Der Machtzuwachs populistischer Parteien in Europa

Populismus und Autoritarismus, Teil 5

Populistische Parteien in Europa verfolgen in letzter Zeit verstärkt eine Weichspüler-Strategie, die ihre fremdenfeindliche Programmatik überdeckt. Andere verfolgen allerdings auch die gegenteilige Taktik und nähern sich so immer mehr dem rechtsextremen Rand an.

Wenn populistische Parteien die Spielregeln bestimmen

Wie auf anderen Kontinenten werden auch in Europa populistische Bewegungen immer stärker zu bedeutenden Playern auf der politischen Bühne. Dies gilt nicht nur für Osteuropa, wo populistische Parteien vielfach in das Vakuum vorgestoßen sind, das durch den Wegfall der einstigen realsozialistischen Staatsparteien entstanden ist. Auch in Westeuropa gewinnen populistische Parteien beständig an Einfluss.

In Deutschland treibt die AfD die einstigen Volksparteien CDU und SPD seit Jahren vor sich her. Noch ist sie zwar weder auf Landes- noch auf Bundesebene direkt an der Macht beteiligt. Ihr Machtzuwachs zwingt die etablierten Parteien jedoch, sich inhaltlich auf sie zuzubewegen, so dass die AfD indirekt eben doch die Politik mitbestimmt.

Andernorts ist mittlerweile bereits Realität geworden, was vor Kurzem noch undenkbar erschien: die Machtübernahme durch populistische Parteien. So hat in Finnland die Partei Die Finnen bei den Wahlen vom April 2023 mit 20,1 Prozent den zweiten Rang in der Wählergunst erreicht und ist nun Teil der Regierung. Einen ähnlichen Stimmenanteil (20,5 Prozent) haben im September 2022 in Schweden auch die populistischen Schwedendemokraten bei den Wahlen errungen. Die liberal-konservative Minderheitsregierung ist seitdem auf deren Unterstützung angewiesen, um für ihre Vorhaben im Parlament eine Mehrheit zu bekommen.

Angelockt von diesen Wahlerfolgen, haben sich in den vergangenen Jahren auch in Ländern, die zuvor noch nicht vom Virus des Populismus erfasst worden waren, entsprechende Parteien gegründet. Besonders auffallend ist dies auf der Iberischen Halbinsel, wo Ende 2013 mit Vox (in Spanien) und 2019 Chega (in Portugal) zwei neue rechtspopulistische Parteien entstanden sind. Beide sind mittlerweile zur jeweils dritten politischen Kraft ihrer Länder aufgestiegen.

Die Maske der gezähmten Rechtsnationalen

Bei manchen populistischen Parteien ist in letzter Zeit zu beobachten, dass ihre führenden Repräsentanten ihre nationalistisch-fremdenfeindliche Programmatik hinter einer staatstragenden Maske verbergen. In ihrem Schatten bleiben freilich auch die alten Haudegen der Bewegung aktiv, so dass gleichzeitig eine gemäßigte bürgerliche Mittelschicht angesprochen und weiterhin am ostentativ politisch inkorrekten rechten Rand auf Stimmenfang gegangen werden kann.

Besonders deutlich ist diese Rollenverteilung in Italien. Dort gibt Matteo Salvini, Vorsitzender der italienischen Lega, als stellvertretender Ministerpräsident den polternden Polit-Lümmel, während die Premierministerin, die Postfaschistin Giorgia Meloni von den Fratelli d’Italia, sich als Wölfin im Schafspelz präsentiert.

Meloni erscheint so nach außen hin als „gezähmte“ Rechtsnationale. Genau dies ermöglicht es ihr allerdings, effektiv eben jene Politik zu betreiben, die von den Rechtsaußen-Rüpeln an ihrer Seite offen eingefordert wird. So darf etwa ihr ehemaliger Lebensgefährte, Andrea Giamburno, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen offen gegen Feministinnen und gleichgeschlechtliche Paare hetzen.

