Kinder als Kriegsbeute

The Russian Horror Torture Show/2

Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine zielt der Kreml explizit auf die Zerstörung der ukrainischen Identität ab. Ein besonders perfides Mittel dazu ist die Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland.

Kindesentführungen – ein humanitärer Akt?

Ein Charakteristikum totalitärer Regime besteht in einer orwellschen Sprechweise, bei der das eigene inhumane Handeln zu einem Akt der Humanität umgedeutet wird. Für die russische Invasion der Ukraine bedeutet dies: Der Angriffskrieg wird in einen Befreiungskrieg umgedeutet, die Errichtung eines Terrorregimes in eine kulturelle Katharsis.
Besonders zynisch wirkt die orwellsche Verdrehung der Realität im Fall der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland. Diese werden im regierungsamtlichen russischen Jargon als „Evakierungen“ tituliert.
Bereits im Sommer 2023 gab die russische Regierung die Zahl dieser „Evakuierungen“ mit 700.000 an. Selbst wenn man unterstellt, dass dies eine absichtliche Übertreibung zur Selbstdarstellung als humanitärer Helfer ist, dürften damit bis heute weit über 100.000 ukrainische Kinder nach Russland entführt worden sein. Offiziell dokumentiert wurden bislang über 19.000 Fälle. Gegen die Hauptverantwortlichen für diesen Akt der Barbarei – neben Putin die „Kinderrechtsbeauftragte“ des Kreml, Maria Lwowa-Bjelowa – liegen Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag vor.

Heimtückische Umsetzung der Kindesentführungen

Die Art und Weise, wie die Kindesentführungen umgesetzt werden, ist ebenso heimtückisch wie der verschleiernde Begriff, den die russische Propaganda für dieses Verbrechen verwendet. So wurde ukrainischen Eltern in von Russland besetzten Gebieten etwa suggeriert, ihre Kinder wären in Sommerlagern besser aufgehoben als in den umkämpften Territorien. Viele dieser Kinder sind dann aber schlicht nicht in ihre Familien zurückgeschickt worden.
Der Kinderraub ist dabei nicht offen als solcher deklariert worden. Den Eltern wurde es vielfach schlicht unmöglich gemacht, ihre Kinder abzuholen, da sie dafür eine weite, gefährliche und kostspielige Reise hätten auf sich nehmen müssen und in Russland zudem Gefahr gelaufen wären, in das Räderwerk der Filtrationslager (siehe vorigen Post) zu geraten. Darüber hinaus wurden vielfach auch Bedingungen für die Rückgabe der Kinder gestellt, wie etwa die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft.
In anderen Fällen ist die Verschleppung von Kindern auch gezielt als Strafmaßnahme für ukrainische Eltern eingesetzt werden, die von den Besatzungsbehörden als nicht ausreichend kooperativ eingestuft worden sind. Hinzu kommen Kindesentführungen aus Einrichtungen, in denen Kinder vorübergehend untergebracht wurden, weil die Eltern entweder selbst an der Front waren oder sich kriegsbedingt nicht ausreichend um ihre Kinder kümmern konnten.

Gezielte Zerstörung ukrainischer Identität

Der Umgang mit den entführten ukrainischen Kindern folgt derselben Reinheitsideologie, wie sie auch den Filtrationslagern zugrunde liegt. Auch bei den Kindern wird nach „brauchbarem“ und „weniger brauchbarem“ Menschenmaterial unterschieden.
Die Kinder werden demzufolge sowohl körperlich untersucht als auch geistig „bearbeitet“, bevor sie in russische Familien vermittelt werden. Die systematischen Umerziehungen gehen dann nahtlos in die reguläre Indoktrinierung an den staatlichen Schulen über.
Ziel der Verschleppungen ist natürlich zum einen die konkrete Vernichtung der ukrainischen Identität in einzelnen Menschen, weshalb die systematischen Entführungen und Umerziehungen ukrainischer Kinder auch als völkermordanalog eingestuft werden. Angesichts der zynischen Verwendung von Menschen als Brennholz des Krieges, auf dessen Scheiterhaufen Tag für Tag Tausende Mitglieder des eigenen Volkes geopfert werden, sind die verschleppten ukrainischen Kinder vom Kreml aber wohl auch schlicht als Material für künftige Kriege vorgesehen.

Literarische Miniatur zum Thema: Gestohlene Kindheit
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Links

Glas, Othmara: Wie Russland ukrainische Kinder russifiziert. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juni 2024.

Humanitarian Research Lab at Yale School of Public Health: Russia’s Systematic Program for the Re-education and Adoption of Ukraine’s Children (PDF). Connecticut, Yale University, 14. Februar 2023. (Ausführliche Dokumentation der russischen Entführungen und systematischen Umerziehung ukrainischer Kinder)

Spiegel.de: Kriegsverbrechen in der Ukraine: Russland will seit Kriegsbeginn 700.000 ukrainische Kinder „aufgenommen“ haben; 31. Juli 2023.

Verseck, Keno: „Irgendwie überlebt“. Amnesty International, 10. September 2024. (Berichte von Betroffenen, die das System der Kindesentführungen und -umerziehungen am eigenen Leib erfahren haben)

Dorothe Wouters (Darkmoon_Art): Mädchen in einem Klassenzimmer (Pixabay; Ausschnitt)

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