die Kritik der CDU-Opposition – wenn sie denn überhaupt geäußert wird – wenig glaubwürdig. Dies gilt etwa für das Begrüßungsgeschenk, das die SPD dem Finanzminister mit dem prestigeträchtigen Nachnamen „von Weizsäcker“ gewährte, als sie dessen Frau auf eine schicke Referatsleiterinnenstelle im Kulturministerium hievte [13]. Ähnliche Vorgehensweisen kennt man auch bei der CDU – und wer eigene Leichen im Keller hat, verbrennt sich lieber nicht den Mund.

Blindflug im Landtagsraumschiff

So kann die SPD sich sicher sein, im Raumschiff des Landtags abgeschottet von der Öffentlichkeit ihren Blindflug fortsetzen zu können. Was außerhalb des Landtags an Kritik geäußert wird, wird schlicht ausgeblendet.

Das Erschreckende daran ist, mit welcher Arroganz dies geschieht. Aufgeputscht von ihrer Unangreifbarkeit im Parlament, hat die SPD jede Bodenhaftung verloren. Ihr Politikstil weist fatale Parallelen zu dem autoritärer Regime auf, die für die „einfache Bevölkerung“ ebenfalls nur das Wiegenlied nichtssagender Politikfloskeln übrig haben.

Ein Dialog findet hier wie dort nicht statt – und wenn, dann handelt es sich um reine Showveranstaltungen, die keinerlei Auswirkungen auf die politischen Entscheidungen haben. Dies wird im Saarland noch lähmende drei Jahre lang so bleiben – erst dann darf das Wahlvolk der Laienspieltruppe im Landtag die rote Karte zeigen.

Das Ganze wäre leichter zu ertragen, wenn die SPD mit ihrer absolutistischen Herrschaft wenigstens irgendwelche Visionen verfolgen würde. Stattdessen scheint ihre Politik aber ganz der Sportart verpflichtet zu sein, die Ministerpräsidentin Anke Rehlinger früher ausgeübt hat: dem Kugelstoßen.

Das Prinzip dieser Sportart liegt offenbar auch der Politik der saarländischen SPD zugrunde. Sie folgt dem Prinzip des „großen Wurfs“ um jeden Preis. Die politischen Inhalte sind dabei eine Leerstelle, die von Lobbyismus und PR-Abteilungen je nach politischer und ökonomischer Großwetterlage gefüllt werden.

Nachweise

[1]    Vgl. Saarländische SPD-Regierung mit CDU-Gesicht. Eine Fallstudie zur Austauschbarkeit der Volksparteien am Beispiel des Saarlands (PDF); rotherbaron.com, 28. August 2023.

[2]    Miles-Paul: Ottmar:Kritik an mangelndem Überblick über Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude im Saarland; kobinet-nachrichten.org, 1. Oktober 2023.

[3]    Saarländischer Rundfunk: Landesbehindertenbeauftragter Bieber soll aus Amt befördert werden; 21. November 2023.

[4]    Miles-Paul, Ottmar: Kritik an Vorgehen bei Landesbehindertenbeauftragten-Neubesetzung im Saarland; kobinet-nachrichten.org, 30. Januar 2024.

[5]    Böffel, Janek: Michael Schmaus soll neuer Behindertenbeauftragter werden; Saarländischer Rundfunk, 5. Februar 2024.

[6]    Monopol: Wegen Krieg in Nahost: Konferenz von Künstlerin Candice Breitz abgesagt; monopol-magazin.de, 30. Oktober 2023.

[7]    Zit. nach Buhr, Elke: Absage von Candice-Breitz-Schau: Ende einer Ausstellung; monopol-magazin.de, 27. November 2023.

[8]    Kunz, Johann: Causa Breitz: War Museumsdirektorin Jahn gegen die Absage? Saarländischer Rundfunk, 7. März 2024.

[9]    Kunz, Johann: Stiftung Saarländischer Kulturbesitz trennt sich von Vorständin Jahn; Saarländischer Rundfunk, 11. März 2024.

[10] Vgl.Blutwurst stemmen mit einer Hand. Wie die saarländische SPD mit einer absoluten Mehrheit die Politik der CDU betreibt; 27. Januar 2023.

[11]    Wildbeimwild.com: Skandal im Saarland: Jagd-Lobbyismus im Amt des Tierschutzbeauftragten; 17. Oktober 2022.

[12]    NEIN zu Jagd-Lobbyismus im Amt des Tierschutzbeauftragten! Petition von Animal Society auf change.org.

[13]    Saarbrücker Zeitung: Ehefrau des Finanzministers arbeitet jetzt für Saar-Kulturministerin; 14. Januar 2023.

Bild: Jack Drafahl: Außerirdischer (Pixabay)

Ein Kommentar

  1. Erschreckend! – Das klingt sehr nach Arroganz der Macht. Leider ist das gar nicht so „Alien-mäßig“, sondern ein Politikstil, der sich immer mehr durchsetzt. Wenn die PolitikerInnen, die das noch als demokratisch empfinden, wenigstens ein solches Aussehen hätten wie in dem Titelbild, dann wüsste man gleich, wen man NICHT wählt 😉

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