Die lästige Demokratie

Von wallonischen Demokraten und Demokratie-Avataren

Schild 152 - Demokratie

Wer ist Paul Magnette, dieser wallonische Ministerpräsident, der dem Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada seine Zustimmung verweigert und es damit blockiert hat? Ein verblendeter Fanatiker, der die Bedeutung der von höchster Stelle als „Friedensprojekt“ geadelten EU verkennt? Ein linksradikaler Fundamentalist? Ein Sezessionist? Ein Größenwahnsinniger, der sich weigert, die Bedeutungslosigkeit der 3,6 Millionen Wallonen, die er repräsentiert, anzuerkennen? Oder ist er vielleicht schlicht – ein Demokrat?

Es ist interessant zu sehen, wie die hohen Herren (und Damen) in Brüssel und anderswo reagieren, wenn mal einer die Probe aufs Exempel macht und die Feiertagsformeln von kultureller Vielfalt, einem Europa der Regionen, Minderheitenrechten und Basisdemokratie wörtlich nimmt. Da heißt es dann plötzlich, man brauche qualifizierte Mehrheitsentscheidungen, eine stärkere Kompetenzverlagerung nach Brüssel, straffere Abläufe, eine klarere Hierarchie … Mit anderen Worten: Die Maske fällt. Dabei hat Paul Magnette ja keineswegs eine nur auf die Wallonie bezogene Minderheitenmeinung geäußert. Vielmehr entsprechen die von ihm vorgetragenen Bedenken denen von Millionen anderen EU-Bürgern, die nur von vornherein aus dem Mitbestimmungsprozess ausgeschlossen worden sind.

Parallel zur Auseinandersetzung um das CETA-Abkommen wurde vermeldet, dass die AfD plane, im kommenden Bundestagswahlkampf Social-Media-Bots einzusetzen. Dabei handelt es sich um Computerprogramme, die sich wie ganz normale Social-Media-Nutzer verhalten, also beispielsweise Katzenfilmchen oder Bilder leckerer Mahlzeiten posten. Ihr Hauptzweck ist es jedoch, bestimmte politische Positionen zu unterstützen. Dabei sind sie ähnlich konditioniert wie der berühmte pawlowsche Hund. Im Fall der AfD würde das etwa bedeuten, dass Auftritte von Frauke Petry mit Hunderten von Herzchen-Kommentaren bedacht, Äußerungen von, sagen wir, Petra Pau dagegen mit Kübeln von verbalem Kot überschüttet würden.

Es steht außer Frage, dass derartige Computerprogramme die Demokratie gefährden. Denn sie betreiben Wahlwerbung und eine systematische Diffamierung des politischen Gegners, suggerieren dabei jedoch eine basisdemokratische Verwurzelung, indem sie in einem Umfeld agieren, das als Garant für Meinungsvielfalt und Informationsfreiheit gilt.

Anstatt nun aber eine solche Verhöhnung und Aushöhlung der Demokratie umgehend zu verbieten oder wenigstens partei- und länderübergreifend zu ächten, scheinen manche Politiker sogar stolz darauf zu sein, durch die Nutzung dieser Demokratie-Avatare ihre Affinität zu den sozialen Medien und damit ihre „Modernität“ unter Beweis zu stellen. So werden auch im derzeitigen Präsidentschaftswahlkampf in den USA fleißig Social-Media-Bots eingesetzt. Donald Trump hat damit angefangen, aber auch das Wahlkampfteam von Hillary Clinton schreckt nicht davor zurück, dieses Manipulationsmittel zu nutzen.

Warum ist das so? Warum besteht bei unseren Politikern keine natürliche Scheu, ja Abscheu vor der Nutzung derart demokratiefeindlicher Methoden? Der wesentliche Grund dafür ist meines Erachtens, dass wesentliche Teile des demokratischen Prozesses schon seit Längerem nicht mehr wirklich praktiziert, sondern nur noch vorgetäuscht werden. Am besten lässt sich das natürlich in den kryptototalitären Staaten, also etwa in Russland oder der Türkei, beobachten. Dort werden zwar demokratische Wahlen abgehalten, doch werden diese entweder im Vorfeld durch eine massive Behinderung oder Ausschaltung der Opposition in der gewünschten Weise beeinflusst oder notfalls einfach wiederholt – unter Umständen in Verbindung mit der Inszenierung kriegerischer Auseinandersetzungen, die als Drohpotenzial fungieren und den Wählenden die „richtige“ Entscheidung erleichtern sollen.

Entdemokratisierungsprozesse – oder genauer: Inszenierungen von Demokratie, die an die Stelle echter demokratischer Entscheidungsprozesse treten – sind jedoch auch bei uns in letzter Zeit vermehrt zu beobachten. So dienen Parteiversammlungen schon lange nicht mehr der Auseinandersetzung über Positionen und der Beschlussfindung, sondern nur noch der Einschwörung des Parteivolks auf die Ziele der Anführer. Und wie hat Andrea Nahles auf die massive Kritik der Betreffenden an dem neuen Bundesteilhabegesetz reagiert? Richtig: Sie hat beschlossen, das Gesetz besser zu „kommunizieren“ und sich in einer teuren Imagekampagne als größte Behinderungsverhinderin aller Zeiten feiern zu lassen.

Manchmal wäre ich froh, all diese Leute, denen die Demokratie so lästig ist, würden sich endlich offen zu ihrer Verachtung des Volkes bekennen und sich als Freunde der Diktatur outen. Dann hätten wir wieder eine Zensur, die sich als solche zu erkennen gäbe, eine Geheimpolizei, die deren Einhaltung überwachen würde, einen Propagandaminister, der sein Tun nicht als „Kommunikation“ verschleiern würde, und eine Regierung, die auf alle Legitimationsrituale verzichten würde.

Wenn all die demokratiemüden Politiker wenigstens den Anstand besäßen, sich offen zu ihrer Haltung zu bekennen, wüssten wir immerhin, worauf wir uns einzustellen haben. Dann könnte man Widerstand organisieren, und als verbotene Frucht erschiene manchem das Projekt der Aufklärung vielleicht wieder reizvoller als jetzt, wo es, auf seine prozeduralen Grundlagen reduziert, langweiliger erscheint als das Dschungelcamp. Die schleichende Aushöhlung der Demokratie aber ist wie ein langsam wirkendes Gift. Sie führt dazu, dass wir uns an etwas gewöhnen, gegen das wir uns, würde es offen und mit einem Schlag ausgeführt, mit aller Macht zur Wehr setzen würden.

 

Bild: Copyright: Thomas Reimer; Quelle: fotolia

 

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