Der künfige Literaturnobelpreisträger?
Zur Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan
Die Verleihung des Literaturnobelpreises an Bob Dylan ist für zahlreiche Menschen, die sich lesend und/oder schreibend mit Literatur beschäftigen, ein
Schlag ins Gesicht. Dabei geht es gar nicht darum, ob und in welchem Ausmaß
man den Liedtexten Bob Dylans literarische Qualität zugesteht. Entscheidend ist vielmehr die Frage, welche Art von Literatur auf diese Weise gefördert wird.
Aus diesem Blickwinkel ist die Wahl der Jury zunächst einmal eine Ohrfeige für
die bedeutenden US-amerikanischen Romanciers der Gegenwart. Da vor dem Hintergrund des Proporzdenkens der Jury nicht davon auszugehen ist, dass der
Preis in absehbarer Zeit erneut in die USA geht, wird ihnen damit zu verstehen
gegeben, dass ihre Bemühungen, die Entwicklungstendenzen der modernen Gesellschaft auf komplexe Weise literarisch zu reflektieren, angesichts der Liedkunst eines Bob Dylans verblassen. Schmerzhaft ist die Preisvergabe aber auch für all jene, die in der Literatur ein Gegengewicht und ein Korrektiv zur Main-Stream-Kultur sehen. Denn unabhängig vom gesellschaftskritischen Potenzial der Texte Bob Dylans wird man von einem Sänger, der seit Jahren die Konzertsäle dieser Welt füllt, kaum behaupten können, dass er und sein Werk quer zum marktkonformen Verwertungsdenken der Kulturindustrie stehen. Vielmehr ist Bob Dylan mit seinen Liedern längst von der Unterhaltungsindustrie aufgesogen worden. Seine Musik ist der passende Sound zum Che-Guevara-Poster an der Wand, mit dem man sich ja auch längst nicht mehr als Befreiungskämpfer outet, sondern sich lediglich zu einer diffusen, zu nichts verpflichtenden Solidarität mit den Unterdrückten dieser Erde bekennt.
Die Vergabe des Literaturnobelpreises an Bob Dylan zementiert damit eine Entwicklung, die der Literatur den radikal gesellschaftskritischen Stachel nimmt, der sich aus ihrer prinzipiellen Fremdartigkeit und dem Eigen-Sinn ihrer sprachlichen und geistigen Strukturen ergibt. Stattdessen wird die Literatur mehr und mehr als Teil der Unterhaltungsindustrie wahrgenommen und deren Gesetzen unterworfen. Entscheidend sind dabei leichte Konsumierbarkeit und eine Optimierung der Verwertungskette, also die möglichst vielfältige Nutzbarkeit des produzierten Sprachmaterials (über Verfilmungen, Hörspiele
oder eben die Möglichkeit, die Texte gewinnträchtig als Lieder zu vermarkten).
Eine Beleidigung ist die Preisvergabe an Bob Dylan schließlich auch für zahlreiche andere Singer-songwriter auf dieser Welt. Denn natürlich ist es unbestritten, dass deren Texte oft von literarischer Qualität sind. Wenn man dieses Faktum aber schon zum ersten Mal in der Geschichte des
Literaturnobelpreises anerkennt, zeugt es nicht gerade von besonderer Originalität, dies ausgerechnet an dem wohl bekanntesten und weltweit anerkanntesten Singer-songwriter zu exemplifizieren.
In der Samisdat-Literatur der Sowjetunion etwa war das Komponieren von Liedern bei vielen Autoren eine List, durch die sie ihre Texte an der Zensurverbreiten konnten. Daraus ist eine dezidiert literarische Lied-Tradition entstanden, die zu würdigen dem Literaturnobelpreis weit eher zur Ehre gereicht hätte als die Selbstfeier der westlichen Pop- und Rock-Tradition, wie sie in der Ehrung Bob Dylans zum Ausdruck kommt. Auch die romanische Sprachenwelt hat eine Reihe von explizit literarischen Liedermachern zu bieten, die zu ehren von weit mehr Fachkompetenz gezeugt hätte als die hundertste Lobpreisung einer westlichen Pop-Ikone (vgl. die entsprechenden Essays in der Rubrik ‚Musikalische Streifzüge‘).
