Populismus und Autoritarismus, Teil 6
In asiatischen Ländern weist der Populismus eine besondere Nähe zu Führerkult und einem religiös gefärbten Nationalismus auf. Die damit einhergehenden autokratischen Tendenzen sind oft mit einer dynastischen Machtpolitik verbunden.
Philippinen: Jagd auf Drogenabhängige als Wahlkampfschlager
2016 wurde auf den Philippinen Rodrigo Duterte zum Präsidenten gewählt – ein Politiker, der als Bürgermeister der Millionenstadt Davao City auf Mindanao Drogenabhängige und Kleinkriminelle von Todesschwadronen hatte bekämpfen lassen. Exakt diese „Politik der harten Hand“ war auch das populistische Hauptargument, mit dem er bei den Wahlen für sich geworben hatte. Als Präsident setzte er dieselbe Politik im nationalen Maßstab um.
Nachdem Duterte sich 2022 nicht erneut zur Wahl stellen durfte, schickte er seine Tochter, die ihm zuvor bereits im Amt der Bürgermeisterin von Davao City nachgefolgt war, erfolgreich als Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin ins Rennen. Die enge Verbindung von Populismus und Autoritarismus trat dabei dadurch offen zutage, dass Sara Duterte neben dem Präsidentschaftskandidaten Ferdinand Marcos Junior, dem Sohn des früheren diktatorisch regierenden Präsidenten Ferdinand Marcos, kandidierte.
Indonesien: Ein Präsident mit monarchischer Attitüde
Eine ähnliche Entwicklung ist in Indonesien zu beobachten. Dort hat der 2014 ebenfalls als Anti-Establishment-Kandidat ins Präsidentenamt gewählte Joko Widodo seinen ältesten Sohn, Gibran Rakabuming Raka, bei den Wahlen im Januar 2024 erfolgreich als Vizepräsidentschaftskandidat antreten lassen – obwohl dieser mit 36 Jahren unter dem eigentlich für das Amt geltenden Mindestalter von 40 Jahren lag. Möglich wurde dies durch eine Ausnahmegenehmigung des Verfassungsgerichts, dessen Vorsitz bezeichnenderweise ein Schwager von Widodo innehatte.
Die Wahl von Widodos Sohn zum Vizepräsidenten markiert gleich in doppelter Hinsicht einen Trend zum Autoritarismus in Indonesien. Die Wahl liegt zunächst auf einer Linie mit dem zunehmend selbstherrlichen Regierungsstil Widodos, der sich mit einer neuen Hauptstadt ein Denkmal setzen möchte und nur aufgrund heftiger Kritik von seinem Vorhaben Abstand genommen hat, entgegen der verfassungsmäßigen Begrenzung von zwei Amtszeiten selbst noch einmal für das Präsidentenamt zu kandidieren.
Darüber hinaus hat Widodo die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt und mit einem Gesetz gegen außereheliche sexuelle Beziehungen auch in einen Kernbereich der persönlichen Selbstbestimmung eingegriffen. Letzteres ist als Entgegenkommen gegenüber islamistischen Strömungen zu verstehen, die in dem muslimisch geprägten Land über starken Einfluss verfügen. Widodos Wirtschaftspolitik war von einem einseitigen Wachstumsdenken geprägt und ging mit Einschränkungen von Arbeitnehmerrechten und Umweltschutzvorschriften einher.
Widodos jugendlicher Sohn verleiht als Vizepräsident dem neuen Präsidenten Prabowo Subianto zudem einen Glanz, der von dessen düsterer Vergangenheit ablenken soll. Subianto, der sowohl 2014 als auch 2019 erfolglos gegen Widodo kandidiert hatte, hatte seit 2019 als Verteidigungsminister amtiert. Er war fest in der früheren indonesischen Diktatur unter General Suharto verankert. Verheiratet mit einer Tochter des Diktators und selbst General, war er maßgeblich an Massakern im Rahmen der Unabhängigkeitsbewegung in Osttimor und an indonesischen Oppositionellen während der Suharto-Ära beteiligt.
Quasi-dynastische Herrschaftsformen
Die Praxis, die Aura der eigenen Macht in quasi-dynastischer Weise auf andere Familienangehörige zu übertragen, ist auch aus anderen asiatischen Ländern bekannt. Beispiele sind etwa die ehemaligen Ministerpräsidentinnen Pakistans und Indiens, Benazir Bhutto und Indira Gandhi, die beide Töchter früherer bedeutender Premierminister bzw. Präsidenten waren. Gleiches gilt in Bangladesch für Scheich Hasina Wajed, deren Vater Mujibur Rahman ebenso als Staatsgründer ihres Landes gilt wie Jawaharlal Nehru, der Vater Indira Gandhis, im Falle Indiens.
Nach der Ermordung Indira Gandhis war deren Sohn Sanjay und nach dessen Unfalltod ihr zweiter Sohn Rajiv zum führenden Politiker der Kongresspartei aufgestiegen. Rajiv Gandhi wurde 1984 auch zum Premierminister gewählt. Nachdem 1991 auch er ermordet worden war, folgte ihm seine Frau Sonia Gandhi 1998 als Vorsitzende der Kongresspartei nach und bekleidete dieses Amt – mit einer kurzen Unterbrechung, in der ihr Sohn Rahul die Partei führte – bis 2022.
Populistischer Hindu-Nationalismus in Indien
Eben diese dynastische Unterwanderung der Demokratie konnte sich der hindu-nationalistische Politiker Narendra Modi in seiner Agitation gegen das politische Establishment zunutze machen. Im Falle Sonia Gandhis kam noch hinzu, dass es sich bei ihr nicht um eine gebürtige Inderin handelte, was der populistisch-nationalistischen Polemik Modis in die Karten spielte.