Ihre reaktionäre Kulturpolitik setzt Meloni zum einen dadurch um, dass sie im Kulturbetrieb konsequent eigene Leute an die Schalthebel der Macht hievt. Zum anderen folgt sie aber auch ideell der Linie der neofaschistischen Bewegung, die sich in Italien um das CasaPound versammelt hat. Die nach dem US-amerikanischen Dichter und Mussolini-Anhänger Ezra Pound benannte Einrichtung versteht sich als nationalrevolutionäre Bewegung, die für eine Rückkehr zu traditionellen kulturellen Werten kämpft. Sie pflegt enge Kontakte zu rechtsextremen und identitären Kreisen in ganz Europa.

Die CasaPound steht zudem für eine auch von anderen populistischen und neofaschistischen Gruppierungen gepflegte Strategie der sukzessiven Durchdringung der Gesellschaft. Dafür wird stets dort Präsenz gezeigt, wo Hilfe benötigt wird, etwa nach Naturkatastrophen oder bei der Unterstützung alter Menschen auf dem Land. So kann die aggressive Programmatik hinter einem freundlichen Gesicht verborgen und zugleich implizit dem politischen „Establishment“ Versagen beim Eingehen auf die existenziellen Bedürfnisse der Bevölkerung vorgehalten werden.

Wie Meloni steht auch Marine Le Pen, die Vorsitzende des französischen Rassemblement National, für die Taktik einer demokratischen Hülle mit autokratischem Kern. Im Falle Le Pens wird dies auch an der Namensänderung der Partei deutlich: Der Wandel vom kämpferischen Front National zum nationale Einigung verheißenden Rassemblement National (Nationale Sammlungsbewegung) soll die Akzeptanz an der Wahlurne erhöhen. Wie Giorgia Melonis Politik ist jedoch auch die Programmatik von Le Pens Partei bis heute von fremdenfeindlichen Ressentiments und völkischem Gedankengut geprägt.

Gleiches gilt für den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders, der seine xenophobe Rhetorik zuletzt ebenfalls mit angezogener Handbremse vorgetragen hat. Bei den Wahlen zum niederländischen Parlament war er damit im November 2023 ausgesprochen erfolgreich: Seine PVV (Partei für die Freiheit) stieg bei dem Urnengang mit einem Stimmenanteil von 23,6 Prozent zur stärksten Kraft auf.

Vom Rechtspopulismus zum Rechtsextremismus

Besonders stark verankert in der politischen Kultur ihrer Länder sind die rechtspopulistischen Parteien in Österreich und der Schweiz, die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) und die SVP (Schweizerische Volkspartei). Dies liegt daran, dass beide Parteien nicht als rechtspopulistische Projekte gegründet worden sind, sondern sich jeweils durch entsprechend aufgestellte Vorsitzende – Jörg Haider in der Schweiz, Christoph Blocher in der Schweiz – in dieser Richtung verändert haben.

In beiden Fällen haben diese Prozesse bereits Ende der 1980er Jahre eingesetzt, so dass die populistische Polemik hier auch schon früher Früchte trug als in anderen Ländern. Die FPÖ war in Österreich schon mehrfach an Regierungen beteiligt, die SVP stellt im Schweizer Bundesrat – der nach dem Konkordanzprinzip von allen maßgeblichen Parteien gemeinsam gebildeten Regierung – zwei von sieben Mitgliedern.

Sowohl die SVP als auch die FPÖ sind in der Vergangenheit immer wieder durch eine besonders skrupellose Ausnutzung fremdenfeindlicher Ressentiments für ihre Wahlkampagnen aufgefallen. Im Falle der SVP fand dies seinen unrühmlichen Höhepunkt in der so genannten „Ausschaffungsinitiative“, bei der die SVP 2010 mit offen rassistischen Wahlplakaten für raschere Abschiebungen geworben hat.