So macht die Entscheidung des Nobelpreiskomitees – und das ist vielleicht das
einzig Gute an ihr – implizit auf strukturelle Mängel der Preisvergabe aufmerksam. Zu erwähnen sind dabei insbesondere die folgenden Punkte:
- Die Preisvergabe erfolgt nach streng kapitalistischen Richtlinien. Sie funktioniert nach dem „Winner-takes-it-all“-Prinzip. Außerdem gilt: Wer hat, dem wird gegeben.
- Da der Preis nur an lebende Autoren vergeben werden kann, steht er immer in der Gefahr, dem Zeitgeist zu folgen und für die Literaturgeschichte zentrale Autoren – wie in der Vergangenheit etwa James Joyce – zu übergehen.
- Der Preis erhebt den Anspruch, die Literatur der ganzen Welt in den Blick zu nehmen, wird jedoch von einem Komitee vergeben, in dem Vertreter eines
bestimmten Kulturkreises dominieren.
Hieraus ergeben sich die folgenden Reformvorschläge.
- Die Ehrung durch die Jury sollte von der Vergabe des Preisgeldes getrennt werden. Letzteres sollte stattdessen für die Förderung von Literaturprojekten (Aufbau von Lieraturhäusern, literarische Workshops, Unterstützung von Autorennetzwerken oder unterdrückter Autoren etc.) genutzt werden.
- Der Preis sollte in Zukunft auch posthum vergeben werden können, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Bedeutung mancher Autoren erst nach ihrem Tod offenbar wird.
- Wer die Literatur der ganzen Welt zu beurteilen beansprucht, muss auch das mit der Entscheidung befasst Komitee entsprechend besetzen. Dies würde bedeuten, dass einzelne Länder nicht mehr nur Vorschläge einreichen dürfen, sondern zumindest jeder Kulturkreis mit eigenen Entscheidungsträgern in dem Komitee vertreten sein sollte.
- Angesichts der ungeheuren Vielfalt literarischer Veröffentlichungen sollte die Praxis, pro Jahr nur einen Preisträger auszurufen, zugunsten der Ehrung nach Kategorien abgeschafft werden. Wenn man den Preis schon an einen Singer-Songwriter vergibt, kann man sich ja auch an den sonst in der Kulturwelt –etwa bei den Oscar- und Grammy-Verleihungen – üblichen Preisvergabemodalitäten orientieren. Dann würde es jedes Jahr eigene Würdigungen in den Kategorien Lyrik, Drama, Prosa (mit evtl. Unterkategorien)und vielleicht auch –warum nicht – in der Kategorie „literarisches Lied“ geben, daneben eventuell auch Ehrungen für das Lebenswerk eines Autors, spezielle Publikumspreise sowie Sonderpreise für besondere sprachliche Leistungen (etwa bei literarischen Texten in vom Aussterben bedrohten Sprachen) oder die Verknüpfung von literarischem und politischem Engagement. (Analoge Reformen ließen sich natürlich auch bei den anderen Nobelpreisen einführen.)
Natürlich wird man jetzt einwenden, dass der Reiz des Literaturnobelpreises ja
gerade darin besteht, dass der eine, alles überstrahlende Autor geehrt wird und dass dieser Ehrung auch mit einem entsprechenden Preisgeld Gewicht verliehen werden muss. Aber gerade diesen kapitalistisch unterfütterten Genie-Kult gilt es meines Erachtens zu überwinden, wenn wir eine demokratische Literatur haben wollen, die in der Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten zum Widerstand gegen die Deutungshoheit der Herrschenden ermuntert.
auch wenn ich dylan den nobelpreis gönne, freut es mich, hier gewichtige argumente zu lesen, die ansprechen, was an der preisvergabe an sich nicht stimmig ist. Ich habe dank des lesens von blogbeiträgen zum ersten mal in meinem leben die preisvergabe bewusst verfolgt. Und ich frage mich, warum die jury nicht andertweitig fündig werden wollte.
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Danke für deinen Kommentar. Ich habe nichts gegen Dylan – als Singer-Songwriter!!!
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