Nach einem ersten Wahlsieg im Mai 2014 wurde Modi 2019 im Amt bestätigt. Unmittelbar danach hat er durch den Entzug des Sonderstatus für das überwiegend von Muslimen bewohnte Kaschmir seinen aggressiven Nationalismus unzweideutig unter Beweis gestellt.
In dasselbe Jahr fällt eine Staatsbürgerschaftsreform, die Muslimen mit Ausweisung droht, wenn sie ihre indische Identität nicht eindeutig nachweisen können. Das Gesetz macht sich zunutze, dass gerade unter der muslimischen Bevölkerung viele – vor allem einkommensschwache – Menschen aufgrund von Flucht, Vertreibung und Naturkatastrophen weder über gültige Ausweispapiere noch über die für deren Erhalt erforderlichen Identitätsnachweise (wie etwa Geburtsurkunden) verfügen.
Die staatlich orchestrierte Feindseligkeit gegenüber religiösen Minderheiten wird von Hindu-Nationalisten auch immer wieder als Ermutigung für Lynchmorde verstanden, bei denen die Polizei oft tatenlos zuschaut. Dies liegt ganz auf einer Linie mit der von Modis Partei, der BJP (Indischen Volkspartei), vertretenen Hindutva-Ideologie, der zufolge die indische Identität untrennbar mit dem Hinduismus verbunden ist.
Als kulturelles und politisches Leitbild propagiert wurde diese Ideologie zunächst vor allem von der RSS, einer „Nationalen Freiwilligenorganisation“ von Hindus, aus der auch die BJP hervorgegangen ist. Die RSS war schon vor dem Aufstieg der BJP zur bestimmenden politischen Kraft in Indien maßgeblich an Pogromen gegen die muslimische Bevölkerung beteiligt.
Besonders schwere Ausschreitungen gab es im Februar 2002 in Ayodhya im Bundesstaat Gujarat, als über tausend Menschen muslimischen Glaubens getötet wurden. Auslöser war der Versuch von Hindu-Nationalisten, am Ort einer früheren Moschee einen Tempel für den hinduistischen Gott Rama zu errichten. Eben diesen Tempel hat Modi bauen lassen und Anfang 2024 als Demonstration der dominanten Hindu-Kultur eingeweiht.
Literatur
Ali-Fauzi, Ihsan: Rising Nationalism and Islamic Populism in Indonesia. In: Perspectives Asia, Themenheft Nationalismus und Populismus in Asien; Heinrich Böll Stiftung, 2019.
Arshad, Arlina: Indonesian President Joko signs contentious omnibus Bill into law. Straitstimes.com, 3. November 2020 [über die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und Umweltschutzvorschriften in Indonesien].
Barkhausen, Barbara: Kein Sex vor der Ehe: Indonesiens Strafgesetz wird islamischer. Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), 6. Dezember 2022.
Bodewein, Lena: Philippinischer Präsident Duterte: Düstere Bilanz eines Amtsjahres. Deutschlandfunk, Hintergrund, 22. Juli 2017.
Calimbahin, Cleo: Exploiting Resentments, Eroding Institutions: Populism in the Philippines and Southeast Asia. In: Perspectives Asia, Themenheft Nationalismus und Populismus in Asien; Heinrich Böll Stiftung, 2019.
Human Rights Watch: Indien: Neues Staatsbürgerschaftsgesetz führt zu Protesten und Angriffen. Muslime Opfer diskriminierender Politik, Kritiker angegriffen; 10. April 2020.
Johnston, Jennifer: Indonesiens Präsident Joko Widodo: Ein entzauberter Hoffnungsträger? Deutschlandfunk, 13. Februar 2024.
Kuntz, Katrin: [Der philippinische] Präsident Duterte und die Killerkommandos: „Ich wusste, dass die Frauen unschuldig waren.“ Der Spiegel 8/2017; 20. Februar 2017.
Messmer, Lukas: Neue Megacity auf Borneo: Eine Stadt wie „Washington und Dubai“; SRF, 13. Februar 2024; mit Links zu weiteren Beiträgen zur indonesischen Politik.
Mody, Ashoka: Der langsame Tod der kurzen säkularen Demokratie in Indien. Project-syndicate.org, 9. Januar 2024 [zur Einweihung des umstrittenen Tempels für den hinduistischen Gott Rama in Ayodhya durch Narendra Modi].
Perspectives Asia: Themenheft Nationalismus und Populismus in Asien; Heinrich Böll Stiftung, 2019; Inhaltsverzeichnis.
Pick, Ulrich: Hinduistischer Nationalismus: Rassistische Attacken auf Christen und Muslime in Indien. Deutschlandfunk, 11. Februar 2017.
Plagemann, Johannes / Ufen, Andreas: Spielarten des Populismus in Asien. GIGA Focus Asien 2017/7.
Schulz, Benedikt: Die Wurzeln der indischen Hindutva-Ideologie: Religion und Nation. Deutschlandfunk, 10. März 2021.
Singh, Richa: Der Aufstieg des Rechtspopulismus in Indien. In: Perspectives Asia: Nationalismus und Populismus in Asien; Heinrich Böll Stiftung, 25. Januar 2019.
Spiegel.de: Artikelsammlung zu den Philippinen, u.a. zu Rodrigo Dutertes Anti-Drogenkrieg, der durch ihn geprägten repressiven politischen Kultur und zu seiner Nachfolge
Ufen, Andreas: The Rise of Digital Repression in Indonesia under Joko Widodo. GIGA Focus Asien 2024/1.

Bild: Modi