Die FPÖ hat sich unter ihrem seit Juni 2021 amtierenden Vorsitzenden („Bundesparteiobmann“) Herbert Kickl so weit nach rechts bewegt, dass sie die Grenze zum Rechtsextremismus teilweise deutlich überschreitet. So bekennt sich Kickl offen zum Konzept der „Remigration“. Bei öffentlichen Auftritten provoziert er mit einer bewussten Verwendung des – zum „Unwort des Jahres 2023“ gewählten – Begriffs: Genau das, was das Wort bezeichne – „dass die alle heimgehen“ – sei das, was man brauche (zit. nach Hahne/Soos 2024).

Der FPÖ-Vorsitzende steht damit für eine Strategie des offenen Zusammenführens von rechtsextrem-identitärer und rechtspopulistischer Bewegung. Damit beschreitet er einen anderen Weg als Meloni und Le Pen, die ihre ähnlich gelagerten Absichten hinter einer weichgespülten Rhetorik verbergen.

Dies wird nicht nur dadurch begünstigt, dass die FPÖ in Österreich längst eine stabile Stammwählerschaft hat, die der Partei selbst den Skandal um Heinz-Christian Straches „Ibiza-Affäre“ rasch verziehen hat. Vielmehr ist die Partei auch organisatorisch eng mit  Gruppierungen des rechtsnationalen Spektrums – wie insbesondere den Burschenschaften – verbunden, in denen völkisches Gedankengut schon lange ein selbstverständlicher Bestandteil des Diskurses ist.

Literatur

Baumann, Meret / Kreutzmann, Susann / Neuhaus, Christina / Hermann, Jonas:  Was die rechten Parteien AfD, SVP und FPÖ vereint – und was sie trennt. Neue Zürcher Zeitung, 25. Februar 2024-

Decker, Frank / Lewandowsky, Marcel. Rechtspopulismus in Europa: Erscheinungsformen, Ursachen und Gegenstrategien. In: Zeitschrift für Politik 64 (2017), S. 1 – 21 (PDF).

Donges, Sofia [interviewt von Isabella Kolar]: Skandinavien: Der Aufstieg der Rechtspopulisten. Deutschlandfunk, Weltzeit, 10. Januar 2023.

Feldbauer, Gerhard: Giorgia Meloni und der italienische Faschismus. Köln 2023: Papyrossa.

Geden, Oliver: Diskursstrategien im Rechtspopulismus. Freiheitliche Partei Österreichs und Schweizerische Volkspartei zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung. Wiesbaden 2006: Verlag für Sozialwissenschaften (VS).

Grigat, Stephan (Hg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder. Baden-Baden 2017: Nomos.

Kempin, Ronja: Rassemblement National. Eine einflussreiche Partei in einem gespaltenen Land. Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier zum Rechtspopulismus, 17. Juli 2022.

Metz, Markus / Seeßlen, Georg: Kulturkampf in Italien. Der Angriff der Rechten auf die Demokratie. Deutschlandfunk, Essay und Diskurs, 18. Februar 2024.

Reiter, Margit: Die Ehemaligen. Der Nationalsozialismus und die Anfänge der FPÖ. Göttingen 2019: Wallstein.

Scharsach, Hans-Henning: Stille Machtergreifung. Hofer, Strache und die Burschenschaften. Wien 2017: Kremayr & Scheriau.

Schweighöfer, Kerstin: Rechtspopulismus in den Niederlanden. Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier zum Rechtspopulismus, 16. März 2017.

Vossen, Koen: Vom konservativen Liberalen zum Nationalpopulisten. Die ideologische Entwicklung des Geert Wilders. In: Wielenga, Friso / Hartleb, Florian (Hgg.): Populismus in der modernen Demokratie. Die Niederlande und Deutschland im Vergleich, S. 77 – 103. Münster u. a. 2011: Waxmann.


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